radical räumlich

In der siebzehnten Ausgabe des e Journals, radical räumlich, fragen wir nach dem thematischen Bezug der kunstpädagogischen Forschung auf Räume, auf Räumliches und auf Räumlichkeit. Bei der Lektüre wird sich noch etwas anderes zeigen: dass der jeweilige Zugriff auf Raum und Räumlichkeit viel über fachdidaktische Haltungen, Forschungsmethoden und Fachverständnisse verrät. Die Räume der Kunstpädagogik radikal zu betrachten und zu beforschen bedeutet auch, eine reflexive Haltung einzuüben und sprachliche Lösungen (Übersetzungen) dafür zu finden. Kunstpädagogische Praktiken sind situiert in konkreten Räumen und sie schaffen Räume, die mediale und affektive Qualitäten annehmen können. Raum ist in der heutigen Forschung übereinstimmend als eine Setzung, und damit auch als Gegenstand von Verhandlung, aufgefasst, nicht als eine absolute oder substanzielle Größe. Grundlage der fünf Artikel in dieser Ausgabe waren Vorträge am Forschungskolloquium der Schweizerischen Fachgesellschaft für Kunstpädagogik 2018, das an der Hochschule Luzern zu Gast war. Titel und Call gehen auf eine Arbeitsgruppe zurück, die aus Sabine Gebhardt Fink, Chantal Küng, Bernadett Settele, Laura Zachmann und Margot Zanni bestand.

In der Verbindung der beiden Begriffe gerät auch die Frage der Radikalität ins Zentrum. Die Beziehung von radical und räumlich im Titel soll, so formuliert der Call, zum Neu- oder Umdenken von Räumen der Kunstpädagogik aufrufen. radical räumlich schlägt vor, den Blick der Kunstpädagogik auf die Qualitäten ihrer Räume zu lenken. Zwischen radical und räumlich ergibt sich ein Stolpern beim Lesen: Es sensibilisiert dazu, über das Situiertsein nachzudenken und auf die Kontexte und Umgebungen zu achten, an denen Kunstpädagogik sich orientiert oder in denen sie stattfindet. „Radical“ wie in Radical Pedagogy ermuntert, Hierarchien und Rollenverständnisse in Frage zu stellen; und die Mittel des Fachs und die Zugänge zum Fach zu reflektieren. Etwas radikal anzugehen heißt, es neu zu gestalten oder, ihm zumindest eine Gestaltbarkeit zu unterstellen. Mit dem Begriff „radical“ ist in der Radical Pedagogy eine Haltung gemeint, die soziale und politische Situationen von Grund auf neu zu formulieren sucht.

Was Kunstpädagogik auslöst, kann fragil und prekär sein. In Bezug zu Kunst hergestellte Situationen und deren Dynamiken sind mitunter nur schwer auf- und nachzuzeichnen. Wie die ästhetischen Bildungsprozesse erfahren und erlebt werden und welche Gedankenläufe, Sinnbildungen und Stimmungen damit verbunden sind, ist zum Teil unverfügbar. All dem werden aber erhebliche Auswirkungen auf die zu bildenden individuellen und kollektiven Subjekte zugedacht, die ihnen körperlich und affektiv ausgesetzt sind. Unter einer radical räumlichen Perspektive wäre somit eine Herangehensweise denkbar, die architektonische, affektive, sinnliche und soziale Räume als Verhandlungsräume denkt. Wie, so fragt der Call, wären die Räume der Kunstpädagogik als gestaltbare Grösse zu denken? Wie könnten die Räume der Kunstpädagogik situativ aus dem Hier und Jetzt gedacht werden? Und wie verschränken sich schließlich radikale und räumliche Herangehensweisen zu einer kunstpädagogischen Haltung?

Die Vielfältigkeit der eingegangenen Beiträge überstieg unsere Erwartungen hinsichtlich der Breite der Perspektiven, aus denen der Call aufgenommen wurde, doch zugleich antworten die fünf Artikel von ihren jeweiligen Standpunkten her sehr genau auf die Fragestellung. Sie entwickeln sie weiter und führen sie — in Hinblick auf künstlerische und aktivistische, kunst- und medientheoretische, psychologische und hochschuldidaktische Fragen — aus. Die Beiträge berühren neben der Forschung zur Kunstpädagogik, aus der sie alle motiviert sind, verschiedene Theoreme und Disziplinen; die Reflektion dessen, was Kunst beziehungsweise Kunstpädagogik unternimmt, ist in Hinblick auf verschiedene Stufen, auf Schule und Hochschullehre, sowie auf nichtschulische und informelle Lern- und Erfahrungsräume betrachtet. Die Artikel dieser Ausgabe erkunden den Raum des Kunstpädagogischen also nicht nur hinsichtlich erziehungswissenschaftlicher Theorien, fachdidaktischer Vorschläge und Fachkonzepte. Jeder der Beiträge gibt einen Einblick in eine bestehende Forschung: zu Raumverschiebungen beim Lehren (Margot Zanni), zum künstlerischen Spazieren (Markus Schwander), zum Gebrauch von zirkulierenden Bildern (Helena Schmidt), zum räumlichen Zeichnen (Stefanie Stadler Elmer und Lea Weniger) und zum Reflektieren von Unterricht im Lehrpraktikum (Judit Villiger). Mit der Thematisierung von institutionalisierter und gebauter Geschichte, der kulturellen Rahmungen von Unterricht und dessen, was individuelle Subjekte mitbringen, gerät in radical räumlich letztlich auch die Norm und Normalität des Fachs in den Blick.

Möglich wurde es durch die weite Fassung der inhaltlichen Klammer, eine Vielfalt von Zugängen der aktuellen schweizerischen Forschung in der Kunstpädagogik anzuhören und einzubeziehen. Auch wenn das keine Vorgabe der Ausschreibung war, sind alle fünf Beiträge mit der Schweiz verbunden. Die redaktionelle Betreuung der Ausgabe hat der Vorstand übernommen; namentlich geht mein Dank an Beate Florenz, Sabine Gebhardt Fink, Gila Kolb und Anna Schürch. Vielen Dank auch an Evelyne Monney und Erin Mallon im Sekretariat, Camilla Franz als Korrektorin, Karin Vogt und Erin Mallon für die Übersetzung der Abstracts auf französisch beziehungsweise englisch sowie Wolfgang Jung für die Programmierung und das Einstellen der Inhalte.

 

Viel Vergnügen beim Lesen!

 

Seitens des Vorstands der SFKP

Bernadett Settele, Zürich, im Herbst 2019

Kurzbiografien der Autor_innen: