Schlagwörter: Audio , Handlungsmacht , Kleine Geräusche , Körperwissen , Künstlerische Forschung, Mehrstimmigkeit , Partizipation, Performativität, Situiertes Wissen , Vorstellungskraft
Ein Loch durchs Jetzt bezeichnet den Moment, in dem wir Abstand nehmen können von eigenen Realitäten und ein anderes Denken und Empfinden möglich wird. Solche Einbrüche einer anderen Form des Erlebens suchen wir in Handlungen und dem alltäglichen Dasein. Das Audiofeature Löcher durchs Jetzt (QR-Code) macht diese Suche erfahrbar. Sieben Menschen geben Einblick, während sie uns an ihre Orte und durch ihre Handlungen führen. Flüchtige Momente und ihre Bruchstellen, welche gleichzeitig das Innen und Aussen verbinden können, werden in dieser künstlerischen Forschungsarbeit zum Ephemeren hörbar.
Das materialoffene Sammeln
Während den sieben Begegnungen wird durchgehend aufgezeichnet, es werden Tonaufnahmen gemacht und mit der Subjektivkamera auf dem Kopf wird gefilmt. Wichtig ist der Austausch vor Ort: in der Küche, im Atelier, mitten im Fluss, am Feuer, in der Nacht. Unsere Körper sind dabei unverzichtbare, hochsensible Resonanzwerkzeuge. Sie können herausfinden, wann und wo sich, vielleicht gerade jetzt, ein Loch aufgetan hat. Das Resonanzwerkzeug Körper bestätigt mir später, während der umfangreichen Materialsichtung (durch Erinnerungen und verinnerlichte Erfahrungen), ob sich der gesuchte Moment im Bild- oder Tonmaterial erkenntlich macht.
Das Teilen im Zusammensein und das gemeinsame Erleben von Raum und Aufmerksamkeit, macht das Flüchtige spürbar und schafft die Grundlage, um Worte dafür zu finden (vgl. Heathfield 2005). Wir haben verschiedene Bezeichnungen für die Löcher durchs Jetzt und sprechen unter anderem von individueller Anarchie und dem sich selbst aufs Spiel setzen. Auf der Sprachebene macht sich bemerkbar, wie die kurzen und flüchtigen Momente unsere Körper zu durchdringen scheinen und dabei angeeignet werden. Die unterschiedlichen Bezeichnungen und das konstante Umkreisen der Löcher fordern assoziatives Denken. Das Zusammenführen von assoziativem Denken und Empfinden, Mehrstimmigkeit und beständiger Kommunikation über die Löcher, und der Annäherung an die Sprache des Gegenübers, machen die anfänglich winzigen Durchbrüche sichtbar.
Kleine Geräusche sind grosse Indikatoren
Das Audiofeature ist eine bewusst gewählte Form, um die erwähnte Vielfalt der Erscheinungen und die Lebendigkeit der Inhalte erlebbar weiterzugeben. Durch die Klänge der Stimmen und Orte werden Farben und Stimmungen unmittelbarer transportiert. Es sind kleine Reaktionen, wie ein Lachen, ein Seufzen, ein Stocken beim Atmen, gleichzeitig mit ungewohnten Geräuschen aus der Umgebung, welche uns den flüchtigen Moment andeuten.
Dieses handlungsbasierte Format macht es mir möglich, theoretische Überlegungen mit empirischen und praktischen Erfahrungen zu verbinden und kann als eine künstlerische, materialoffene, explorative und partizipative Suche bezeichnet werden. Aufbauend auf künstlerischer Forschung wird der Output bewusst nicht schriftlich weitergegeben, auch mit dem Ziel, die radikale Gleichgewichtung von Erfahrungen zur eigenen und geteilten Wissensproduktion zu stärken. Im Impressum der Webseite sind unbearbeitete Literatur- und Textlisten hinterlegt. Zentrale Themen der Forschungsarbeit sind der Affekt (vgl. Angerer 2017), philosophische Überlegungen (vgl. Nancy 2017, Bataille 2017) aktuelle kunstwissenschaftliche Theorien zu performativen Vorgehensweisen (vgl. Heathfield 2005) und Positionen des Ecocriticism, wie Karan Barad (vgl. Brown/Siegel/Blom 2020) , Bruno Latour (vgl. Latour 2009) oder Donna Haraway (vgl. Haraway 1988), welche neue Formen der Wissensproduktion ansprechen.
Ein Feature von Antonia Roellin in Zusammenarbeit mit Benjamin Pogonatos, (Musik, Ton und Technik), Berbel Schwarz (Off-Stimme). Unterwegs mit: Toni, Manuel Hollinger, Elisabeth Nold Schwartz, Piero Good, Chris Regn, Ermis Paravalos, Samuel Herzog und Der/die/das Friseur.
Dieser Text steht unter der CC-BY-NC-ND 4.0 Lizenz
DOI: 10.5281/zenodo.8224607