Alltägliche Foto-Handlungen, Beobachtungen, Fragen - ein Einstieg
Abstract:
Mein Beitrag zeigt exemplarische Beobachtungen von alltäglichen Foto-Handlungen bei Adoleszenten und Erwachsenengruppen. Die Beobachtungen werden anhand innerer Bilder verschriftlicht. Ausgehend von diesen Beobachtungen werden Fragen formuliert, die eine kritische Position gegenüber dem Medium Fotografie und der Gesellschaft einnehmen. Der Schlussteil des Textes stellt die unterschiedlichen Foto-Handlungen zur Diskussion und lässt Erkenntnisse der Masterarbeit zu Valie Export und Martha Rosler einfliessen. Eine kunstpädagogische Kontextualisierung bildet den Abschluss des Textes und soll so alltägliche Handlungen aus einer vermittelnden Perspektive heraus gewichten.

Vorliegender Beitrag zeigt exemplarische Beobachtungen von alltäglichen Foto-Handlungen bei Adoleszenten und Erwachsenengruppen auf. Aus diesen Beobachtungen werden Fragen formuliert, die teils eine kritische Position gegenüber dem Medium Fotografie und der Gesellschaft einnehmen. In einem mediensoziologischen Kontext nähern sich die Beobachtungen und die Fragen der Anwendungsforschung an. Die Analyse medialer Inhalte und deren praktischen Gebrauch sind dabei im Fokus. Der Schlussteil des Textes stellt die unterschiedlichen Foto-Handlungen zur Diskussion und lässt Erkenntnisse der Masterarbeit zum Thema Kunst als Kritik an Genderstereotypen und an Idealbildern des Privaten einfliessen.

Das methodische Vorgehen des Beitrages basiert auf einem empirischen, selbstbeobachtenden Ansatz, der sich im Bereich Visual Literacy Darunter verstehe ich das Analysieren und das Interpretieren der Bilder aufgrund meines persönlichen Hintergrundes. verorten lässt. Dieses Vorgehen weist eine methodische Parallelität auf, die in enger Verbingung zu meiner Masterthesis, zum Thema Kunst als Kritik an Genderstereotypen und an Idealbildern des Privaten, eine Analyse der künstlerischen Arbeiten, The Gray Drape von Martha Rosler und Aus der Mappe der Hundigkeit von Valie Export, steht. Vgl. Stuppan, Flurina (2019): Kunst als Kritik an Genderstereotypen und an Idealbildern des Privaten. Eine Analyse der künstlerischen Arbeiten, the Gray Drape von Martha Rosler und Aus der Mappe der Hundigkeit von Valie Export, Schriftliche Masterthesis, Master of Arts in Fine Arts – Vertiefung Image Practice – Major Art Teaching, Hochschule Luzern – Design & Kunst bei Prof. Dr. Sabine Gebhardt Fink Auch hier ist die eigene Beobachtung, deren Verschriftlichung und das Formulieren von Fragen im Vordergrund.

In der Masterthesis beschäftigte ich mich nicht mit realen alltäglichen Handlungen, sondern mit zwei künstlerischen Positionen. Dennoch geht es in beiden Analysen um das Medium der Fotografie und ihre Strategien, gesellschaftliche Verhältnisse zu untersuchen. Die gesellschaftlichen Verhältnisse sind deshalb von zentraler Bedeutung, da sie Machtverhältnisse, Rollenverteilung sowie öffentliche und private Räume in einem vereinen.

Aus kunstpädagogischer Sicht sehe ich in der beschriebenen Methode einen starken Bezug zum ästhetischen Arbeiten. Mein Vorgehen war geprägt von einer Ungewissheit und einer starken Abhängigkeit von mir selbst. Vgl. nach Klemenc, Judith (2009): Subjektversionen, Möglichkeiten der Individualisierung in der Kunstdidaktik, Athena, Bamberg, S.53. Dabei passierte die ästhetische Arbeit „im wahrnehmenden, handelnd-reflektierenden Subjekt“. zit. nach Klemenc, Judith (2009): Subjektversionen, Möglichkeiten der Individualisierung in der Kunstdidaktik, Athena, Bamberg, S.53. Da ich drei, im Setting völlig unterschiedliche Foto-Handlungen erlebt habe, wurde ich auch auf unterschiedlichen Ebenen angesprochen. Dabei geht es aber immer um ein Abgleichen mit meiner eigenen Wahrnehmung. Welchen Bezug stelle ich zu mir in der Rolle als junge Frau, als Mutter oder als Pubertierende her? Dadurch, dass ich mich der quantitativen, empirischen Forschung bediene und das Prinzip der ästhetischen Arbeit aufgreife, ist folgender Beitrag ein Versuch, das Medium Fotografie, aus heutiger Sicht, durch einen künstlerischen und persönlichen Zugang erfahrbar zu machen.


Alltägliche Foto-Handlungen beobachten - die Grenzen der Kamera

Der vorliegende Text gilt als Momentaufnahme von Beobachtungen, die ich in meinem Alltag als Künstlerin mache. Alle Beobachtungen haben einen Zusammenhang mit Foto-Handlungen mit einem Smartphone. Vor dem Verfassen dieses Textes habe ich mir überlegt, wo ich solche Situation antreffen könnte. So listete ich touristische Attraktionen, Supermärkten, Pausen- und Spielplätze auf. Während dem Aufzählen wurde mir aber schnell bewusst, dass es schwierig ist, genaue Orte zu benennen, da das Smartphone ein täglicher Begleiter ist und deshalb ortsunabhängig eingesetzt wird. Foto-Handlungen finden an vielen herkömmlich als öffentliche und halböffentliche bezeichnete sowie auch in privaten Räumen statt. Aktuelle Theoretiker*innen wie Donna Haraway stellen diese moderne Unterscheidung in Frage und gehen davon aus, dass es gerade durch die fortschreitende Technologie keine trennscharfen Linien mehr gibt und dass eine komplette Vermischung der unterschiedlichen Räume stattfindet. Vgl. Haraway, Donna (1995): Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Campus, Frankfurt a. M. und New York, S. 33- 72.

Mit dem Entscheid, Foto-Handlungen im Alltag zu beobachten und diese anschliessend zu notieren, fand für mich zugleich eine Sensibilisierung für diese Alltagshandlungen statt. Ich musste sie kaum suchen, sondern ich traf sie innerhalb von drei Wochen zufällig an. Als freischaffende Fotografin gelingt es mir, aussagekräftige Bilder zu produzieren oder zu reproduzieren. Ich habe mich aber bewusst gegen zusätzliches Notieren oder Fotografieren beim Beobachten der Szenen entschieden, da ich nicht in die Situationen eingreifen wollte. Das Eingreifen findet auch dann statt, wenn ich aus dem Versteckten mein eigenes Smartphone zücken würde, um die unterschiedlichen Handlungen festzuhalten. Ich habe bewusst die Rolle einer stillen Beobachterin gewählt, um so jeglichen Einfluss ausschliessen zu können. Die vorgestellte Methode lässt sich in der Soziologie mit dem Vorgehen des Shadowings vergleichen. Eine Methode, die im Gegensatz zur klassischen teilnehmenden Beobachtung, versucht aus der Distanz so wenig Einfluss wie möglich auf das Geschehen zu nehmen.
Vgl. Lukas, Sattlegger; Larissa, Deppisch; Markus Rudolfi (2019): Grenzbeziehungen von Praxisgemeinschaften. Praktiken und ihre Operationalisierung in der Technologieentwicklung zur sekundären Rohstoffgewinnung. Tagungsband der 15. Tagung der Nachwuchsgruppe Umweltsoziologie, Methoden Umweltsoziologischer Forschung. ISOE-Materialien Soziale Ökologie. 56/2019, S. S. 82. online unter: https://ngumweltsoziologie.wordpress.com/publikationen/methoden-umweltsoziologischer-forschung-tagungsband/ (09.11.2020)
Hinzu kommt, dass ich bereits bei der ersten Auflistung der verschiedenen Foto-Handlungen ein inneres Bild hatte, wie diese aussehen könnten. Durch meine inneren Bilder fühlte ich mich besetzt und zu wenig offen für die neuen Situationen, die ich antreffen würde. Weiter wollte ich die Handlung stressfrei beobachten. Es war mir wichtig, den meist kurzen Moment, den Akt des Fotografierens, möglichst umfassend wahrzunehmen, um so auch einen möglichst klaren Beschrieb verfassen zu können. Ich hätte mich bei dieser Selbstbeobachtung zu stark abgelenkt gefühlt, durch den herrschenden Zwang, mein Smartphone zur Hand nehmen zu müssen, um ein Foto zu machen.

Deshalb geht es also in den vorliegenden Beobachtungen um innere Bilder, die vor der Foto-Handlung geblieben sind. Es geht um die Erinnerung an die Situationen und nicht um das eigentliche Bild. Es geht um eine genaue Beobachtung des Aktes des Fotografierens, um das Moment, in dem sich jemand entschliesst, das Smartphone in die Hand zu nehmen, die entsprechende Applikation öffnet, eine gewisse physische Distanz zum Smartphone einnimmt, sei es auch nur eine Armlänge, und auf den Auslöseknopf drückt; sich anschliessend aus der fotografischen Haltung löst und sich der nächsten oder der vorherigen Beschäftigung wieder zuwendet. 

Es sind viele innere Bilder, die von den Beobachtungen zurückgeblieben sind und gewiss habe ich nicht den Anspruch, alle umfassend wiederzugeben. Dennoch, es ist ein Versuch mit Worten, die Foto-Handlung möglichst genau zu beschreiben. In der Hoffnung, dass die Lesenden dieses Beitrags ein eigenes inneres Bild entwickeln können. So kann das Erkennen von Mustern im Vordergrund stehen, um anschliessend einen Transfer auf sich selber machen zu können. Was sich in der eigenen künstlerischen Praxis und in vermittelnden Kontexten verfestigen kann. Wie sich dieser Zugang zeigt, kann mit vorliegendem Beitrag, der als Einstieg in die Thematik und die Methodik zu verstehen ist, nicht abschliessend festgehalten werden.

  

Beobachtung 1

Die Situation geschah plötzlich. Die drei Frauen am Tisch im Restaurant neben uns zahlten und positionierten sich für ein Gruppenselfie. Sie brauchten sich nicht lange abzusprechen. Es war gleich zu Beginn klar, welche der jungen Frauen das Foto machen würde. Dennoch, die beiden anderen Frauen hatten ihr Smartphone auch in der Hand. Dies war gut hinter ihrem Rücken versteckt, so dass es auf dem Bild nicht sichtbar war. Da sie nicht alle gleich gross waren, stellten sie sich so hin, dass die kleinste der Frauen in der Mitte stand. Alle zupften kurz an ihren Kleidern und strichen sich über ihr Haar. Die beiden Frauen am Rande drehten ihren Oberkörper leicht ab und gingen dabei leicht in die Knie, sodass alle drei Gesichter auf der gleichen Höhe waren. Für die Fotoserien wählten sie die Frontkamera.

Die Frau, welche auch die Initiative für das Gruppenselfie ergriffen hatte, streckte ihren Arm mit der Kamera vor sich aus. Dabei achtete sie darauf, dass sie ihren Arm leicht über den Augen ausstreckte. So dass die Fotos aus einer leichten Vogelperspektive aufgenommen werden konnten. Während der ganzen Aufnahmezeit bewegte sie ihren Arm kaum. Das Smartphone war wie auf einem Stativ platziert. Zwischen den Aufnahmen entspannten die drei Frauen ihr Lächeln kurz durch ein Duck-Face oder einen Schmollmund. Nach einer Serie

von circa fünf Aufnahmen, schauten die drei Frauen gemeinsam auf das Display. Sie schienen kurz durch die Bildserie zu wischen und waren einstimmig nicht zufrieden mit ihren Bildern. Sie schüttelten den Kopf und wischten zum nächsten Bild. Über eines der Bilder mussten sie lachen. Sie positionierten sich wieder. Strichen ihr Haar glatt, gingen in die Knie und machten zwischen jeder Fotoaufnahme wieder ein Duck-Face oder einen Schmollmund.

Sie schauten die Bilder erneut an, und entschieden sich für eines der Bilder. Es schien so als ob sie sich das Foto gleich zuschicken würden, denn die anderen beiden Frauen schauten auf ihr Smartphone und lächelten. Die anderen Restaurantbesucher schenkten der Fotoaufnahmen wenig bis keine Beachtung. Einige schauten schnell auf, wendeten sich aber gleich wieder den eigenen Gesprächen oder ihrem Essen zu.

Anhand dieser Situation stellte ich mir folgende Fragen: Wie wird bestimmt, wer das Foto macht? Wie wichtig ist das Ritual des Foto-Machens für die soziale Zugehörigkeit? Welche Rollenbilder werden beim Machen eines Selfies gefestigt? Und: Welcher Codes bedienen sich junge Frauen, welche verwenden junge Männer? Wird die Erinnerung an diesen Abend an das Foto geknüpft, das sie ausgewählt haben?

 

Beobachtung 2

Es war auf dem Spielplatz. Vor der grossen Korbschaukel stand eine Mutter, die die Schaukel anstiess, auf welcher ihre beiden Kinder sassen. Gleichzeitig machte sie mit ihrem Smatphone Fotos von den Kindern. Da sich die Schaukel immer wieder hin und her bewegte, schien es ein schwieriges Unterfangen zu sein, Fotos zu machen und ab und zu auch noch der Schaukel Schwung zu geben. Der Mutter war es wichtig, dass die Kinder lachend auf dem Foto zu sehen waren. Sie sagte immer wieder „Chees“ oder „Rübli“, was die Kinder wiederholten und so ihre Mundwinkel zu einem Lachen formten. Die Mutter wiederholte immer wieder die Wörter, hielt das Smartphone in die Höhe und drückte auf den Auslöseknopf. Zwischendurch schaute sie auf das Display, um die Fotos durchzusehen. Sie wiederholte das Fotografieren und das Anstossen der Schaukel einige Male. Zwischendurch schien sie die Bilder anzusehen. Plötzlich stoppte sie die Schaukel und sie wies die Kinder an, auf die Rutschbahn zu gehen. Sie schaute wieder auf ihr Smarthone. Die Kinder rutschen nicht lange und waren bald wieder bei ihrer Mutter. Die Mutter schaute immer wieder auf das Display. Die Kinder wollten auch daran teilhaben. Da sie ihnen das Display nicht zeigte, begannen sie vor ihr herum zu stampfen und an ihren Kleidern zu ziehen und sagten. „Ich will die Föteli auch sehen“. Die Mutter gab nach, kniete sich hin und zeigte den Kindern die Bilder. Für einen kurzen Moment schauten sie sich die Bilder an. Mit ihrem Zeigefinger wischt die Mutter durch die Bilder und kommentierte diese. Die Kinder sassen daneben und sagten nichts.

Mir stellen sich bei dieser Szene folgende Fragen: Welches Recht haben die Kinder an ihren Bildern, auch wenn die Bilder ihre Eltern gemacht haben? Wann und wo haben die Kinder den Zugang zu ihren Bildern? Wie stark beeinflusst das Fotografieren das Spielverhalten der Kinder? Wie nehmen die Kinder das Verhalten der Begleitpersonen an den Smartphones war? Welches Verständnis von Fotografie wird durch die Mutter gefördert?


Beobachtung 3 

Da wir in einem Mehrfamilienhaus wohnen ist unser Garten für mehrere Familien zugänglich. An einem hitzigen Sommermittag lag ein Nachbarsmädchen zusammen mit einer Freundin in der Hängematte und beide waren mit ihrem Smartphone beschäftigt. Beide sind um die dreizehn Jahre alt. Sie lagen sich in der Hängematte gegenüber. Eines der Mädchen begann das andere zu fotografieren. Es schien fast so als brauche sie ein passendes neues Profilbild. Die Fotografierte lächelte brav in die Kamera, drehte mal den Kopf in die eine und dann in die andere Richtung und folgte den Anweisungen ihrer Freundin. Die Fotografierende streckte ihr das Smartphone zu und zeigte ihr die Bilder. Die Fotografierte war aber mit der Bildserie scheinbar nicht zufrieden. Sie wiederholten die Aufnahmen. Die Fotografierte hatte irgendwie keine Lust mehr immer brav lächelnd in die Kamera zu schauen und begann Grimassen zu schneiden. Das fanden beide lustig und sie begannen sich, anfänglich mit Grimmassen später in allen möglichen Positionen zu fotografieren. Sie blieben immer in der Hängematte und machten gegenseitig Fotos voneinander. Immer mit dem Fokus auf das Gesicht, öffneten sie ihr Haar, liessen es über das Gesicht fallen, hielten die Hände vor das Gesicht, streckten sich die Zunge raus und hielten sich die Zehen ins Gesicht. Sie wechselten laufend zwischen dem Fotografieren und dem Betrachten der Bilder ab. Sie hatten viel zu lachen und zu kichern. Sie setzten sich zwischendurch in der Hängematte auf und liessen sich wieder in sie hineinfallen, schaukelten und hielten sie wieder an. Mal waren sie mit dem Smartphone nahe am Gesicht des Andern mal weiter weg. Nach einer gewissen Weile hatten sie genug vom gegenseitigen Fotografieren. Sie rappelten sich aus der Hängematte auf und gingen ins Haus.

 

Bei dieser Szene frage ich mich: Kann ein so spielerischer Umgang mit der Fotografie an allen Orten gleichermassen stattfinden? Braucht es dazu einen geschützten Raum? Was passiert mit den Bildern, die nicht der Norm entsprechen? Verhalten sich Mädchen und Knaben in diesen spielerischen Umgangsformen gleich? Wie wichtig ist diese spielerische-entdeckende fotografische Praxis für die Entwicklung der Jugendlichen und deren Selbstbestimmung?

Zusammenfassung und Ausblick

Bei allen drei exemplarischen Beobachtungen spielt die unmittelbare Überprüfung der gemachten Bilder eine zentrale Rolle. Meistens findet eine Serie von Aufnahmen statt, die in fast allen Beobachtungen wiederholt wird. Der stetige Abgleich mit den eigenen Vorstellungsbildern, welche sich in vorherrschenden Codes zeigen, scheinen dafür ausschlaggebend zu sein. Besonders Beobachtung 1 und Beobachtung 2 zeigen das sehr deutlich, da Ergebnisse offensichtlich verworfen wurden und neue Aufnahmen nötig schienen. Hinzu kommt, dass beide Beobachtungen sehr zielgerichtete Handlungen beinhalten. Bei der Beobachtung 1 lässt sich das am gleichen Verhalten der drei Frauen ablesen. Zwischen den Aufnahmen entspannten sie ihre Gesichter immer wieder durch ein Duck-Face oder einen Schmollmund und sie strichen ihre Kleider sowie ihr Haar glatt – was auf ein koordiniertes Posieren hinweist.

In der Beobachtung 2 zeigt nur die Mutter eine zielgerichtete Handlung, indem sie die Kinder dazu anweist, die Wörter zu wiederholen, die sie vorsagt. Die Kinder scheint der Akt des Fotografierens kaum zu interessieren. Als es aber um das Betrachten der Bilder geht, waren sie jedoch sehr aktiv, um daran teilhaben zu können.

Wenn ich die Beobachtungen anhand eines lustvollen und entdeckenden Fotografierens prüfe, so zeigt sich, dass sich lediglich Beobachtung 3 diesem Konzept nähert. Die Beobachtung 1 hat für die drei jungen Frauen sicherlich amüsierende Komponente. Gelacht wird mehr über die bereits vorhandenen Bilder als über die Foto-Handlung. Bei der zweiten Beobachtung haben die Kinder keinerlei fotografischen Handlungsspielraum. Sie haben lediglich die Aufgabe für das Bild zu lächeln, was von der Mutter verlangt wird. Lustvolle und entdeckende Komponente kann ich auch im späteren Verlauf der Beobachtung nicht erkennen. Die Beobachtung 3 bringt eine Veränderung im Verhalten der beiden Agierenden mit sich. Sie tauschen ihre Rollen und schaffen es, klare Bildvorstellung zu durchbrechen und Neues auszuprobieren. Welche Bedeutung der Ort dazu beiträgt, gilt es weiter zu untersuchen. Wichtig scheint mir, dass sich die beiden Agierenden sehr wohl und sicher an diesem Ort zu fühlen scheinen. Die Hängematte kann in sich verschlossen werden und bildet damit einen neuen Raum, wobei der eigene Körper teilweise oder ganz verhüllt wird. Der Garten hat eine Begrenzung durch die Büsche, die ihn von dem nächsten Grundstück und der Strasse trennen.

Sicherlich lassen sich die hier beschriebenen Situationen im Alltag vermehrt wiederfinden und auf weitere beliebige ausweiten. Auffallend ist, dass ich ausschliesslich Frauen oder Mädchen beim Fotografieren beobachtet habe. Dies wirft die Frage auf, welche Rollenbilder hier tradiert oder verworfen werden. Setze ich die gemachten Beobachtungen in Bezug zu meiner Masterarbeit, dann wird deutlich, dass der Zugang durch bekannte Orte, Räume und Machtverhältnisse ausschlaggebend ist, um mich als Beobachterin zu involvieren. Erst dann beginne ich die Muster zu erkennen und sie zu hinterfragen.

Martha Rosler thematisiert durch The Gray Drape, 2008, Idealbilder des Privaten. Die Fotomontage zeigt eine klare Unterscheidung von zwei Räumen. Der häusliche Innenraum, indem eine Frau ein grosses Tuch oder Vorhang in die Höhe schwingt, steht dem von Krieg und Elend geprägte Aussenraum gegenüber. Es kann auch als der Vorder- und Hintergrund des Bildes gelesen werden. Über die Frau mit dem Vorhang schafft Martha Rosler einen direkten Zugang zum Bild und leitet so den Blick der Betrachtenden. Bei dem hier kurz beschriebenen Teil meiner Masterarbeit kann ich mich durch die westlich gekleidete Frau, durch das Mobiliar und den Innenraum identifizieren: auch die im Aussenraum dargestellte Krieg Szenerie kommt mir aus den Medien bekannt vor. Betrachte ich die beiden Räume auf einen Blick, so löst das ganze Bild etwas Verstörendes aus. Denn ich fühle mich zwischen den beiden Bildteilen hin und her geworfen. Es geht nicht mehr um das eine oder das andere Bild, sondern darum, wie die beiden Bilder und somit der Innen- und der Aussenraum miteinander interagieren. Als Betrachter*in leiste ich dazu einen wichtigen Beitrag. An dieser Stelle beginnt mein Vorwissen und meine eigenen Erfahrungen einen enormen Einfluss auf mein Lesen und Verstehen der Bilder zu nehmen. Plötzlich kommt der Krieg ins Wohnzimmer. Das Wohnzimmer, indem ich normalerweise alles kontrollieren kann und mir alles vertraut ist, wird immer kleiner. Der Krieg, der sonst immer nur aus der Ferne in einem klaren Rahmen, durch den Fernseher, das Smartphone oder die Printmedien betrachtet wird, wird unmittelbar und unendlich gross. Er beginnt, den Innenraum und mein Privates zu bedrohen. Das Private und das Öffentliche ist im Moment der Gleichzeitigkeit nicht mehr klar voneinander zu trennen. Die scheinbar bekannte Welt beginnt sich zu durchlöchern und bringt den Krieg ganz nahe an mein Wahrnehmen heran. Diese Durchlöcherung ist der Auslöser, damit das Bild gleichzeitig fasziniert und erschreckt.

Bei Valie Export stehen mit zwei Fotografien, Aus der Mappe der Hundigkeit, 1968, Genderstereotypen im Vordergrund, die es zu hinterfragen gilt. Auf den beiden Fotografien Aus der Mappe der Hundigkeit, 1968, ist Valie Export und ihr damaliger Partner Peter Weibel zu sehen, wie sie zusammen durch die Innenstadt von Wien spazieren. Sie führt Peter Weibel wie einen Hund an einer Leine. Auf den ersten Blick werde ich in die Bilder Aus der Mappe der Hundigkeit involviert, weil sie eine komische und ungewohnte Situation darstellen. Auf den zweiten Blick kann ich die klare Trennung der Machtstrukturen lesen. Diese bewegt sich nicht nur in den Machtverhältnissen zwischen Frau und Mann, sondern lässt sich auch durch die gezielte Wahl des Aufnahmeortes wiederfinden. Zu dieser klaren Trennung findet aber auch eine Vermischung des privaten und des öffentlichen Raumes statt. Valie Export und Peter Weibel sind beide unauffällig und zivil gekleidet. Dadurch fallen sie nicht auf und scheinen den übrigen Passanten zugehörig. Durch ihre Handlung machen sie aber auf eine häusliche Problematik aufmerksam und somit eine private Angelegenheit sichtbar, die sie in den öffentlichen oder - wie beschrieben -  in den halböffentlichen Raum transportieren.

Meine hier vorgestellten Herangehensweisen in Alltägliche Foto-Handlungen, Beobachtungen, Fragen – ein Einstieg, kann ich im erweiterten heuristischen Modell künstlerischer Tätigkeit von Eva Koethen situieren. Vgl. Koethen, Eva (2013): Kunst im Bildungsprozess. Art in the Educational Prosess, Verlag Dr. Kovać. Hamburg, S. 75. Das Modell zeigt einen dynamischen teilweise auch gleichzeitigen Prozess. Dabei zeige ich durch die Beobachtungen, eine Methode der Wahrnehmung auf, die sich im Beziehungsfeld zwischen Denk- und Handlungsprozessen widerfindet. Ausgehend vom Ereignis, den alltäglichen Foto-Handlungen, habe ich durch Offenheit und wache Aufmerksamkeit versucht, sorgfältig zu beobachten und präzise zu beschreiben und zu sammeln, um anschliessend durch ein Ordnen und ein Vergleichen, Zusammenhänge erkennen zu können und diese weiter zu analysieren. Dieser Einstieg kann also in verschiedene Richtungen angewendet werden. Vgl. Koethen, Eva (2013): Kunst im Bildungsprozess. Art in the Educational Prosess, Verlag Dr. Kovać, Hamburg, S. 75. So geht es in dieser künstlerisch-wissenschaftlichen Vorgehensweise darum, künstlerisches Denken und Handeln von mehreren Seiten her einzukreisen. Vgl. Koethen, Eva (2013): Kunst im Bildungsprozess. Art in the Educational Process, Verlag Dr. Kovać, Hamburg, S. 41. Hier kann ein Bezug zur Grounded Theory gezogen werden. Die Forschung wird als Prozess verstanden, die sich aus kontinuierlichem Wechsel von Handeln und Reflexion zusammensetzt. Diese reflexive Prozesssteuerung lässt sich auf Vergangenes zurückführen. In zeitlicher Parallelität und wechselseitiger Abhängigkeit geschieht die Datenerhebung- analyse und die Theoriebildung. Dabei wird keiner der Prozesse als abschliessbar aufgefasst. Die Theorie bildet sich kontinuierlich. Vgl. Jörg, Strübing (2008): Grounded Theory. Zur sozialtheoretischen und epistemologischen Fundierung des Verfahrens der empirische begründeten Theoriebildung, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, S. 14ff.

Um dieses exemplarische Beispiel in den kunstdidaktischen Kontext überführen zu können, kann es gemäss Judith Klemenc sinnvoll sein, ästhetische Arbeiten in der Gruppe zu entwickeln. Diese Gruppe braucht es für einen Abgleich und ein Orientieren im eigenen Schaffensprozess. Weiter wird in ihrem Gespräch mit Gert Selle deutlich, dass über die gemachten Erfahrungen geschrieben werden soll. Sie können so als Austausch genutzt werden. Vgl. nach Klemenc, Judith (2009): Subjektversionen, Möglichkeiten der Individualisierung in der Kunstdidaktik. Athena, Bamberg, S. 86. Da die Foto-Handlung im Vordergrund steht, spielt das gemachte Bild und dessen Identifikationsgehalt keine zentrale Rolle. Gert Selle und Judith Klemenc diskutieren in ihrem Gespräch darüber, wie Jugendliche einen kritischen und spielrisch-offenen Zugang zur alltäglichen Bilderwelt erfahren sollen. Besonders wichtig scheint ihnen dabei zu sein, keine Überforderung hervorzurufen. Das Beobachten der verschiedenen Handlungen lassen auf einer reflexiven Ebene einen spielerischen und entdeckenden Umgang mit alltäglichen Fotografien zu, was Neues und Überraschendes hervorbringen kann. Ausgehend von der Beobachtung 3 habe ich mögliche Hypothesen formuliert, die es weiter zu klären gilt. Um Kindern und Jugendlichen einen entdeckenden Zugang zu Foto-Handlungen zu ermöglichen, ist es wichtig, die eigene Wahrnehmung in Bezug auf unterschiedliche Räume zu schärfen. Dabei spielen die Fragen, wo fühle ich mich wohl und sicher, eine zentrale Rolle. Die Durchmischung von öffentlichen, halböffentlichen und privaten Räumen, sei es physisch oder virtuell, sollte geklärt und erfahrbar gemacht werden.

Um einen entdeckenden Zugang zu fördern, braucht es genügend Zeit. Klar vorgegebene Bildvorstellung können den spielerischen und entdeckenden Umgang mit dem Smartphone hemmen. Der spielerische und entdeckenden Umgang kann nur dann stattfinden, wenn sich die beteiligten Personen gut kennen und einander vertrauen.

Dabei ist die Fragestellung „wie sich Menschen beim Fotografieren mit dem Smartphone verhalten“ im Fokus.

Literatur

Wagner, Elke (2014): Mediensoziologie, Konstanz, UVK Verlagsgesellschaft, S. 25.

Binder, Ulrich und Vogel, Matthias (2015): Bilder verstehen. Studie zur Visual literacy in der Schweiz. Zürich, Limmat Verlag, S. 32.

Klemenc, Judith (2009): Subjektversionen, Möglichkeiten der Individualisierung in der Kunstdidaktik. Athena, Bamberg, S. 89.

Kurzbiografien der Autor_innen: