Kunstvermittlung und Klimawandel

Klimanotstand, Fridays For Future, Netto-Null – die Diskussion um den Klimawandel ist in die Mitte der Gesellschaft gerückt. „Sofern wir nicht sofortige, drastische, nie dagewesene jährliche Emissionssenkungen an der Quelle erreichen, bedeutet das, dass wir in dieser Klimakrise versagen“, twitterte die 18-jährige Greta Thunberg mit Blick auf die Klimagipfelkonferenz in Glasgow im November 2021, während ein People’s Summit for Climate Justiceversuchte, den Druck auf die Verhandler*innen zu erhöhen. Die offenkundige Zunahme politischen Engagements von Schüler*innen und Studierenden erfordert nicht zuletzt eine Beweglichkeit seitens der Bildungsinstitutionen, welche aufgefordert sind, eine Neuausrichtung und/oder Anpassung von Lehrangeboten im Hinblick auf Bildung zur Nachhaltigkeit vorzunehmen. Viele Curricula und Schwerpunkte wurden bereits angepasst, neue Studiengänge, Labs und Institute zur Nachhaltigkeit sind entstanden.

An der HKB Bern widmeten wir uns dem Thema Kunst und Klimawandel und entwickelten vor diesem Hintergrundeue Lehrformate. Die Erfahrungen, die aus dem transdisziplinären EcoArtLab und aus Weiterbildungen für BG-Lehrpersonen resultierten, bildeten den Anlass für diese Ausgabe des eJournals Art Education Research. Mithilfe eines Calls vernetzten sich Jacqueline Baum und Yvonne Schmidt mit Kompliz*innen, die sich auf künstlerische, vermittelnde oder forschende Weise mit dem Klimawandel und ökologischer Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Insbesondere die Nachhaltigkeitsfrage beginnt sich in der Forschung, Kunstvermittlung und -pädagogik zunehmend zu etablieren und es freut die Gastherausgeber*innen, mit ihrer Ausgabe einen Beitrag zu diesem dynamischen Feld zu leisten.

Die gegenwärtige ökologische Krise wirft tiefgehende wie vielfältige Fragen auf den Plan. Im Hinblick auf die Frage nach der Krisenursache argumentiert der Philosoph Michel Serres, der fundamentale Ursprung der ökologischen Krise liege in der Beziehung zur materiellen Welt und deren Lebewesen (vgl. Serres 2015). Historisch gesehen wird Natur spätestens seit der Neuzeit kommerzialisiert, ausgebeutet und kolonialisiert, wie Marxist*innen und indigene Völker immer wieder betont haben. Serres schlägt deshalb einen „Vertrag mit der Natur“ vor, der unsere Beziehung zu den natürlichen Objekten und nicht-humanen Lebensformen grundlegend neu definiert (vgl. ebd.). Auch Umweltorganisationen fragen: Wem gehört die Natur? Wer oder was ist Natur und inwieweit sind Menschen ein Teil von ihr? Um diese Fragen zu diskutieren und zudem den Gap zwischen Wissen und Handeln zu überwinden, suchen Umweltorganisationen vermehrt den Dialog mit anderen Disziplinen – und auch mit den Künsten.

Die drängenden ökologischen und damit verbunden sozialen Probleme haben auch Künstler*innen sowie Kunstvermittler*innen zu dezidierten Analysen, Vorschlägen und Visionen motiviert. Das internationale künstlerische Projekt World of Matter beispielsweise wurde 2013 ins Leben gerufen und ist eine der vielen Plattformen, welche die globale politische Ökologie adressieren und die Interdependenz zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen in einem fragilen Ökosystem belegen (vgl. Biemann/Martin: o.D.). Parallel zu künstlerischen Herangehensweisen entwickelt die Natur- und Umweltbildung ein verstärktes Interesse an experimentellen Vermittlungsansätzen, die Betrachter*innen herausfordern, Perspektiven überlagern, übergreifende Zusammenhänge herstellen und das Publikum aktiv zum Handeln bringen.

Die für dieses eJournal ausgewählten Positionen sind eng mit den künstlerischen, vermittelnden und aktivistischen Praxen der Autor*innen verknüpft, die an Schulen, Universitäten, Theaterhäusern und in der freien Szene in der Schweiz und in Deutschland tätig sind und versammelt unterschiedliche Disziplinen – Bildende Kunst, Theater, Tanz – und Kunstpädagogik. Alle begegnen der Dringlichkeit der Lage mit politischem Engagement, Offenheit gegenüber anderen Lebewesen und suchen künstlerisch forschend nach besseren Fragen und appellieren an einen radikalen Gemeinschaftssinn.

Die Beiträge geben Einblick in internationale Initiativen im Bereich zeitgenössischer Kunst und Klimakrise (Drabble), integrieren als Ko-Agent*innen verstandene Objekte und Materialien der Natur in die Kunst(-vermittlung) (Baum, Caluori, Hamacher, Moro/De Weerdt), suchen gemeinsam mit Wissenschaftler*innen nach Lösungen für ökologische Probleme (Schmidt), suchen Ko-Habitate und zärtliche Momente mit non-humanen Lebewesen wie Tauben (Gillmann/Dür) und transformieren durch Aktionen sowie radikale Zusammenarbeit (Polymeris, Ellenberger/Schelling, Ballath & Kollektiv).

 

Referenzen

Biemann, Ursula/Martin, Uwe (o.D.): „World of matter“, online unter: worldofmatter.net [03.01.2022]

Serres, Michel (2015): Naturvertrag. Frankfurt am Main, Suhrkamp.