Schlagwörter: Augusto Boal, Partizipation, Performativität, Protest Bike, Theatermethoden, Verweigerung, Ästhetische Bildung
Im Fokus dieses Beitrags steht das Spannungsfeld der Hoffnungspotentiale und der (Un)Möglichkeiten des Partizipativen im Schulfeld. Ausgangspunkt für diesen Beitrag ist meine Masterthesis an der pädagogischen Hochschule FHNW, die sich in der ästhetischen Bildung ansiedelt.
Wenn Schüler*innen selbst Einfluss nehmen können auf die Gestaltung von Prozessen, die den Unterricht und das Leben an der Schule betreffen, fördert das ihre aktive Beteiligung, ihre Sozialkompetenz und ihre personale Kompetenz. Partizipation fördert selbstbestimmtes Lernen. Ziel war es, in einem Workshop Verbindungen zwischen der bildenden und der darstellenden Kunst herzustellen. Es ging um die Entwicklung eines Workshops an der Sekundarschule in Rümlang, der ästhetisches Erleben ermöglichen sollte. Bildnerische Prozesse sowie theaterpädagogisches Handeln sollten sich in dieser Workshop-Woche ergänzen. Wie im Kunstunterricht Schüler*innen und die Lehrperson zusammen wirken können, war ein zentrales Thema der Arbeit.
Die Ausstellung/die Ausgangslage
Ein museumspädagogisches Angebot des Kunsthauses Zürich stellte die Ausgangslage für den Themenschwerpunkt dieser Woche. Die Ausstellung «Action!» wurde bewusst ausgesucht aufgrund der Möglichkeit zur Teilhabe. Die Ausstellung beschäftigte sich mit Aktionskunst und veranstaltete zahlreiche Performances, verstand sich jedoch nicht alshistorische Aufarbeitung der Performancekunst, sondern wollte die Zuschauer*innen einladen, selber zu Akteur*innen zu werden. Ins Zentrum des Museumsbesuchs rückte das «Protest Bike» (2016) von Marinella Senatore: Ein mit Lautsprechern und Hupen erweitertes Fahrrad, das sich die Besucher*innen ausleihen konnten. Der Fokus der Arbeit von Senatore liegt im Aussprechen einer Beschwerde. Die Schüler*innen wurden aufgefordert, das Fahrrad als Mittel für einen als Chor vorgetragenen Protest zu nutzen.
Verbindung zu Augusto Boal und seinen Theatermethoden
Die inhaltlichen und formalen Aspekte der Ausstellung lassen Verbindungen mit dem Theater der Unterdrückten (TdU) und den Methoden von Augusto Boal zu. Die ästhetische Praxis bei Boals Theater kann als Schule der Teilhabe gesehen werden. Das Mitspracherecht ist elementar. Verbindendes findet man auch in der zeitlichen Dimension, es sind meist temporäre Aktionen und Zuschauen wird in beiden Bereichen keineswegs als passiver Akt gesehen, sondern Zuschauer*innen sollen zu Protagonist*innen werden.
Die Rolle des Jokers bei Boal und im Workshop
Die Spielleitung im Workshop wurde vom Joker*in geführt. Die Rolle des Jokers ist bei Boal so variabel einsetzbar wie die Jokerkarte beim Kartenspiel. Diese Figur führt und ist bei Boal quasi Bindeglied zwischen Bühne und Publikum, im Workshop zwischen Lehrperson und Schüler*innen oder von Spieler*innen und Zuschauer*innen. Bei Boal wurde die Figur des Jokers immer vom gleichen Spieler übernommen, nämlich meist von ihm selbst. Im Workshop wurde die Jokerfigur zuerst von Lehrpersonen ausgeführt, bei wiederholenden und bekannten Übungen wurde die Figur auch von Schüler*innen ausgeführt.
Der Workshop
Ästhetische Bildung und Fachbereiche einzelner Disziplinen durften im Workshop ineinandergreifen. Bildnerische Prozesse sowie theaterpädagogisches Handeln sollten sich ergänzen. Partizipative Prozesse wurden gefördert und Raum für Diskussionen geschaffen. Am Workshop nahmen Schüler*innen aus verschiedenen Klassen der SekundarschuleRümlang teil. Die Schüler*innen arbeiteten im leeren Schulraum mit körperlichen Übungen aus der Theaterpädagogik. Es ergaben sich u.a. Diskussionen über Kunst und soziale Plastik. Die Gesprächsrunden wurden von den Spielrunden getrennt. Es wurden Geschichten geschrieben, Statuen-Theater geübt und eine Ausstellung erstellt. Das Kernstück des Workshops bildete der Museumbesuch. Mit der Vermittlerin des Kunstmuseums Zürich wurde im Rahmen des Ausstellungsbesuchs das Aussprechen einer Beschwerde abgesprochen und vorbereitet: Es wurden Slogans abgemacht und Transparente gemalt.
Das Vorgehen
Während des Workshops entstanden ein Forschungstagebuch, Erinnerungsprotokolle und Fotos von allen Beteiligten. Die Beobachtungen aus der Workshop-Woche bildeten den Schwerpunkt der Untersuchung. Als Bühnenbildnerin, Künstlerin und Lehrperson kannte ich diese einzelnen Teilgebiete bereits. Die Verbindung war für mich als Forschende neu. Da ich als Forschende selbst Teilnehmende war und bereits Erfahrung im Feld hatte, wurden autoehnographischeMethoden eingesetzt.
Die Ergebnisse
Aus dem Forschungstagebuch wurden Situationen des Gelingens und des Scheiterns ausgesucht, in der sich die Ordnung der Gruppe veränderte. Die Situation während des «WarmUp» zeigt, wie Schüler*innen - Handeln möglich ist. Bei derSituation «Protest Bike» zeigen sich Momente, wo ein Geschehen als bildender Moment gerade nicht möglich ist.
Die Fragen und die Darstellungsform der Situation:
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Zur Aktion wird zuerst beschrieben, was im Raum geschah.
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Interpretation zum Geschehen als ein bildender Moment.
Situation «Warm Up»
Bei dieser Übung gingen die Teilnehmer*innen (TN) anfangs ziellos durch den Raum. Dabei erhielten die TN unterschiedliche Aufträge. Bei der Aufforderung «Stop» durch die Spielleitung blieben alle abrupt stehen und blieben kurz in ihrer Haltung. Bei «Go» sollten alle gehen. Die Spielleitung wurde vom Joker*in geführt.
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Die Übung wurde zum ersten Mal von einem Schüler geleitet. Zuerst wurde geschubst und einzelne Schüler*innen wollten Aufmerksamkeit erzeugen durch grosse Bewegungen oder Geräusche. Daraufhin stand der leitende Schüler auf eine Leiter und gab die Anweisungen von dort aus.
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Auf die Leiter zu steigen war ein spontaner Einfall des leitenden Schülers. Den Überblick zu behalten schien ihm zu gefallen. Zum Glück konnte er so alle zum Mitmachen gewinnen.
Durch das Wiederholen entstand ein Moment des Vertrauten. Die Übungen wurden von Tag zu Tag sicherer in der Art wie sie durchgeführt wurden. Durch dieses Vertraute in den Wiederholungen war es möglich, die Rolle der Jokerfigur von einem Schüler ausführen zu lassen und die Lehrperson konnte so in eine aktive Zuschauerrolle schlüpfen.
Jokerfigur
Die Jokerfigur wird von Birgit Fritz als Vermittler*in, Pädagog*in und Forscher*in einer Person beschrieben. Die Jokerperson müsse es möglich machen, Räume zu öffnen (vgl. Fritz 2013). Joker sind zudem Lehrende, die an ihrem Wissen arbeiten, somit also auch Lernende. Für Boal selbst ging das Jokersystem nicht weit genug. Denn erst wenn die Zuschauerrolle aufgelöst ist, das heisst, wenn die Zuschauer die Hauptrolle übernehmen, dann proben sie die wirkliche Handlung (Wrentschur 2013: 49). Die Krux besteht darin, dass die Rolle des Jokers anspruchsvoll ist, und somit nicht so einfach austauschbar, genau wie die Rolle einer Lehrperson. Damit kein Machtgefälle stattfinden kann, müsste aber die alleinige Autorität des Jokers durchbrochen werden. Die Lehrperson in der Rolle des Jokers steckt also in einem Zwiespalt, sie besitzt eine Macht, die in diesem Gefälle nicht mehr verbindend ist (Staffler 2000: 125).
Situation «Protest Bike»
Dieser Fall wurde ausgesucht, da die Protestaktion der Schülerinnen und Schüler von zwei grossen Institutionen (Kunsthaus und „Schule“) erwünscht und forciert wurde. Das Kunsthaus stellte das Protest Bike zur Verfügung und plante mit den Schüler*innen eine Kundgebung zum Thema Umweltschutz. Die Schüler*innen aber handelten nicht so, wie es gewünscht wurde. Sie haben nicht ausschliesslich, wie abgemacht, für den Umweltschutz demonstriert:
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Mit dem Protest Bike und Transparenten gingen die Schüler*innen auf die Strasse und riefen abwechslungsweise Parolen für den Umweltschutz, während Passanten zusahen. Wie abgemacht sprachen zwei Schülerinnen: »Wir hauen auf den Putz- für den Umweltschutz». Als Antwort folgte ein Slogan über die Mikrophone: «Für eine grüne, saubere Welt!» Dann aber begannen die Schüler „Allahu akbar“, “Gott ist gross“ durch die Lautsprecher zu rufen. Die Lehrperson stellte sich daraufhin unmittelbar vor das Protest Bike, um den Umzug zu stoppen. Die Kunstvermittlerin stellte das Mikrofon ab und wies die Schülerinnen und Schüler zurecht.
Ich hatte das Gefühl, das Ganze ging ziemlich schnell. Die Situation entglitt uns Erwachsenen. Wir hatten einen Moment keine Kontrolle mehr, es war ein ohnmächtiges Gefühl. Es war stressig. Ich verstand nicht, weshalb sie sich nicht an die Abmachungen hielten. Musste sowas auch noch in der Öffentlichkeit passieren? Wollten sie uns einfach provozieren? Ich wollte die Situation einfach schnell stoppen und diese wieder als Lehrperson unter Kontrolle haben.
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Dieser Schüler hat performativ gehandelt, aber er ruft nicht wie abgemacht Slogans für die Natur, sondern, aus der Perspektive der Vermittlerinnen, eher eine „hate speech“. Diese wurde als massive Störung empfunden.
Den Vorfall mit dem Fahrrad finden die Schüler*innen nicht schlimm; als Lehrperson hingegen assoziiere ich damit fundamentalistisches Gedankengut und verknüpfe es mit negativen Gefühlen und Gefahr. Es befremdet mich. In diesem Moment verstehe ich die Schüler*innen nicht. In der anschliessenden Diskussion wurde ich von den Schüler*innen als „Ungläubige“ bezeichnet. Deshalb würde ich sie nicht verstehen. Ich verstehe es ja wirklich nicht.
Reflexion Protest Bike
In diesem Fall wird eine Situation beschrieben, in der die Aktion der Schüler*innen als Störfall eingeordnet wurde. Die Zuweisung als «hate speech» ist durchaus problematisch, da sie eine Interpretation bleibt und die Perspektive des Schülers eine andere ist. Die Rahmenverschiebung des Unterrichts auf die Strasse hat die Handlungskonvention des Unterrichts in Frage gestellt; der Rahmen und die Regeln des Unterrichts waren nicht mehr klar. Kunstunterricht wird normalerweise räumlich und zeitlich definiert. Unterricht als pädagogische Situation stellt einen gewissen Schonraum dar, da Kinder und Jugendliche an die Anforderungen der Erwachsenen herangeführt werden. Anderseits sollten die Jugendlichen auch Selbst-und Fremdwahrnehmung und vor allem Handlungsmöglichkeiten üben. Die Forschende befindet sich in der Zwickmühle. Aus der Perspektive „von Kunst aus“ sind solche Irritationen zu begrüssen. Als Lehrperson sieht die Sache etwas anders aus. Die Lehrperson möchte Verbindlichkeit, möchte, dass Abgemachtes eingehalten wird. Rückblickend kann man sich fragen, was die Vermittelnden erwarten: brav demonstrieren im Sinne der Erwachsenen? Darin liegt ein Widerspruch, den die Jugendlichen offensichtlich verstanden. Diese Rahmenverschiebung zerstört den Unterricht nicht, sondern ist viel eher eine zusätzliche Wirkungsebene. Aus der Handlungsebene betrachtet, gibt es eine Ebene der kulturellen Dimension. Die andere Dimension bezieht sich auf die soziale Dimension einer (museums)pädagogischen Unterrichtssituation. Der Schritt in die Öffentlichkeit setzt Kooperation voraus (vgl. Zierfas: 2017: 26).
Die Schüler*innen sollten zwar im Rahmen ihres Kunstprojektes auf der Strasse protestieren, aber so wird es als Störung verstanden. Ist Protest in vorgegebenen Strukturen ein Protest? Hier haben die Schüler*innen eigenmächtig gehandelt, gerade dadurch, dass sie die Abmachungen nicht befolgten. Hier besteht ein Widerspruch.
Spannungsfeld der Hoffnungspotenziale
Es gibt Schüler*innen, die sagen: «Ich habe kein Bock». In dieser Haltung der Verweigerung ist eine Selbstkompetenz enthalten, die sie ermächtigt, eine eigene Entscheidung zu treffen. Wie in der Workshopwoche kann es vorkommen, dass manchmal eben nicht partizipiert werden will. Viele der Schüler*innen wollen sich nicht aufs Spielen einlassen. Mörsch(2016) beschreibt dies als vernünftige Reaktion, denn in ihrem Falle ist es oft ungeklärt, wer die Nutzniesser der Situation sind. Vielleicht profitiert vielmehr das System davon? Was erhalten denn die Protagonist*innen für ihre Bereitschaft, z.B. die Looser-Figur zu spielen als Gegenleistung? Mörsch nennt diese das Defizitärsubjekt. Motivation wäre zum Beispiel eine wirtschaftlich motivierte Bewertung in Form einer Aufwandsentschädigung. Ein Beispiel, wie eine Umwertung oder Aufwertung gelingen könne, wäre, die Sprechweisen der Schüler*innen nicht als defizitär zu betrachten, sondern als ästhetische Praxis zu begreifen.
Ob eine Situation als Störung oder Konflikt empfunden wird, hängt letztendlich von der Lehrperson und ihrem Empfinden ab.
Unkalkulierbares in Lehr-Lernprozessen
Laut Pazzini gehört die Begegnung mit dem Unbehagen oder dem Fremden dazu. Daraus ergibt sich ein Prozess, in dem sich die Beteiligten selbst differenziert erfahren und somit das Eigene und das Fremde neu begreifen (Sack 2011: nach Pazzini). Das heisst, die Lehr-Lern-Verhältnisse verschieben sich dabei und es entsteht eine Schnittstelle. In der körperlichen theaterpädagogischen Arbeit in diesem Workshop, wechseln sich Spielleiter*in und Spieler*in ab. Somit werden Spielräume des Unkalkulierbaren praktisch hergestellt. In Lehr-Lern-Prozessen als Begegnung mit dem Fremden spüren viele Menschen einen Widerstand. Diese Prozesse können von der Lehrperson gefördert, wie auch von den Schülerinnen und Schülern provoziert werden. Aus diesem Spannungsverhältnis können sich bestehende Sichtweisen verändern. Diese Prozesse sind sozial verankert und verschieben den Fokus didaktischer Analysen. Sie betonen den Beziehungsaspekt und die sozialen Interaktionen (Sack 2011: 56). Neben dem Lerngegenstand wird vielmehr eine Differenzerfahrung ermöglicht.
Das Auftreten des Fremden in Lehr-Lern Prozessen kann folgendermassen konkretisiert werden: Es wird unterschieden, ob das Fremde und Unbekannte inhaltlich oder methodisch fremd ist, sowie die Art und Weise, wie der Inhalt transportiert wird. Fremd wird auch manchmal etwas genannt, wenn es „unheimlich“ für jemanden ist, also an etwas rührt. Auf der Inhaltsebene kann der Umgang mit dem Stoff befremden, die Lösung liege in der Akzeptanz dieses Konflikts. Die Lehrperson sollte in der Lage sein, einen konstruktiven Umgang zu finden und sich selbst nicht nur als operativen Teil, sondern auch als partizipativen Teil des Geschehens sehen (Sack 2011: 53).
Das Irritierende, Fremde, Störende wurde bei der Kundgebung mit dem Bike abgewehrt. Was hier geschah, beschreibt einen Bildungsvorbehalt der forschenden Lehrperson (und der Kunstvermittlerin). Wünschenswert wäre die Fähigkeit,eine unvorhergesehene Situation während des Handelns neu zu interpretieren und aus der Situation heraus zu reflektieren und zu reagieren. Diese neue Setzung einer Situation während der Aktion zu leisten, gelingt nicht immer. Die Aufgabe der Lehrperson besteht darin, gerade nicht in diese Falle zu tappen. Wenn das Fremde abgewehrt wird, wie in diesem Fall, verbleibt die Bildungsmöglichkeit in einem vorläufigen Status. Man kann sich ändern, indem man sich bildet, oder man kann die Veränderung abwehren, indem man die Bildungschance nicht nutzt und am Bewährten festhält. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Schüler*innen, wie auch die Lehrperson, sich mit der Situation auseinandersetzen, sie reflektieren und analysieren sollen, um dabei eigene Wege zur Freiheit und Selbstbestimmung zu entdecken. Die Schülerinnen und Schüler sollen ja zu aktiv Handelnden werden und eigene sowie fremde Haltungen und Einstellungen erkennen, überprüfen und ausprobieren.
Um Handlungs- und Denkmuster aufzuweichen muss die vertraute Deutung von Welt und Selbst einbrechen. Eine produktive Lösung liegt in der Akzeptanz dieses Konflikts. Die Lehrperson sollte in der Lage sein, einen konstruktiven Umgang zu finden und sich selbst nicht nur als operativen Teil des Geschehens sehen, sondern auch als partizipativen Teil (Sack 2011: 53). Die Lehr-Lern-Prozesse lösen also nicht nur bei den Schülern Widerstand aus im Sinne der Fremdheit, sondern auch bei der Lehrperson. Es stellt sich die Frage, wie sich das Beziehungsgeflecht und das Machtverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden präziser schildern lässt.
Die Abweichung vom üblichen Verhalten kann ein Lustgewinn sein. Nach Heil kann dadurch ein Parallelmodell zum Schulunterricht innerhalb des Unterrichts entstehen, der sich an den Verhaltensformen jedes Einzelnen entwerfe. Die Positionierung jedes einzelnen Schülers wird in diesem Kontext spürbar und für einen Moment zu einer Setzung, die auch anders aussehen könnte. (vgl. Heil 2015)
Schlussfolgerungen
Partizipative Prozesse können eingeführt und unterstützt werden. Soziales Handeln ist immer gebunden an systembedingte Rollen. Wie die Rolle des Jokers muss die Rolle der Lehrperson klar bleiben. Beim Joker gelten dieselben Regeln wie bei Lehrpersonen: Sie müssen in ihre Rolle hineinwachsen und diese ausfüllen. Sie sollen mit Klarheit führen und alles im Blick haben. Die Teilnehmenden fördern, dabei sich selbst zurücknehmen und im Dialog bleiben. Diese Aufgabe kann niemand von heute auf morgen meistern. Joker*in wie Lehrpersonen müssen wagen, sich immer wieder auf Unvorhergesehenes einzulassen und ständig weiter lernen und nachdenken über sich und die Anderen.
Wie frei können die Schüler*innen denn mitreden? Es muss auch möglich sein, nicht partizipieren zu wollen. Vielleicht ist «Allahu akbar» ein anders-partizipieren, mit dem schwierig umzugehen ist. Es muss möglich sein, zu sagen „Ich möchte lieber nicht“. Die Möglichkeit zu wählen sollte gegeben sein. Nicht-partizipieren-wollen und anders-partizipieren sollte auch möglich sein. Der Imperativ der Mitgestaltung ist nicht unproblematisch. Möglichkeitsräume von «Mitreden können» können ebenso als kontrollgesellschaftlich Werkzeuge zur Unterdrückung erfahren werden. Partizipation muss in einem Projekt also Sinn machen und funktioniert nur, wenn die Teilnehmer*innen dies wollen.
Literaturverzeichnis
Abels, Heinz/König, Alexandra (2010): Sozialisation: Soziologische Antworten auf die Frage, wie wir werden, was wir sind, wie die gesellschaftliche Ordnung möglich ist und wie Theorie der Gesellschaft und der Identität ineinander spielen. Studientexte zur Soziologie. Wiesbaden, Springer.
Boal, Augusto (2006): Theater der Unterdrückten. Übungen für Schauspieler und Nicht-Schauspieler. Frankfurt am Main, Suhrkamp.
Fritz, Birgit (2013): Das Autopoietische Theater Augusto Boals. Ein Handbuch des Theaters der Unterdrückten. Stuttgart, Ibidem.
Heil, Christine (2012): Beobachten, verschieben, provozieren. Feldzugänge in Ethnografie, Kunst und Schule. Hamburg, Repro Lüdke.
Heil, Christine (2015): (un-) gewöhnlicher Dingumgang in ästhetischen Bildungsprozessen. Hannover, Fabrico.
Hentschel, Ulrike (2010): Theaterspielen als ästhetische Bildung. Milow, Schibri.
Hirschauer, Stefan/ Amman, Klaus (Hg.) (1997): Die Befremdung der eigenen Kultur. Zur ethnographischen Herausforderung soziologischer Empirie. Frankfurt am Main, Suhrkamp.
Mörsch, Carmen (2016): Darüber, hinaus In: Eure Zwecke sind nicht unsere Zwecke. Bielefeld, Transcript. S. 85-105.
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Staffler, Armin(2009): Augusto Boal, Einführung. Wiesbaden, Springer Fachmedien.
Sturm, Eva (2007): «Mit dem, was sich zeigt. Über das Unvorhersehbare in Kunstpädagogik und Kunstvermittlung». In: Busse, Klaus-Peter/ Pazzini ,KarLJosef: (Un)Vorhersehbares lernen. Dortmund, Kunst-Kultur-Bild, S.71-91, 80.
Wrentschur, Michael (2004): Theaterpädagogische Wege in den öffentlichen Raum, zwischen struktureller Gewalt und lebendiger Beteiligung. Stuttgart, Ibidem.
Zierfas, Jörg (2017): Zur Performativität der Pädagogik. In: Hudelist, Andeas/ Kramer, Stefan (Hg.): Information zur Deutschdidaktik, Ausgabe: Kultur des Performativen. Innsbruck, die Studienverlag. Heft 3-2017, 41. Jahrgang, S.18-30.