Schlagwörter: Aktivismus, Care, Feminismus, Queer, Queeren
Radicalizing Care - Feminist and Queer Activism in Curating
Was passiert, wenn feministische und queere Care-Ethik in die kuratorische Praxis umgesetzt wird? Dieser Frage widmen sich die Herausgeber*innen und Autor*innen von Radicalizing Care Herausgeber*innen: Elke Krasny, Sophie Lingg, Lena Fritsch, Birgit Bosold und Vera Hofmann, Sternberg Press / Publication Series of the Academy of Fine Arts Vienna. 296 Seiten, Englisch. Mai 2022 in Form multiperspektivischer und multimethodischer Zugangsweisen.Wie etwa in Form von Essays, einem Manifest, Interview, Mapping, Illustration, etc. Die PublikationDie physische Publikation ist mittlerweile vergriffen, aber das Buch ist digital im Akademie Repositorium zugänglich: Vgl. https://repository.akbild.ac.at/de/alle_inhalte/query/25942 [letzter Aufruf: 29.11.2022] bietet Einblick in viele unterschiedliche Räume der Sorge, wobei alle in Verbindung mit feministischen und queeren Aktivismen, Praxen und Politiken stehen. Radicalizing Care geht vom Konzept einer Krise des Sorgetragens (vgl. Krasny, Lingg, Fritsch 2021: 14; nach Nancy Fraser 2016: 99) aus — die Herausgeber*innen des Bandes bringen Stimmen aus dem Kuratorischen, dem Aktivismus, der Kunst, der Wissenschaft, der Lehre und Vermittlung zusammen, um dieser Krise im Kontext eines zeitgenössischen, kritischen Kuratierens zu begegnen. Dabei handelt es sich um 25 Beiträge von mehr als 30 Autor*innen aus unterschiedlichen geografischen Kontexten (einschließlich diasporischen, migrantischen und indigenen).Das Buch umfasst Beiträge von: Edna Bonhomme, Birgit Bosold, Imayna Caceres, Pêdra Costa, COVEN BERLIN, Nika Dubrovsky, Lena Fritsch, Vanessa Gravenor, Julia Hartmann, Hitomi Hasegawa, Vera Hofmann, Hana Janečková, k\are (Agnieszka Habraschka und Mia von Matt), Gilly Karjevsky, Elke Krasny, Chantal Küng, Sophie Lingg, Claudia Lomoschitz, Cathy Mattes, Elizaveta Mhaili, Jelena Micić, Carlota Mir, Fabio Otti, Ven Paldano, Nataša Petrešin-Bachelez, Nina Prader, Lesia Prokopenko, Patricia J. Reis, Elif Sarican, Rosario Talevi, Amelia Wallin, Verena Melgarejo Weinandt, Stefanie Wuschitz.
Impuls für das Buch war das Symposium Who(se) Care(s), das 2018 (von Birgit Bosold, Lena Fritsch, Vera Hofmann und Elke Krasny) am Schwulen Museum in Berlin co-kuratiert wurde. Die Konferenz fand im Kontext des Jahr der Frau_en statt, das das Museumsprogramm in Hinblick auf ein inklusiveres LGBTQIA+-Umfeld erweiterte und transformierte. Es fokussierte Fragen rund um die Sammlung von Widerstand, das Ausstellen von Sorgearbeit und ein besseres Bewusstsein von kuratorischer Praxis und Care-Bedürfnissen.
Der Terminus Kuratieren fußt etymologisch im lateinischen curare — er steht für das Sorgen, das Sorge tragen, das Pflegen — darüber hinaus aber auch das Kurieren und Heilen. In diesem ursprünglichen Verständnis bleibt, wie Krasny, Lingg und Frisch einleitend schreiben, für das Kuratieren angesichts der bleibenden Wunden des kolonialen Kapitalismus und des rassistischen Patriarchats noch viel zu tun (vgl. Krasny, Lingg, Fritsch 2021: 16). Die Herausgeber*innen führen einen Care-Begriff ausgehend von den feministischen Theoretikerinnen Berenice Fisher und Joan Tronto ein:
«caring […] includes everything we do to maintain, continue, and repair our ‘world’ so we can live as well possible. That world includes our bodies, our selves, and our environment, all of which we seek to interweave in a complex, life-sustaining web.» (Fisher/Tronto 1990: 40).
Dieses Erhalten, Fortsetzen und Reparieren ist den Herausgeber*innen zufolge politisch (vgl. Krasny, Lingg, Fritsch 2021:14). Care-Arbeit, in der marxistisch-feministischen Terminologie als Reproduktionsarbeit verstanden, ist der unbezahlte oder unterbezahlte Treibstoff des Kapitalismus (vgl. ebd.: 14). Die Care-Arbeiter*innen selbst sind jedoch historisch gesehen Ausgeschlossene von, und zugleich Abhängige in diesem System (vgl. ebd.: 14). Auch das Kuratieren im modernen Sinne ist eine Praxis, die eng mit (kolonialem) Kapitalismus und Nationalstaatlichkeit verwoben ist: Ausgehend vom Museum als Erfindung und Repräsentation des europäischen Nationalstaats samt seiner epistemischen Gewalt wie auch seiner klassistischen, sexistischen und rassistischen Ausschlüsse (vgl. ebd.: 15). Nun geht es also um die Herausforderung, ein zeitgenössisches, kritisches Kuratieren als Praxis des Sorgetragens zu verstehen und zu praktizieren: Curating as Care. Eine Politik der Radikalisierung von Care soll bestehenden Ungerechtigkeiten entgegenwirken und zukünftige Transformationen ermöglichen.
Das Buch setzt sich mit diesem Anspruch in drei Teilen auseinander: Curating-as-Caring: Ethico-political Doings, Curating-as-Caring: Material Doings und Curating-as-Caring: Activist Doings. Diese Doings eröffnen unterschiedlichste Care-Räume, die folgend exemplarisch, in ihrer Chronologie der Logik des Buchs folgend, vorgestellt werden.Herzlichen Dank an Sophie Lingg für vorbereitende, erläuternde und vertiefende Gespräche zum Buch und seiner Struktur.
1—Curating-as-Caring: Ethico-political Doings
Den ersten Teil einleitend schreibt Co-Herausgeberin Elke Krasny über Feminist Futures for Living with an Infected Planet (vgl. Krasny 2021: 28—36) und betont die Dringlichkeit von care feminism für ein gegenwärtiges und zukünftiges (Über-)leben in postpandemischen Zeiten. Die Worte «Take Care» haben in unserer von Covid wie auch der Klimakatastrophe geprägten Gegenwart eine neue, drastische Dimension eingenommen (vgl. ebd.: 29). Davon ausgehend muss die historisch bedingte Organisation von Sorgearbeit vor dem Hintergrund sozialer, gesundheitlicher und ökologischer Gerechtigkeit radikalisiert und transformiert werden (vgl. ebd.: 30).
Die Kunstwissenschaftlerin Lesia Prokopenko bezeichnet «doing theory» in Curating Theory, Mending Careals «an act of curating» und davon ausgehend «an act of care itself» (Prokopenko 2021: 39). In ihrem Essay nähert sie sich den titelgebenden Begriffen mittels einem multiperspektivisch-philosophischem Zugang und schließt mit dem Begriff mending (ausbessern, flicken, reparieren) — «To care for the world, we need to mend our understanding of care. To mend care means to produce the discourse that cares for bodies—for every body—and to treat bodies as the only existing carriers, and carers, of discourse». (Prokopenko 2021: 46)
Sophie Lingg schreibt über kuratorische Care-Praxen im digitalen Raum und nimmt dabei die unbezahlte Arbeit in den Blick, die Künstler*innen auf Social Media, insbesondere Instagram, leisten (‹müssen›). Die Kunstvermittlerin und Co-Herausgeberin beschreibt Care für digitale Content-Produktion als neue Form kuratorischer Arbeit und beschreibt ihre für Follower*innen meist unsichtbaren Schattenseiten: «fast-forward fame, hyper-visibility, and emotional distress» (Lingg 2021: 49) anhand einer feministischen Instagram-Performance von Sophia Süßmilch. Lingg fordert digitale «deep care» (ebd: 55—56), um diskriminierenden Strukturen, Shitstorms und digitalem Hass entgegenzuwirken, wofür Kurator*innen als «digital detoxicologists» an digitalen Transformationen im Onlineraum arbeiten (ebd: 55—56).
k\are, ein Kollektiv bestehend aus Agnieszka Habraschka und Mia von Matt, fordern im Collective Care Manifesto die Kollektivierung von Care in Form von sieben Prinzipien, welche am Ende des Manifests wirkungsvoll zusammengefasst werden:
«Collective Care Needs Wages for All
Collective Care Needs Transnational Solidarity
Collective Care Needs a Sustainable World
Collective Care Needs Access and Justice for Everyone.» (k\are 2021: 97)
2—Curating-as-Caring: Material Doings
Der Küchentisch ist ein privater Raum, an dem Care stattfindet beziehungsweise praktiziert wird: Cathy Matters co-kuratiert seit 2017 die Métis Kitchen Table Talks und beschreibt in Wahkootowin, Beading, and Métis Kitchen Table Talks Praxen von indigenem Wissen und Strategien, um Care zu kuratieren. Konkret geht es um kollektives und kollaboratives bead working, die Arbeit der Perlenstickerei, die historisch und geografisch in den Epistemologien indigener Völker (in diesem Fall der Métis) verortet ist und als Mittel zur Wissensproduktion und Transmission dient (vgl. Matters 2021: 135).
Die Beiträge von Carlota Mir und Jelena Micić berichten jeweils von kuratorischen Care-Praxen in halböffentlichen Räumen — einerseits dem Hallenbad, andererseits dem Waschsalon. In Moving Plants, Finding Fissures beschreibt Mir den kuratorischen Prozess der Künstlerin Maider López am Schwedischen Hammarbadet, einem öffentlichen Schwimmbad, das auf einer von Somalischen Frauen geleiteten Initiative hin vor der Schließung gerettet wurde. Das Bad war und ist ein bedeutender Ort für die Frauencommunity, an dem sie sich «on their own terms» treffen und erholen können (Mir 2021: 146). Das öffentliche Kunstwerk, bestehend aus 120 bewegbaren Pflanzenbehältern, die an den Glaswänden des modernistischen Baus platziert wurden, sind eine Geste von Care, die es den Badenden ermöglicht, Privatraum nach ihren eigenen Bedürfnissen zu schaffen.
Micić stellt mit I KNOW I CARE—How Red is Vienna Today? ihr kuratorisches Projekt zu Reproduktionsarbeit im Roten Wien vor, das 2019 im Rahmen der Wienwoche in einer ehemaligen gemeinschaftlichen Waschküche im George-Washington-Hof, einem Wiener Gemeindebau des frühen 20. Jahrhunderts, stattfand. Sie beschreibt den Waschsalon als Ort des Sorgetragens, der stark gegendert ist und davon ausgehend einzelne Frauen*-Rollen in der Produktions- und Reproduktionsarbeit im historischen und gegenwärtigen Sozialen Wohnbau. In der Ausstellung I KNOW I CARE wurde der mittlerweile außer Betrieb genommene Waschsalon zum öffentlichen Verhandlungsort geschlechtsspezifischer und rassistischer Ungleichheiten in der Care-Arbeit und im Wohnungswesen (vgl. Micić 2021: 174).
Der letzte Beitrag, den ich aus dem zweiten Buchteil hervorheben möchte, ist wiederum einer, der sich mit digitaler Kultur befasst. Fabio Otti beschreibt in Queer Connectivity in Pandemic Times— A Personal Reflection with and from Uncertainty Zoom als Party-Raum aus vermittelnder und aktivistischer Perspektive. Im April 2020 fand Rhinoplasty Tiger King—Stubentiger Special per Zoomals digitale Variante der ikonischen Rhinoplasty Motto-Partyreihe im Wiener Club U statt, die seit über zehn Jahren von Drag Performer*innen veranstaltet wird. Ausgehend von diesem ungewöhlichen Zoom-Meeting denkt Otti über Unsicherheiten und Besorgnis in (post-)pandemischen Zeiten und damit verbundenen (digitalen) communities of care aus queer-feministischer Perspektive nach (vgl. Otti 2021: 177—181).
3—Curating-as-Caring: Activist Doings
Der dritte und letzte Teil, der die aktivistische Perspektive repräsentiert, bietet verschiedenste Einblicke in den Sammlungs- bzw. Ausstellungsraum. Birgit Bosold und Vera Hofmann, Mitherausgeberinnen des Buchs, beschreiben die differenzierten Aspekte an Care, die es brauchte, um das Jahr der Frau_en am Schwulen Museum Berlin aus zu kuratieren: The «Year of the Women*» at the Schwules Museum Berlin. Activism, Museum, and LGBTQIA+ Memory—Notes on Queer-Feminist Curating (vgl. Bosold, Hofmann 2021: 206—218).
Curating Hacking—Caring for Access, Caring for Trouble von Stefanie Wuschitz und Patricia J. Reis (vgl. Reis/Wuschitz 2021: 194—203) verbindet den Ausstellungsraum mit dem hackerspace. Sie betonen die Notwendigkeit, konstant von Technologie zu lernen, um zu verstehen, wie diese uns beeinflusst. Der im 20. Wiener Gemeindebezirk gelegene Offspace und Hackspace Mz* Balthazar’s Lab ist ein Ort, an dem eben solches Wissen, im Rahmen von Workshops und Ausstellungen von weiblichen* Kurator*innen und Künstler*innen aus queer-feministischer Perspektive, vermittelt wird:
«What we want to hack is not code, but norms, tools, language, structures, patriarchy, gener regimes, our own privilege, ways of knowing, frames, narrations, figurations, and static subject positions.» (ebd.: 197)
Einen Museumsraum, den es noch gar nicht gibt, imaginieren Elif Sarican, Nika Dubrovsky und Elizaveta Mhaili in On a Museum of Care (in Rojava) (vgl. Sarican, Dubrovsky, Mhaili 2021: 273—283). Das Museum of Care existiert nicht – und doch wird es sehr konkret durch die im Essay präsentierten Gedanken. Das Museum braucht weder ein Gebäude, noch Sponsor*innen, Guides oder Archive, keine Eintrittskasse, keine Buchhalter*innen, keine Anwält*innen (vgl. ebenda: 273). Die Autorinnen stellen Fragen ans Museum, an den zeitgenössischen Kunstbegriff, Künstler*innenrollen und die Kultur in Rojava im Kontext von Politik, Kollektivität, Postnationalität, Repräsentation und Revolution.
«Staying with Care»Schreiben Krasny, Lingg und Fritsch in der Einleitung des Buchs in Anlehnung an Donna Haraways bekanntes «Staying with the Trouble» (vgl. Krasny, Lingg, Frisch 2021: 18; siehe auch Haraway 2016).
Radicalizing Care vereint verschiedenste Räume, in denen Care stattfindet, für die gecared wird, von denen Care ausgeht. Das Verständnis von zeitgenössischem, kritischem Kuratieren als Sorgetragen schlägt sich in der Zusammensetzung der Publikation nieder. Die einzelnen Beiträge entstammen situiertem Wissen, spezifischen lokalen Kontexten und teils langjährigen kuratierenden, aktivistischen, künstlerischen, vermittelnden, sorgetragenden Praxen (vgl. Krasny/Lingg/Frisch 2021: 20). Das Zusammenweben all dieser Positionen erfordert wiederum spezieller Pflege, Aufmerksamkeit und Sorgearbeit — oder wie die Herausgeber*innen einleitend schreiben:
«Academic writing is a labor of love, often performed before and after hours, on top of all those other activities that generate an income for economic survival, on top of all those activities that keep kin, family, and friends alive and well, and on top of all those activities related to activism and artivism in feminist, queer-feminist, and queer groups, anti-fascist, antiracist, and anti-capitalist struggles, the disability justice movement, and the climate justice movement, to name a few fields that contributors to this volume are engaged with.» (Krasny/Lingg/Frisch 2021: 23)
Von dem Buch und den Artikeln, die gut auf spezifische Interessensgebiete hin ausgewählt und gelesen werden können, profitieren Vermittler*innen, Aktivist*innen, Künstler*innen, Kurator*innen und Theoretiker*innen, beziehungsweise alle, die sich für zeitgenössisches Kuratieren als politisch-aktivistische Care-Arbeit für alle Lebewesen und deren Umwelt(en) (vgl. Perry 2021: Klappentext) interessieren.
Literatur
Fraser, Nancy (2016): Contradictions of Capital and Care. In: New Left Review, no. 100, July/ August 2016, 99–117.
Harway, Donna J. (2016): Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene. Durham, Duke University Press.
Krasny, Elke, Sophie Lingg, Lena Fritsch, et al. (2021): Radicalizing Care: Feminist and Queer Activism in Curating. Wien/Berlin Sternberg Press. (Volltext verfügbar online unter Repository, Akademie der bildenden Künste Wien: https://repository.akbild.ac.at/de/alle_inhalte/query/25942)
Abbildungsnachweise
Copyright Abb. 1—7: Akademie der bildenden Künste Wien, Sternberg Press 2021 [Screenshot https://repository.akbild.ac.at/de/alle_inhalte/query/25942 [letzter Aufruf: 29.11.2022]]
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