Zur Praxis des Fragens in der Kunstpädagogik
Abstract:
Gibt es eine spezifisch kunstpädagogische Fragerichtung? Eine bestimmte Weise zu fragen, die die Kunstpädagogik auszeichnet? Angesichts eines Feldes, dessen hervorstechendstes Merkmal es ist, diverse Wissensgebiete zu durchqueren und sich beständig auszudifferenzieren, erscheint mir hierauf eine allgemeine Antwort zu geben, schwer möglich. Es ist für diesen Zusammenhang vielleicht aber auch gar nicht nötig. Der Aufforderung, etwas zum Forschenden Fragen in der Kunstpädagogik beizutragen, möchte ich hier nachgehen und mich dem Fragen als Praxis zuwenden: Was tun wir, wenn wir Fragen stellen, welche Funktion könnte das Fragen im kunstpädagogischen Zusammenhang haben? Und vielleicht auch: Was richten Fragen an?

Fragen produzieren

Etymologisch aufschlussreich für das Fragen im Sinne einer Tätigkeit ist seine indogermanische Wurzel per(e)k-, die „wühlen“, „aufreissen“ bedeutet und eine sprachliche Verwandtschaft zu „furchen ziehen“, „fordern“ und eben auch „forschen“ hat (vgl. Duden 1989: 202, 211). Es entsteht die Vorstellung eines Vorgangs, bei dem Materie durchfurcht und in ihr gegraben, sie dabei aber auch gelockert wird. Damit kommt dem Fragen eine gewisse Eindringlichkeit in Bezug auf die jeweils befragte Materie zu.

Wird dieses Eindringen als zudringlich erlebt, sprechen wir von bohrenden Fragen oder werden von Fragen durchlöchert. Solche sprachlichen Metaphern machen deutlich, dass der jeweilige Gegenstand im Prozess seiner Befragung berührt und verändert wird. Sobald etwas fraglich ist, wird es unsicher, porös, verliert unter Umständen seinen Bestand, zumindest aber seine Selbstverständlichkeit.

Ist das so? –„Meistens, wenn ich eine Frage gestellt bekomme (selbst wenn sie mich berührt), wird mir klar, dass ich absolut nichts zu sagen habe.“ (Deleuze 1980: 9) Fragen wie sie im Rahmen von Interviews, Unterhaltungen oder Dialogen (insbesondere in Medienformaten wie Talkshows und Expert*inneninterviews) und oft genug auch in Unterrichtssituationen gestellt werden und die ihre Antworten oft bereits enthalten, uns jedenfalls nicht weiterbringen unterschied Gilles Deleuze von solchen Fragen, die ein Problem formulieren. Nicht ums Abfragen von Meinungen oder feststehendem Wissen zu einem Thema ginge es demnach beim Fragen, sondern darum, sich in eine Problematik zu verwickeln, um sie zu entwickeln oder zu entfalten. Ein Problem oder eine Frage seien „keine subjektiven, privaten Bestimmungen, die ein Moment von Unzulänglichkeit in der Erkenntnis kennzeichnen“ (Deleuze 1992: 92), so Deleuze. Er begreift die Frage eher als ebenso existenzielles wie produktives Aufklaffen, das sich von jeder Form der Antwort wegbewege: „Als grundlegend vermerken wir die Korrespondenz von Differenz und Frage, von ontologischer Differenz und Sein der Frage“ (ebd. 94). Es ginge nicht mehr darum, Thesen aufzustellen, die dann auf ihre Richtigkeit hin überprüfbar sind (Verabschiedung der Dialektik), sondern die Aufgabe bestehe darin, Fragen zu finden, die auf Problematisches verweisen. Die fragende Instanz sei dabei unweigerlich involviert. „Die Kunst, ein Problem zu konstruieren, ist von äußerster Wichtigkeit. Ein Problem (eine Problemstellung) wird erfunden, bevor eine Lösung gefunden ist.“ – „Fragen werden produziert.“ (Deleuze 1980: 9)

Massstäbe befragen

Im kunstpädagogischen Zusammenhang entstehen drängende Fragen regelmässig und immer wieder neu angesichts der Schwierigkeit, in einem Unterrichtsfach tätig zu sein, welches der Freiheit subjektiver Artikulation grösstmöglichen Raum schenken will, gleichzeitig aber Notengebung und Bewertung verlangt. Als problematisch erweist sich regelmäßig die tendenziell unmöglich zu lösende Aufgabe, Massstäbe für die Beurteilung zu finden. Üblicherweise wird sich dann damit geholfen, Kriterien aufzustellen (Vgl. Peez 2004; Mrusek/Schmidt 2021), womit das Problem vorläufig aus dem Weg geräumt wäre. Eine andere, zunächst weniger praktikable Möglichkeit besteht darin, sich mit dem Vorgang des Messens und den Massstäben selbst auseinanderzusetzen. Höchst anschauliches, ja didaktisches Material hierfür lieferte Marcel Duchamp. 

Abb.1: „3 Stoppages étalon, (3 Normalmass-Stoppages)“, 1913/1914, Museum of Modern Art New York, Prometheus Bildarchiv

Grundidee seiner „3 Kunststopf-Normalmasse“ (Abb.1) ist, dass Fäden von identischer Länge, die aus einem Meter Höhe auf Leinwände fallen gelassen werden, immer wieder andere „Bilder“ des Längenmasses erzeugen. Entlang der Kurvenführung dreier 1 Meter langer Fäden fertigte Duchamp Kurvenlineale aus Sperrholz. Die neu entstandenen Messinstrumente verdanken sich dem genormten Metermass, untergraben aber gleichzeitig seine Rationalität und Praktikabilität durch ihre zufallsgenerierte Gestalt. In einem Kasten verstaut, wird diese ironische Parabel auf die Unzuverlässigkeit wissenschaftlicher Methodik zudem transportabel (vgl. Staatsgalerie 2022). Die per Zufall generierten Variationen des an der Geraden orientierten Metermasses zweifeln das Messinstrument als verlässliche Grösse an. Und sie werfen die Frage auf, inwiefern Messinstrumente ihre Ergebnisse beeinflussen. Für Bewertungssituationen liefern „3 Stoppages étalon, (3 Kunststopf-Normalmasse)“ mithin einen ‚Beweis‘ dafür, dass die Infragestellung bestimmter Verfahren oder ein verspürtes Unbehagen mit ihnen ihre Berechtigung haben. Zufall, Ungenauigkeit, Kontingenz sind Teil jedes Messvorgangs, der schon allein deshalb unzureichend ist, weil die Messinstrumente (in unserem Fall wären das die aufgestellten Kriterien) Konstrukte sind, die auf keine unveränderbare oder universell gültige Norm rückführbar wären. Dass dem so ist, begleitet jeden Bewertungsprozesses und macht ihn zu einem ebenso schwierigen wie verantwortungsvollen Unterfangen.

Normorientierungen bis hin zu Ästhetiken der Standardisierung, bzw. unser Verständnis von Normalität (vgl. Puffert 2017) sind ebenfalls Gegenstand der Arbeit „Persona“ (Abb. 2) von Gerardo Goldwasser. Er präsentiert mehrere aufeinander geschichtete, schwarze Stoffrollen, wie sie in der Textilindustrie Verwendung finden. Im Inneren der gewichtigen Rollen eingewickelt finden sich Schnittmusterbögen für die massenhafte Produktion von Kleidungsstücken, bei denen von einem „mittleren Mass“ ausgegangen wird. Am Eingang der Installation werden die Besuchenden von einem wandhohen Spiegel empfangen. Die hier angesprochene fehlende Passung von Konfektionsgrösse und individuellem Körpermass dürfte zur (nicht selten frustrierenden) Umkleidekabinen-Erfahrung eines*r jeden gehören. Wo sonst käme das Problem der Vermassung, das hier mittels Zeichnung, Modedesign, Warenproduktion und Alltag sowie die vermasste Körperlichkeit eng geführt wurde, deutlicher auf den Punkt? Goldwassers Arbeit beunruhigt und gewinnt zudem an ethischer Brisanz, wenn man weiss, dass die eingewickelten Schnittmuster von seinem Grossvater stammen, der Schneider war. Weil er Uniformjacken für den Nationalsozialismus geschneidert hatte – sich dem System er Gelichschaltung also nützlich machen konnte – hatte er sich aus dem KZ Buchenwald befreien können (Reindl 2022). 

Abb. 2: Gerardo Goldwasser: Persona, 2022, Venedig Biennale, Pavilion Uruguay (Zeichnung: Rahel Puffert)

Die Frage der Vermessung

In einem durch die Logik der Vermessung gekennzeichneten Bildungssystem (vgl. Hark/Hofbauer 2018), das sich in Rankings, Noten, Zertifikaten, Evaluationen, Preisauslobungen, Kreditpunkten, etc. niederschlägt, kommen Lehrende immer häufiger in Situationen, die von ihnen verlangen zu bewerten und zu benoten. Auch ist zu beobachten, dass quantitative Kriterien in Bewertungssituationen zunehmend in Anschlag gebracht werden. Vergleichbarkeit wird suggeriert, indem von qualitativen Merkmalen abstrahiert wird, so dass inhaltliche Differenzen zum Verschwinden gebracht werden. Nach Wimmer werden solche Vorgehensweisen als Reaktion auf eine allgemeine Entwicklung lesbar, die er als „Zerfall des Allgemeinen und […] Wiederkehr einer radikal verstandenen Pluralität unter den Bedingungen einer fortgeschrittenen Moderne“ kennzeichnet (Wimmer 1996: 132). Die Vielheit möglicher Lebensformen, moralisch-ethischer Orientierungen, Selbstverständnissen und Überzeugungen werfen das Problem der nicht über ein Allgemeines vermittelbaren Singularitäten“ auf (ebd.). Sah der Individualitätsbegriff vor, den Einzelnen als Besonderung eines Allgemeinen aufzufassen, so seien die Erfahrungen der singulären Existenz heute nicht a priori geordnet durch universell gültige Kriterien, Urteilsmaßstäbe, etc.“ (ebd.: 133). Die Frage nach den Massstäben, der Form des Urteilens, die diese neue Art der Intersubjektivität verlangt, regeln sich von hier aus gedacht neu und betreffe insbesondere im Bereich der Bildung die Frage nach der Gerechtigkeit. Diejenigen, die in der Verantwortung stehen, Urteile und Bewertungen vornehmen zu müssen, sehen sich mit der Anforderung konfrontiert „in jedem Einzelfall von neuem in ihrer grundsätzlichen Unentschiedenheit und in der Notwendigkeit des einzelnen, urteilen und entscheiden zu müssen, ohne vorherige Kriteriologie und ohne seine Urteile und Entscheidungen in allgemeinen, gesellschaftlich gültigen und verbindlichen Normen und Regeln immer schon legitimiert vorfinden zu können.“ (ebd.: 133). 

Die eigene Fremdheit aufgeben

Fast ausschliesslich aus Fragen besteht das Unterrichtskonzept: 4dimensionales Design von Paul Thek, welches im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an einer Kunsthochschule im Jahr 1978 entstand (Thek 2007). In 52 Punkten entwickelte er eine Art Denkarchitektur, die nach dem Muster eines Fragebogens aufgebaut ist. Vergleichbar mit Verfahren der Marktforschung werden zuerst biografische Grunddaten abgefragt, wobei bereits sensible Themen berührt werden: Das Einkommen wird ebenso erkundet wie Ansprüche an Freund*innen und Liebhaber*innen oder persönliche Vorlieben und der Geschmack. Übergangslos geht der Fragenkatalog zu intimen Lebensbereichen über wie „Worauf schlafen Sie? In was? In welcher Stellung?“ oder „Welches ist ihr unvorteilhaftestes Körperteil? Ihr vorteilhaftestes?“; “Was stört Sie an anderen am meisten?“ (ebd.: 164). Gespickt sind solche sehr persönlichen Annäherungen an Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Vorlieben von Wissensfragen wie: „Wer ist Roosevelt? Was ist Action Painting? Pop art? Louvre?” (ebd.: 169), „Was ist Polygamie?“ (ebd.: 170) Durchsetzt ist der Fragebogen zudem von knappen Handlungsaufforderungen – Übungen, die unkompliziert umsetzbar sind: „Stellen Sie ein Raumschiff aus einer Müslipackung her“ oder „Entwerfen Sie etwas, das man an der Strassenecke verkaufen kann“ (ebd.: 167).

Beim Durchlesen vom Unterrichtskonzept: 4dimensionales Design kann man nicht umhin, die Zudringlichkeit dieser Arbeit zu bemerken. Viele Fragen wirken wie Grenzübertritte, berühren Tabus sowie Scham- und Peinlichkeitsgrenzen. In der Summe hinterlassen sie das nicht nur angenehme Gefühl, selbst zum Material zu werden, das erforschbar ist. Gleichzeitig machen die Fragen neugierig, denn unweigerlich setzen sie Reflexionsprozesse darüber in Gang, wie (und dass) mein Leben gestaltet ist, warum so und nicht anders, wofür ich mich entschieden habe und inwiefern meine Verhaltensweisen und Gewohnheiten veränderbar sind. Weil der Fragenkatalog sich nicht nur an mich richtet, kann ich zudem nicht anders als meine Entscheidungen und Antworten ins Verhältnis zu denen anderer Befragter zu setzen. Mit seinem Unterrichtsentwurf reflektiert Thek die Situation einer Klasse an einer Kunsthochschule. Einige Fragen richten sich an die Gruppe „Wie lange sollte man an einem Klassenprojekt arbeiten?“; „Wie können wir die Cooper menschlicher gestalten?“ (ebd.: 171). Das nüchterne Design des Fragebogens (nummerierte Fragecluster) steht im Kontrast zur Intimität, die angesprochen ist. Die Fragen sind beides: an jeden einzelnen gerichtet und allgemein – persönlich und politisch, sie erkunden Lebenswelten und überschreiten dabei die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum. Der singuläre Standort des Einzelnen wird mit seinem Aussen verknüpft, auf diese Weise und doch als eigenes Profil innerhalb eines gesellschaftlichen Gefüges erkennbar. Mit Arendt lässt sich die Selbstbefragung als Prozess der Entäusserung beschreiben, als ein Aufgeben der Fremdheit, die jedem und jeder im Verhältnis zu sich selbst eigen ist. Den Mut zu haben, vor Anderen Auskunft zu geben, darüber, wer man ist, bedeute, auf diese Fremdheit zu sich selbst zu verzichten (Arendt 1998: 220). Sich sich bildend kennenzulernen.

Zu den Fragen vordringen, die im Raum sind

Paul Theks Unterrichtsdesign orientiert sich am traditionellen Lehrmodell an Kunsthochschulen, bei dem die Studierenden Klassen angehören, die sich um eine*n Lehrende*n gruppieren. Mit seiner Question Bank unternahm François Deck gewissermassen eine Invertierung dieses Konzepts. Anstatt selbst Fragen an seine Klasse zu richten, fordert Deck Studierende oder ein Publikum, Gruppen, mit denen er zusammenarbeitet, auf, Fragen zu formulieren, zu versammeln und zu veröffentlichen. Nach Deck habe die Frage ihren ganz spezifischen Wert:

  • Eine Frage zu formulieren beinhaltet Entscheidungsfindung
  • die Frage selbst enthält kondensierte Gedanken
  • sich selbst in Frage zu stellen, setzt vorschnelle Entschlüsse über Wahrheit und Unwahrheit ausser Kraft (Deck 2004: 628, Übersetzung RP).

Ursprünglich entstanden sei die Idee der Question Bank durch die Beobachtung von moderierten Versammlungen, bei denen üblicherweise Fragen und Anliegen von Gruppen synthetisiert und zusammengefasst wurden. Deck kommentiert: „The hegemonic claim of synthesis – that is its ability to produce jointly held and common opinion – needs to be thrown into question. Who is doing the synthesizing? And with what presuppositions? Why erase the subjective expression from the memory of collective experience?” (ebd.: 628)

Interessiert daran, eine auf Gegenseitigkeit beruhende Expertise (‚reciprocal expertise‘) zu formalisieren, entwickelte Deck eine Art Planspiel, bei dem eine Debatte behandelt wurde wie eine Gruppenperformance: Fragen werden gesammelt und zufällig verteilt, diskutiert und verändert, um schliesslich die interessantesten unter ihnen auszuwählen (Abb.3). Neben den jeweiligen inhaltlichen Anliegen geht es Deck in dieser künstlerischen Praxis um ein Verständnis demokratischer Prozesse der Verhandlung und Diskussion als plastische Vorgänge, die ästhetisch lesbar sind. 

Abb.3: François Deck mit Studierenden beim Formulieren von Fragen an der École Supérieur d'Art de Grenoble (ESAG), 2018 (Fotografie: Michel Chevalier)

Das Arbeiten mit Fragen erweist sich dabei als dankbares Werkzeug, um nicht nur auf die Produktivität kollektiver Entscheidungsprozesse aufmerksam und diese erfahrbar zu machen, sondern den Lernprozess für jeden Einzelnen hervorzuheben. Dabei werde der allgemeine Signifikant – also die Idee eines unterstellten Konsens – geschwächt: „Rather than reducing the singular to the collective, it is interesting to conceive the development of the collective in reciprocity with the development of the autonomy of each individual.“ (ebd.: 623) Entgegen einem Verständnis von Autonomie als Abgeschlossenheit, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung geht es Deck in seiner Arbeit darum zu zeigen, dass Subjektivierungsprozesse nicht ohne die Auseinandersetzung mit anderen zu denken sind. Anders herum entsteht ein Kollektiv eben genau dann, wenn der/die Einzelne sich durch und mit anderen in solchen Prozessen erfahren kann. Fragen sind für ihn hierbei ein geeignetes Mittel. Vielleicht könnte man sie sogar als Bindemittel bezeichnen.

Zum Schluss kommen

Nach gewöhnlichem Verständnis verweisen Fragen auf ein fehlendes Wissen oder eine defizitäre Kenntnis, weshalb sie insbesondere in Lehr- und Lernkontexten leicht Scham- bzw. Peinlichkeitsgefühle erzeugen. Wer gäbe schon gern sein Unwissen preis? Mit Deleuze lassen sich Fragen, die in diesem Sinn einfach nur Wissen abfragen von solchen unterscheiden, die zwar ebenfalls auf ein Nichtwissen deuten, dabei aber nicht auf einen individuellen Mangel rückführbar sind. Demnach gibt es Fragen, denen durch vorhandenes und angewendetes Wissen gar nicht entsprochen werden kann. Mit Bezug auf Derrida führt Wimmer aus, solche Fragen brächten die Erfahrung des Unentscheidbaren mit sich. Die Erfahrung, „dessen, was dem Berechenbaren, der Regel nicht zugeordnet werden kann, weil es beidem fremd ist und ihnen gegenüber ungleichartig bleibt.“ (Derrida zit. n. Wimmer 1996: 134) Anstatt den Zerfall des Allgemeinen also als Verlust zu beklagen oder den Zusammenhalt durch eine „Kultur der Kontrolle, für die die messbaren, zählbaren und konsumierbaren Einheiten wichtiger sind als soziales Verhalten und ästhetische Wahrnehmungen “ (Maset 2012: 13) erzwingen zu wollen, kann er von dieser Warte aus eigentlich als neuer Möglichkeitsraum angesehen werden. Denn das Zerfallene gibt wieder zu denken frei, dass es sich beim verantwortlichen Handeln letztlich weniger „um Wissen, Kompetenzen, Normen und Regeln handelt, die es sich anzueignen gilt“ und auch nicht um einen „Prozess der Aneignung“ (Wimmer 1996: 135). Vielmehr gälte es zu der unvertretbaren Einzigartigkeit des verantwortenden Ich vorzudringen, die es erlaubt rechtmäßig zu urteilen, ohne Regeln zu befolgen, sich nach Kriterien zu richten oder dem Recht Genüge zu tun.

Literatur

Arendt, Hannah (1958/1998): Vita activa oder Vom tätigen Leben, München: Piper.

Chevalier, Michel (2008): Questions in Grenoble 2008, https://thing-hamburg.de/index3712.html?id=798 [17.11.2022]

Deleuze, Gilles (1968/1992): Differenz und Wiederholung. Aus dem Französischen von Vogl, Joseph. München, Wilhelm Fink.

Deleuze, Gilles/Parnet, Claire (1980): Dialoge, Frankfurt, Suhrkamp. 

Deck, François (2004): Reciprocal Expertise, Third Text, Vol. 18, Issue 6, S. 617-632.

Hark, Sabine/Hofbauer, Johanna (Hg.) (2018): Vermessene Räume, gespannte Beziehungen. Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken. Frankfurt/M., Suhrkamp.

Maset, Pierangelo (2012): Kunstvermittlung heute. Zwischen Anpassung und Widerständigkeit. Kunstpädagogische Positionen 27, Hamburg, University Press.

Mrusek, Angela/Schmidt, Antonia (2021): Beurteilung und Bewertung im Kunstunterricht. Praxiserprobte Kriterien mit konkreten Anwendungsbeispielen (1. bis 4. Klasse), Hamburg, Persen Verlag.

Peez, Georg (2004): Beurteilen und Bewerten im Kunstunterricht. In: Kunst + Unterricht, Heft 287, S. 4-11.

Puffert, Rahel (2017): Normalität, in: Blohm, Manfred/Brenne, Andreas/Hornäk, Sara (Hg.): Irgendwie anders. Inklusionsaspekte in den künstlerischen Fächern und der ästhetischen Bildung, Flensburg, fabrico Verlag, S. 127-133.

Reindl, Uta M. (2022): 59. Biennale Venedig - Länderbeiträge Giardini. Uruguay, in: Kunstforum International, Bd. 282, 59. Biennale Venedig, S. 292-293.

Staatsgalerie (2022): https://www.staatsgalerie.de/g/sammlung/sammlung-digital/einzelansicht/sgs/werk/einzelansicht/05F559FE424EBD977F37CB9471EE8C31.html  [22.09.2022]

Thek, Paul (2007): Unterrichtskonzept: 4-dimensionales Design, in: Bippus, Elke/Glasmeier, Michael (Hrsg.): Künstler in der Lehre: Texte von Ad Reinhardt bis Ulrike Glossarth, Berlin, Fundus, S. 163-173.

Wimmer, Michael (1996): Die Gabe der Bildung. Überlegungen zum Verhältnis von Singularität und Gerechtigkeit im Bildungsgedanken. In: Masschelein, Jan/Wimmer, Michael (Hg.): Alterität Pluralität Gerechtigkeit. Randgänge der Pädagogik, Leuven, Academia Verlag/University Press, S. 127-162.

Kurzbiografien der Autor_innen: