Drei Fragen an... Simon Kindle
Abstract:
Künstlerisch - kollaborative Praxen, freie und institutionelle Vermittlung von Kunst & Design, das Abstecken von neuen Forschungsfeldern – der Forderung nach doppelten oder vielmehr multiplen Kompetenzprofilen stellen sich sowohl Studierende, wie auch Mitarbeitende an Hochschulen im Bereich der Kunstvermittlung. Wo greifen diese unterschiedlichen Felder ineinander? Welche Schnittstellen inhaltlicher und methodischer Natur ergeben sich? Simon Kindle beantwortet folgend drei Fragen in Bezug zu seinen Erfahrungen im Hochschulkontext und als freier Künstler.

Aktuelle Forschungsdebatten in der Kunst streichen die Rolle von transdisziplinären Ansätzen, kollaborativem Arbeiten sowie den Einbezug von unterschiedlichsten Sichtweisen heraus – siehst du hier Bezüge zur Kunstpädagogik-Forschung, welche ihr im Studiengang gerade neu ausrichtet? Welchen Stellenwert hat deine künstlerische Praxis in diesem Kontext?  

 

Die im Major MAT angesiedelte Lehramtsausbildung und die damit verbundene Auseinandersetzung mit Kunstpädagogik sind an der HSLU – D&K eng verknüpft mit den Inhalten des Master Kunst. Unsere Studierenden beschäftigen sich kritisch mit aktuellen Diskursen, sowohl im Feld der Kunst als auch im Kontext des Lernens und Lehrens. Dementsprechend greifen diese anderenorts strukturell getrennten Felder auf eine äusserst beflügelnde Art und Weise ineinander. Sie funktionieren dabei in keiner Weise als in sich geschlossene Formen der Theoriebildung, sondern als Referenzrahmen für die eigentliche künstlerische wie vermittelnde Praxis, welcher den Ansätzen des kollaborativen Arbeitens mit einer hohen Sensibilität für individuelle Sichtweisen Rechnung trägt. In dieser sehr praxisnahen Auseinander-setzung werden kunstpädagogische Positionen und konkrete Unterrichtsprojekte verhandelt. Die Vermittlungsstrukturen folgen flachen Hierarchien. Im Zentrum steht ein gemeinsames Erarbeiten von Inhalten, die an die Lebensrealitäten der Studierenden anschliessen und mittels künstlerischer Praktiken und Strategien aufgearbeitet werden. Letztere entsprechen in vielen Fällen der künstlerischen Praxis der Studierenden. In der vollen Konsequenz hat dieser Ansatz eine methodische Vielfalt zur Folge, in welcher nicht Inhalte von einer Person vorgedacht, sondern prozesshaft verhandelt und transdisziplinär verbindend gemeinsam weitergedacht werden.  

Auch meine eigene künstlerische Position ist für diese Haltung relevant. In meinem Ansatz sehe ich keinen wesentlichen Unterschied, ob ein Gegenstand im Rahmen eines klassischen Vermittlungsformates oder durch ein Kunstprojekt befragt, aufbereitet und zur Diskussion gestellt wird. Natürlich handelt es sich um unterschiedliche Öffentlichkeiten, die adressiert werden und entsprechend anders formuliere ich das Angebot.

  

Performance Studies auf der einen Seite, die Ausbildung zur Lehrperson Bildnerisches Gestalten auf der anderen - wo finden sich aus deiner Perspektive die Schnittstellen? Was sind Unterschiede im Umgang mit ephemeren Prozessen in der Kunst (oder künstlerischen Forschung) und in der Ausbildung zur Lehrperson? Du arbeitest ja gerade an einem Projekt, das von Swiss Universities gefördert wird und das sich mit diesem doppelten Kompetenzprofil von Lehrpersonen im Fach BG auseinandersetzt.

 

Die Frage nach den Schnittstellen und Unterschieden im Umgang mit ephemeren Prozessen ist sehr umfassend. Natürlich sind auch Vermittlungsanlässe an sich ephemer und sie zeichnen sich durch performative Aspekte aus. Unter rein definitorischen bzw. formalen Kriterien ist wohl eine grosse Schnittmenge auszumachen. Einen Unterschied sehe ich in der Bewertung von solchen Prozessen: Während sich in der kunstwissenschaftlichen Auseinandersetzung ephemere Formate etabliert haben, welche beschrieben und untersucht werden, sind ebendiese in der Lehrer:innenbildung zwar als mögliche Inhalte vertraut, das Vergängliche, sich im Prozess erschliessende der Vermittlungstätigkeit an sich, wird allerdings in vielen Fällen als Selbstverständlichkeit erachtet und Unterricht stärker anhand methodischer und inhaltlicher Kriterien beurteilt.

Eine mögliche Brücke schlägt Marie-Luise Lange in ihrem Vortrag «I’m here – ästhetische Bildung als Präsenz, Ereignis, Kommunikation Aufmerksamkeit und Teilhabe», (Lange 2013: 7). Diesen Text nahmen wir u.a. in dem von dir erwähnten Forschungsprojekt zum Anlass, das bereits im Titel manifestierte Verständnis von ästhetischer Bildung exemplarisch in Form eines performativen Projektes umzusetzen, welches als Video festgehalten, weiter gestaltet und im Hochschulkontext platziert wird.  

Als gestalterische Referenz dienten dabei die formalästhetischen und dramaturgischen Eigenheiten der Berichterstattung von klassischen Etappenrennen im Strassenradsport. Tatsächlich verfolgen wir, Jean-Pierre Grüter und ich, die Absicht, sämtliche Gymnasien der Zentralschweiz mit dem Fahrrad zu besuchen, welche potentielle Praktikumsplätze, oder zukünftige Wirkungsstätten unserer Art Teaching Studierenden darstellen. ‚I’m here‘ oder besser, ‚We’re here‘ ist also keine blosse Floskel, sondern ein ernst gemeintes Statement für Verbindlichkeit gegenüber unseren Partnerinstitutionen bzw. deren Fachschaften Bildnerisches Gestalten. Unser Besuch an diesen Bildungseinrichtungen hat einerseits einen werbewirksamen Aspekt, indem wir die Lehrpersonen zur Intensivierung des dialogischen Arbeitens einladen und andererseits ermöglichen wir durch unser Auftreten einen Zugang zu unserem Verständnis des ‚Performative Turn‘.

Den Ansatz, gefestigtes Wissen nicht primär überliefern zu wollen, sondern performativ zu verhandeln, diskutieren wir aktiv mit unseren Studierenden. Das ‚in Aktion treten‘ und direkte Umsetzen von Gestaltungsideen verhandeln wir im Spannungsfeld zur analytischen Distanznahme und der Gewichtung von rezeptiven Prozessen.

 

Gibt es offene Lehr- und Lernprozesse, die den Erwerb von situiertem Wissen erlauben, und falls ja, wo wird dieses abgeholt? 

 

Natürlich gibt es offene Lehr- und Lernprozesse auch in dem – und vielleicht sogar verstärkt durch das – Bewusstsein für die Bedingtheit wissenschaftlicher Kenntnisse. Geht man allerdings von einer Lehr- oder Lernsituation aus, in welcher wie bereits beschrieben, Wissen gemeinschaftlich verhandelt wird, so setzt dies eine Sensibilität für den kulturellen und historischen Bezugsrahmen und das Verständnis für die Interpretier- und Dekonstruierbarkeit von scheinbar gefestigtem Wissen voraus. Diese Sichtweise im schulischen Kontext zu vermitteln, scheint mir eine zentrale Aufgabe der Lehrer:innen zu sein. Künstlerische Strategien und Formate, welche eine kritische Auseinandersetzung mit Wissensbildung und eine differenzierte Sichtweise auf gesamtgesellschaftliche Konventionen begünstigen, können Anlass für eine entsprechende Diskussion bieten. Unser Fach gibt diesbezüglich einen optimalen Rahmen zur Dekonstruktion vermeintlich allgemeingültiger Annahmen.

 

Literatur

Lange, Marie-Louise (2013): I’m here – ästhetische Bildung als Präsenz, Ereignis, Kommunikation, Aufmerksamkeit und Teilhabe. Kunstpädagogische Positionen 28. Hamburg, REPRO LÜDKE Kopie + Druck.

 

Dieser Text steht unter der CC-BY-NC-ND 4.0 Lizenz

DOI: 10.5281/zenodo.8224713

 

Kurzbiografien der Autor_innen: