Ephemeres Vermitteln
Abstract:
Wir fragen uns für die SFKP Ausgabe 24: Wie wird das Wissen um Performancekunst, um das Performen von Körpern, in kritischer Weise vermittelt; im Rahmen eines inkludierenden Schulunterrichts an Kinder und Jugendliche, aber auch an angehende Lehrpersonen in der Kunstausbildung, weitergegeben. Wie wird Performance Kunst in politisch emanzipatorischer Absicht gelehrt als Verbindung feministischer Ansätze mit dekolonialen Theoremen und Antidiskriminierungsanliegen? Welche zukünftigen Handlungsräume eröffnet dieses spezifische Feld? Alle versammelten Beiträge legen ihre Analysen ephemerer Prozesse in diesem Themenfeld vor und nehmen Bezug zu aktuellen Diskursen rund um künstlerisch-edukative Projektarbeit, Praxisbeispiele und Interviews.

in Zusammenarbeit mit Elisabeth Nold-Schwartz

 

Die Nummer 24 dieser Zeitschrift mit dem Titel Ephemeres Vermitteln widmet sich der Frage wie Ephemera im Kontext der Performance Kunst vermittelt werden, welche politische Rolle Alltagsperformances aktuell einnehmen – etwa was Dekonstruktionen von Geschlecht anbelangt – und welche kunstpädagogischen Forschungsfragen sich daran anknüpfen lassen. Künstler:innen wie Florentina Holzinger betonen die neuerliche Aktualität einer kritischen Inszenierung von historisch als weiblich konnotierten Körpern. Autor:innen wie Angela Dimitrakaki insistieren auf ein Ernstnehmen von Intersektionalität – sprich mehrfacher Diskriminierung  - basierend auf Race, ethnische Zugehörigkeit, Religion, Migration von Künstler:innen und Kurator:innen (Dimitrakaki 2017: 3).  Dimitrakaki hält an anderer Stelle fest, dass im Rahmen der Kunstproduktion Klassen- wie Geschlechterunterschiede innerhalb des kapitalistischen Systems und der darin eingeschlossenen Share Economy nicht in ihren ganzen Auswirkungen thematisiert wurden.  (Dimitrakaki 2016: 6). In einem kapitalistischen System sind Klassenunterschiede kein Thema, da es auf der oberflächlich betrachteten Gleichheit der Chancen aller am System Beteiligten beharrt. So können Benachteiligungen nicht ausgeglichen werden und Ungerechtigkeiten tradieren sich über Generationen weiter (vgl. Bourdieu1982). Marina Vishmidt sieht diese Problematik in der Verflochtenheit universaler Normen des Emanzipativen mit der konkreten Segmentierung des Sozialen verbunden; ein Phänomen, welches, so die Autorin, aktuell autonome Kämpfe notwendig mache (Vishmidt 2020: podcast). Sie sieht dies im Arbeitssegment der Kunst folgendermassen begründet: “The artistic mode of production is so mystified and individualized that labor regulation could indeed only be performed by a much more omnipotent state than we are ever likely to have, and even that would hardly touch on the opaque and unregulated primary and secondary art markets.” (Vishmidt 2020: on curating: 8)

 

Mit dem Fokus auf Performance, Performativität und dem Performativen Akt in künstlerischen, schulischen und alltäglichen Vermittlungssettings entfaltet sich – aus unserer Sicht – ein Potenzial, diese normativen Strukturen sichtbar zu machen, sie aufzubrechen und die Rezipient:innen für alternative Handlungsräume in ihrem persönlichen Alltag zu sensibilisieren, indem sie ein Bewusstsein für die Performativität des eigenen Körpers schaffen. Während Gesellschaft auf einer Makroebene agiert, ist der eigene Alltag ein Mikrokosmos, der durch bewusstes performatives Eingreifen in einen Möglichkeitsraum transformiert werden kann (Bargetz 2016: 196). Dadurch knüpfen wir an politisch ästhetische Konzeptionen von Performance an wie sie zuvor Amelia Jones/Erin Silver (2016) und in den 90er Jahren queer Theoretiker:innen wie Teresa de Lauretis ebenfalls formuliert haben. Dies in der Überzeugung, dass im Zeitalter des «women, life, freedom» movements diese Ideen eine neuerliche Dringlichkeit erlangt haben.

Wir fragen uns deshalb im Folgenden wie dieses Wissen um Performancekunst, um das Performen von Körpern, in kritischer Weise vermittelt, im Rahmen eines inkludierenden Schulunterrichts an Kinder und Jugendliche, aber auch an angehende Lehrpersonen in der Kunstausbildung, weitergegeben werden kann und welche zukünftigen Handlungsräume dieses spezifische Feld eröffnet.

 

Ausgehend von unterschiedlichen Beispielen wie dem Unterrichtsmodell «Come and Show» (Clemens Fellmann), einer Reflektion zur Performanz mikroutopischer Momente (Antonia Röllin), über die Vermittlung von Performance Kunst im Rahmen des Formats ACT (Benjamin Sunarjo im Gespräch mit Gisela Hochuli) bis zur Cross-Dressing Erfahrung im Erziehungsalltag (Linda Luv) werden unterschiedliche Ansätze präsentiert und hinsichtlich ihrer pädagogisch-forschenden Implikationen interpretiert. Das Manifest «Artistic production as a modality for political action» bringt die politische Dimension bewusst-performativen Handelns zum Ausdruck und fordert die Leserschaft ihrerseits auf, aktiv zu werden (Sabine Gebhardt Fink mit Caroline Arnold, Thomas Baggenstos, Lila Egger, Martha Kapfhammer, Daria Leush, Kathrina Steffen, Shanmei Tan, Soohyun Jeong). Es stellen sich im Anschluss daran Fragen wie: Wie werden inkludierende Unterrichtssettings bestimmt? Wie vermittelt sich eigentlich Performance Kunst? Wie wird Performance Kunst in politisch emanzipatorischer Absicht gelehrt als Verbindung feministischer Ansätze mit dekolonialen Theoremen und Antidiskriminierungsanliegen? Alle versammelten Beiträge legen ihre Analysen ephemerer Prozesse in diesem Themenfeld vor.

 

An dieser Stelle scheint uns eine Klärung wichtig: etymologisch hängen die Begriffe Performance und Performanz, oder Performativität, eng zusammen, sie sind beide vom englischen Verb «to perform» abgeleitet, das so viel bedeutet wie durchführen, aufführen, vollbringen, verrichten und tun. Als Fachbegriffe bedeuten Performance und Performativität jedoch Unterschiedliches. Der erste Begriff bezeichnet allgemein das Aufführen, im Kontext der Kunst geht Performance auf das Konzept einer einmaligen Vorführung zurück, die im Gegensatz zum Theater in der Regel ohne festes Skript, aber mit einer raum-zeitlichen Planung in unterschiedlicher Form (Skizze, Text, Bildcollage etc.) auskommt und dadurch ohne repetierbare Handlungsmuster sowie oft auch ohne Sprache auskommt. Hierbei stehen hauptsächlich die Körper der agierenden Personen im Zentrum, insbesondere deren Interaktionen miteinander bzw. mit Raum und Objekten. Performativität wird heute zumeist als soziologischer Begriff benutzt, um die körperliche Dimension sozialer Identität zu bezeichnen, die Rollenkonzepte und Handlungsmuster umfassen.

In der Performancekunst erscheint die agierende Person als Subjekt, das heisst als Erzeuger:in einer Handlung. Aktuell mehren sich jedoch Ansätze, welche dem sozialwissenschaftlichen Verständnis folgen, dahingehend dass ein Subjekt überhaupt erst im Handeln entsteht, weil es beständig auf in den Körper eingeschriebene Identitätsmuster zurückgreift (vgl. Butler 1988). In der Musik wurden bereits Grundlagen zum körperlichen Erleben und Verstehen von Musik erarbeitet (etwa Oberhaus/Stange 2017). Der Performancekunst ist es ein wichtiges Anliegen, unbewusste, tradierte und sozial konstruierte Identitätskonzepte infrage zu stellen und zugleich alternative Handlungsformen zu entwickeln. In diesem Sinne ist es heute nicht möglich, über Performancekunst ohne die Kenntnis des Begriffes Performativität zu sprechen, denn die künstlerischen Aktionen machen diese sozialen Dimensionen des Körpers mit darstellenden Mitteln sichtbar, reflektierbar und regen Veränderungen an. Viele Performances wollen in dieser Weise Impulse vermitteln, sozial konstruierte und damit unbewusste Identität, in eine selbstgestaltete und selbstbewusste zu überführen. Als solche versteht sich das Medium Performance als eine Kunst der Selbstermächtigung und des Cross-Mappings (Angerer 2002; Fischer-Lichte  2012; Gebhardt Fink/Rust 2023).

 

Wie nun aber lässt sich Ephemeres der Performancekunst unterrichten? In der Musiktheaterpädagogik wurde in den 1980er Jahren bereits das Konzept des «Szenischen Unterrichtens»https://www.musiktheaterpaedagogik.de/03_03_03.html entwickelt. Die Beitragenden fragen: wie wird dies aktuell in der Vermittlung von Live Art, Performance Art oder Alltagsperformances umgesetzt? Und wieweit wird in Vermittlungssituationen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen mitberücksichtigt, dass diese sich noch im Prozess der Entwicklung ihrer körperlichen, geschlechtlichen und sozialen Identität befinden und eine Reflexion von Identität, die eine Distanzierung zu sich selbst voraussetzt, konterkarieren und performative Erkenntnisse bevorzugen? Können die Vermittlungsprojekte selbst vorherrschende Unterrichtskonzepte aufbrechen und diese zu Gunsten eines erfahrungsbasierten Lernens an Kunsthochschulen transformieren? 

 

Im Fokus dieser Ausgabe stehen verschiedene Themen wie z.B. Rollenverständnis, Machtverhältnisse, Interaktionsfelder zwischen Lehrperson und Institution, Prozessdokumentation, Kollaboration und ermächtigende, emanzipatorische Alltagspraktiken mit Bezug zu aktuellen Diskursen rund um künstlerisch-edukative Projektarbeit, Praxisbeispiele und Interviews.

 

Dieser Text steht unter der CC-BY-NC-ND 4.0 Lizenz

DOI: 10.5281/zenodo.8224501

 

Kurzbiografien der Autor_innen: