„LECK MICH DOCH!“ WAR DENEN EINFACH TOO MUCH! Ein Gespräch über Algorithmen, Geld und sexuelle Bildung im Internet.
Abstract:
2018 hat das Kollektiv Feige, gegründet von Ebru Düzgün, Franziska Kabisch, Magdalena Fischer, Malu Blume und Sophie Utikal, die Videoserie "Liebe, Sex & Klartext" produziert. In der 14-teiligen Webserie zu sexueller Selbstbestimmung nehmen 11 Mädchen und junge Frauen zwischen 15 und 19 Jahren Mythen über Sexualität und Körpernormen unter die Lupe. Die Videos sollen einen Beitrag leisten, die Vielfalt von Sexualität und Geschlechtlichkeit sichtbar zu machen und einen Kontrapunkt zu den heteronormativen Diskursen des Mainstreams zu setzen. Die Macher*innen haben aus ihren eigenen sexuellen Lernbiografien geschöpft, um zu überlegen, welche Stigmata, Mythen und normativen Konstruktionen eine selbstbestimmte sexuelle Praxis erschweren, indem sie beispielsweise Scham und Unsicherheit erzeugen. Die Videos waren Teil einer Kampagne zu sexueller Selbstbestimmung von Mädchen und sind im Auftrag der Abteilung für Wiener Frauengesundheit der MA24 der Stadt Wien und in Zusammenarbeit mit dem Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch und dem flash Mädchencafé entstanden. Die Kollektiv Feige Mitglieder Malu, Magda und Franzis sprechen im Folgenden über den Entstehungsprozess der Videoserie " Liebe, Sex & Klartext, über sexuelles Erfahrungswissen, misogyne Trolle und schliesslich über den Zusammenhang von (sexueller) Selbstbestimmung und Queer-Feminismus.

Auftragsarbeiten, Potenziale und Grenzen

Franzis: Lasst uns doch zuerst über unsere Motivationen für das Projekt sprechen. Mir war es wichtig, vieles weiterzugeben, was ich in den letzten Jahren gelernt habe. Vielleicht auch an mein 16-jähriges Selbst, das noch keinen Zugang zu solchen Formaten hatte, weil das Internet damals nicht so weit war. Und darüber hinaus hatten wir das Begehren, Wissen über Sexualität, vor allem queere Sexualität, aufzubereiten und Körpernormen aus queer-feministischer Perspektive zu hinterfragen – oder anders herum, Körpernormen zu entnormalisieren. Wir wollten schon ziemlich coole Kids finden, die eine Vorbildfunktion für andere Jugendliche einnehmen konnten, aber auch unterschiedliche Körper zeigten.

Magdalena: Das stimmt, es war schon der Ansatz, auf eigenem Erfahrungswissen aufzubauen. Auch wenn wir am Ende vieles davon leider kürzen und verändern mussten …

Franzis: Dabei war es uns ein Anliegen, Sexualität mit Spass, Humor und einer gewissen Leichtigkeit zu behandeln, um bestimmte Themen überhaupt besprechbar zu machen.

Malu: Und ich glaube, dass unsere Verwendung von Sprache, die durch Humor und Populärkultur geprägt ist, dann auch einer der Punkte war, an dem unser Ansatz mit den Vorstellungen von Vermittlung unserer Auftraggeberinnen kollidierte, von dem, was z.B. die angebrachte Sprache ist, um über Sex und Begehren zu sprechen. Sodass wir auch Kompromisse eingehen mussten und uns nicht ganz so radikal, spielerisch, explizit oder umgangssprachlich ausdrücken konnten, wie wir es uns gewünscht hätten. So wurde im Prozess vieles gestrichen und verändert und am Ende war das Ergebnis formaler und leider auch etwas normativer. Und ich habe das schon als Hemmnis erlebt, denn während uns das Schreiben der Texte, das Sammeln der Mythen und der Austausch darüber sehr viel Spass gemacht hat, konnte sich diese Lust leider letzten Endes nicht ganz übersetzen.

Magdalena: Ja, es wäre sicher noch lustiger geworden, mit mehr Schmäh und Formulierungen, die manche als jugendsprachlich-derb empfinden.

Franzis: Aber auch radikaler, was die Themen angeht.

Magdalena: Genau, was ist too much, zu explizit? Ich fand es interessant, dass es eigentlich um Entstigmatisierung und Selbstbestimmung gehen sollte, aber das explizite Benennen von Sex in einer nicht-akademischen Sprache teilweise als vulgär und unpassend empfunden wurde. Unser ursprünglicher Titel für die Serie war eigentlich Leck mich doch, also ein Rekurs auf diese Zweideutigkeit, die man einerseits als selbstbewusste Aufforderung zum Oral-Sex verstehen kann, aber andererseits auch als Ansage im Sinne von Leck mich am Arsch. Das sind Ausdrücke, die in unserem Alltag präsent sind, aber das war dann zu viel für die Auftraggeberinnen. Dabei waren wir uns total einig: feministisch, selbstbestimmt, ein super Name!

Franzis: Aber trotz all der Kürzungen ist es ein super Projekt geworden. Und wir haben viel darüber gelernt, wie unterschiedlich die Auffassungen von sexueller Selbstbestimmung sein können – ob das jetzt an unterschiedlichen Generationen liegt oder politisch bestimmt ist, wer weiss.

 

Repräsentation und Zielgruppen

Franzis: Bei unserem Projekt gab es ganz klar das Ziel, Mädchen und junge Frauen vor die Kamera zu holen, mit denen sich die Zielgruppe zumindest vom Alter her identifizieren kann und dabei ein vertrauter Vibe rüberkommt. Es war uns auch extrem wichtig, dass wir eine hohe Diversität in Bezug auf das soziale Milieu dabeihaben. Ich habe die Serie später mal in einer Seminargruppe gezeigt, die sehr positiv auf die Stimmung in den Videos reagiert hat. Dadurch, dass die Gespräche humorvoll waren und die Girls im Video so gemütlich und locker auf dem Sofa sassen, konnten sich die Seminar-Teilnehmenden dann auch eher öffnen, obwohl Sexualität im Uni-Kontext meistens eher total verkrampft besprochen wird.

Magdalena: Ich finde, es ist wie bei allen Dingen: Vermittlungsarbeit ist Haltung. Und die Haltung haben wir in der Auswahl des Casts umgesetzt, indem wir bestimmte Mehrheiten gar nicht abbilden und ihnen keinen Raum geben.

Malu: Ich denke, das ist eine wichtige politische Entscheidung gewesen, denn es gibt ja schon einen Diskurs der sexuellen Bildung. Allerdings war es uns wichtig, eine Vermittlung zu praktizieren, die Haltung bezieht und Leerstellen füllt, die sonst wenig gefördert werden. Deswegen war es nie unser Anspruch, etwas zu machen, das möglichst flächendeckend wirksam ist und wozu sich die Mehrheit in Beziehung setzen kann. Es bringt sowieso nichts, sich die Interessen oder Wissensstände von irgendwelchen konstruierten Zielgruppen zu imaginieren. Wir wollten auch uns selbst als Teenager ansprechen. Und es war auch schön, dass wir Jugendliche im Projekt hatten, mit denen ich damals sicher gerne befreundet gewesen wäre. In meiner Kleinstadt gab es solche Leute nicht oder ich habe sie nicht getroffen. Da war ich ziemlich allein. Während der Produktion gab es also einen schönen Austausch zwischen deren Generation und unserer.


Erfahrungswissen und Expert*innentum

Franzis: Wir haben es als Stärke und Ressource empfunden, uns auf unsere eigenen Wünsche und unser eigenes Wissen zu beziehen. Jedoch wurden wir immer wieder von den Auftraggeberinnen dazu angehalten, wissenschaftlicher zu arbeiten, vielleicht auch weil sie fürchteten, sich politisch angreifbar zu machen – und wir wurden dann auch von Rechtsextremen der sogenannten Identitären Bewegung angegriffen.Kurz vor Neujahr 2019 hat Martin Sellner, der Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, ein halbstündiges Video veröffentlicht, in dem er auf ein Video aus unserer Serie reagiert. In unserem Video Alle Mädchen haben eine Scheide? geht es um Körper, die nicht cis-geschlechtlich sind. In seinem Reaktionsvideo, das er mit dem Titel Das peinlichste Video des Jahres auf seinem YouTube-Kanal hochgeladen hat, macht er sich über die jugendlichen Protagonist*innen sowie uns Macher*innen lustig. Seine damals rund 100.000 Follower hat das ermutigt, unsere Videos mit Hasskommentaren zu füllen, tausendfach zu disliken, auf anderen rechten Plattformen zu beschimpfen und auch die Stadt Wien mit Hasspost zu adressieren. Dabei hat uns die Wissenschaftlichkeit allerdings auch nicht geholfen.

Malu: Überhaupt nicht! Denn die Diskurse, die von solchen Leuten geführt werden, sind ohnehin nur pseudo-wissenschaftlich – wenn überhaupt. Da geht es einfach um Macht, um Definitionsmacht.

Franzis: Das ist eigentlich eine Stärke bei unseren Videos gewesen: der Ansatz, Expert*innen der eigenen Erfahrung und der eigenen Sexualität zu sein, sowohl was uns, aber auch, was die Jugendlichen angeht. Und genau das war uns ja extrem wichtig, dass Sexualität ein individueller Lernprozess ist, bei dem es ganz wichtig ist, sich selbst zu vertrauen. Vielleicht ist es dabei auch wichtig zu erwähnen, dass wir im Projekt- und Produktionsteam nur FLINT*-Personen waren.FLINT* meint Frauen, Lesben, Inter*, nicht-binäre, sowie Trans*Personen. Was sie eint, ist die Erfahrung von Diskriminierung auf Basis von Cis-Sexismus und Heteronormativität. Darüber hinaus fand der Dreh bei Magdalena zuhause statt und wir konnten dort eine entspannte und intime Atmosphäre schaffen, auf die die Protagonist*innen dann auch positiv reagiert haben.

Vertrauen

Malu: Das waren alles bewusste Entscheidungen von uns, in welchem Raum wir drehen, wie wir ihn gestalten und wie wir mit den Jugendlichen und miteinander sprechen. Es waren Entscheidungen, die darauf abzielten, eine Vertrauensbasis herzustellen. Und uns ist während der Produktion aufgefallen, wie dieser Plan aufgegangen ist und dass es sicher anders gewesen wäre, hätten wir einen Dude an der Kamera oder am Ton gehabt, weil wir einfach niemand anderes gefunden hätten. Bei dem Projekt war es sicher total hilfreich, dass wir keine männlich positionierte Person dabei hatten und in unserem Produktionsteam viele Queers waren.

Magdalena: Es passiert in solchen Projekten immer noch zu oft, dass Teilnehmende dann doch wieder ge-othered, also irgendwie als anders oder fremd markiert werden, weil die Leute in der Produktion, die Leute, die Entscheidungen treffen, skripten oder schneiden, eigentlich nichts mit den Themen oder Politiken zu tun haben.

Franzis: Ich denke, es war auch wichtig, dass wir den Protagonist*innen immer wieder angeboten haben, sich die Kamerabilder anzuschauen. Einen Eindruck davon zu geben, welche Bilder wir von ihnen produzieren oder ihnen eine gewisse Kontrolle über das eigene Bild zu geben, war für die Vertrauensebene total wichtig.

Skills und DIY

Magdalena: Wir haben vieles anders gemacht, als es bei normalen Drehs passieren würde. Das hat auch damit zu tun, wie sich unsere Gruppe zusammengesetzt hat. Wir kannten uns schon freundschaftlich und das prägt natürlich das Miteinander. Und wir sind alle halbe Autodidakt*innen, was das Filmemachen betrifft und haben Skills und Wissen aus unterschiedlichen Bereichen zusammengebracht — kritische Vermittlungsarbeit, Bild-, Foto-, Video-, Textproduktion.

Franzis: Sex! Also Sex als Wissen, das wir mitgebracht haben, aus eigenen sexuellen Erfahrungen.

Magdalena: Und dazu haben wir uns noch Licht- und Sound-Personen und jemanden für das Catering geholt.

Franzis: Wir haben das Projekt auch genutzt, um uns gegenseitig neue Sachen beizubringen.

Magdalena: Dass Sofi zum Beispiel bei dem Dreh das erste Mal überhaupt in ihrem Leben Kamera gemacht hat, ist so cool. Weil sie etwas neben der Produktion machen wollte. Da haben wir dann gemeinsam die Technik eingerichtet und sie hat die Hauptkamera bedient, den ganzen Dreh durch. Das heisst, wir haben direkt am Set auch Skills und Wissen geteilt und uns gegenseitig vermittelt.

Malu: Ich frage mich dann schon, was das besonders macht, wenn wir als ein Team, in dem alle etwas mit Kunst, Medien und Bildung gemacht haben, jetzt videojournalistische Projekte machen. Das macht eigentlich total Sinn, so etwas mit einem queer-feministischen Bildungsanspruch zu machen. Dafür haben wir uns an Formaten orientiert,Beispiele dieser Formate sind die Webserie Decoded des Kanals MTV, in der die Komikerin und Aktivistin Franchesca Ramsey Halbwissen und Vorurteile aufdeckt, oder die Videos des Künstlers Dylan Marron, der mit Gäst*innen auf humorvolle Weise diskriminierenden Bullshit kommentiert. Ein weiteres Beispiel sind Videos der Kanäle BuzzFeed oder Refinery29, die ganz unterschiedliche feministische Fragestellungen journalistisch bearbeiten. die es vor allem im englischsprachigen Raum gibt, die einen spielerischen Charakter mit Bildung oder Aufklärung verbinden.

Social Media Arbeit und Zielgruppen

Magdalena: Was ich gelernt habe, ist, dass es eine ältere Generation gibt, die Gelder und Aufträge vergibt und teilweise noch weniger als wir versteht, wie effektive digitale Kampagnenarbeit funktioniert. Aber da Jugendliche nun mal mit dem Internet leben, wollen sie ein digitales Produkt, das online verfügbar ist. Idealerweise würde ich für solche Projekte in Zukunft eine Anstellung für eine Person schaffen, die altersmässig viel näher an der Zielgruppe ist, um die Social-Media-Kampagne zu betreuen. Es bringt nichts, Kanäle von null auf für solch ein Projekt aufzubauen, einfach Inhalte ins Internet zu ballern und zu hoffen, dass sie Aufmerksamkeit abbekommen.

Franzis: Ich finde es schön, dass wir versucht haben, uns zu vernetzen und uns neben Programmen wie Auf Klo oder Softie eingereiht haben,Auf Klo und Softie sind beides queer-feministische Kurzvideoformate, die vom deutschen öffentlich-rechtlichen Netzwerk funk finanziert werden. Während Auf Klo zu Gesprächen in gemütlicher Atmosphäre ,auf Klo‘ einlädt, präsentiert Softie ein diverses Spektrum an Statements direkt in die Kamera. Beide beschäftigen sich mit Themen wie z.B. Beauty-Konstrukten, Körperscham, rassistischen Kostümen oder Beziehungsmodellen. Auf Klo findet man eher auf YouTube (https://www.youtube.com/aufklo) und Softie auf Instagram (https://www.instagram.com/softie.offiziell/). die unser Projekt dann auch geteilt haben.

Malu: Das ist einfach einer der Vorteile: Wenn du etwas online stellst, kann das gefunden und geteilt werden. Digitale Produkte können als Unterrichtsmaterial verwendet werden. Aber ein wirklicher Dialog entsteht nicht. Und wegen rassistischer und sexistischer Hate-Kommentare und Cyber-Mobbing mussten wir schnell die Kommentarfunktion auf YouTube ausschalten. Hätten wir mehr Ressourcen für die Social-Media-Arbeit gehabt, hätten wir auch Instagram oder TikTok ganz anders betreuen können. Denn bei allem, was bei Instagram falsch läuftNeben fragwürdigen Schönheitsnormen, die durch Instagram als rein visuelle Plattform verstärkt werden, sind auch die Zensurmassnahmen höchst problematisch: So werden Bilder von Regelblutungen, Fotos weiblich gelesener Brüste (im Gegensatz zu männlichen), Profile von Sexarbeiter*innen und vieles andere, was feministischer Selbstbestimmung entstammt, einfach gelöscht.: Es ist eine Plattform, die eine gewisse Unmittelbarkeit in der Kommunikation mit Leuten, die Content produzieren, leistet. Aber letzten Endes hatte ich überhaupt keinen Kontakt mit der Zielgruppe in Bezug auf deren Feedback auf unsere Videos. Und das ist schon etwas, das so eine digitale und webbasierte Vermittlungsarbeit von anderen Formen stark unterscheidet.

Franzis: Es ist ein Nachteil für Projekte wie Liebe, Sex & Klartext, dass YouTube, Instagram etc. so stark darauf aufgebaut sind, dass du dich kontinuierlich engagieren musst. Das hat viel damit zu tun, wie die Algorithmen funktionieren: Wenn du länger nichts postest oder kaum Hashtags benutzt, werden deine Posts nicht mehr angezeigt und du verlierst Reichweite. Finanziell und auch zeitlich konnten wir das nicht stemmen.

Magdalena: Gerade wenn es darum geht, verantwortungsvoll zu moderieren und einen Kanal kontinuierlich aufzubauen, so etwas kann man nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Dafür müssen entsprechende Budgets freigemacht werden.

Franzis: Wir reden jetzt so darüber, als ob unser Ziel gewesen wäre, dass halb Deutschland über diese Videos sprechen muss — aber die Ressourcen hatten wir gar nicht. Dafür zirkuliert die Serie jetzt noch in Gruppen oder in der Bildungsarbeit, was ja total super ist. Wie ein Video viral wird, ist eben für alle sehr undurchschaubar.

Magdalena: Ich meine auch gar nicht viral, sondern zielgruppenorientiert! Wir haben das Video verbreitet, indem wir viele der uns bekannten Kontakte und Plattformen angeschrieben haben. Es wäre super gewesen, stärker mit unseren Protagonist*innen darüber zu reden, welche Channels und Plattformen sie nutzen, wo sie sich informieren, und beispielsweise eine von ihnen in die digitale Kampagnenarbeit einzubeziehen.

Malu: Ja, ich hätte eine FokusgruppeFokusgruppen sind leitfaden-orientierte Gruppendiskussionen,die zum Beispiel in der qualitativen Sozialforschung als Forschungsmethode eingesetzt werden, aber auch in der Entwicklung von Serien und Fernsehformaten zum Einsatz kommen. Für die international extrem populär gewordene norwegische Fernseh- und Web-Serie SKAM, die mit neuen Formen digitalen Erzählens gearbeitet hat, wurden beispielsweise auch Fokusgruppen eingesetzt, um ein realistischeres Abbild der Lebenswelt von norwegischen Teenagern zu erzeugen. mit Girls aus unserer Zielgruppe geil gefunden, um auch deren Anliegen und Themen zu recherchieren und auf deren Interessen eingehen zu können. Stattdessen nahmen wir unsere eigenen Interessen zum Ausgangspunkt und entschieden uns, etwas zu machen, das uns selber gefällt und das finde ich legitim.

Magdalena: Ich finde es wichtig, immer das ganze digital-dramaturgische Konzept am Schirm zu haben. Klar, etwas zu produzieren ist das eine, aber gleich wichtig ist doch die Frage, an welche Orte und Menschen das dann gehen soll und wie es dort hinkommt.

Franzis: Das sind halt auch zwei verschiedene Jobs, das eine ist die Produktion des Videos und dann die Verbreitung. Und zweiteres ist eine komplett neue Aufgabe.

Hass im Netz

Malu: So wie das mit Sellner – wenn man Sachen online stellt, bringt das so etwas mit sich. Wir dachten uns, so viele Leute interessiert unsere Serie vielleicht doch nicht, aber es hat die richtig auf die Palme gebracht. Da das Projekt nicht besonders in den Medien gecovert wurde oder viral ging, hätte ich nicht erwartet, dass es so viel hate anzieht.

Malu: Sellner findet es peinlich, wenn Jugendliche über Sex reden.

Franzis: Ja, er hat in seinem Video wirklich eine halbe Stunde über unser Video gesprochen, das nur zwei Minuten dauert.

Magdalena: Was die so auf die Palme gebracht hat, war vor allem, dass dieses Video, in dem ganz selbstverständlich über nicht-binäre und trans* Körper gesprochen wird, Teil eines Projektes für sexuelle Bildung war, das mit öffentlichen Geldern finanziert wurde. Das hat uns bewiesen, wie wichtig es ist, diese Arbeit zu machen und wie viel es zu tun gibt. Da wird einfach gesagt, dass es Körper gibt, die Sex haben und nicht cis sind. Und das hat ausgereicht für einen organisierten Shitstorm von Rechtsextremen.

Malu: Wenn man queer-feministischen Content produziert und herausgibt, begibt man sich immer in eine Position der Verletzbarkeit, weil die Faschos im Netz so gut organisiert sind und es zu trans*-/queer-feindlichem, misogynem Cybermobbing kommt.

Franzis: Deshalb ist es umso wichtiger, queer-feministische Inhalte zu streuen.

Magdalena: Es ist auch wichtig, sich zu organisieren, zu melden, zu blocken, damit manche Dinge einfach nicht so stehen gelassen werden. Um den rechten Hatern nicht den Raum zu überlassen. Rückzug als Alternative ist da kein Weg.

Digitale Vermittlung, ästhetische Vermittlung

Franzis: Ich würde gerne noch über das kurze Format der Videos sprechen. Dadurch, dass die Videos nur je ein bis zwei Minuten lang sind, spielen sie einem schnellen Konsum von Wissen in die Hände. Ich sehe eine Chance darin, nebenbei im Bus noch etwas zu erfahren, es ist viel unmittelbarer als ein langer akademischer Text. Aber manche Themen sind einfach zu komplex, brauchen Auseinandersetzung und Zeit. Dem kann man nur gerecht werden, indem man viele verschiedene Videos aus verschiedenen Perspektiven zu dem Thema macht, damit es nicht simplifizierend wird. Und eigentlich sind die Jugendlichen auch alle viel schlauer und viel aktiver im Austausch, als man allgemein denkt.

Malu: Ich finde, dass gerade ein Format wie Softie es schafft, innerhalb sozialer Medien zu agieren. Bei denen liegt der Fokus auf dem Einbezug von Akteur*innen, die bestimmte Existenzweisen verkörpern. In ihren Erzählungen ergibt sich die Tiefe aus der persönlichen Erfahrung. Gleichzeitig machen kurze Teaser neugierig auf den Inhalt – das ist schon ein gutes Format, um den Spagat zwischen komplexen Themen und den kurzen Aufmerksamkeitsspannen beispielsweise auf Instagram zu schaffen. Die haben verstanden, wie soziale Medien funktionieren.

Franzis: Da ist auch immer im Fokus, dass es mehrere Perspektiven mit verschiedenen Erfahrungen zu jedem Thema gibt und nicht etwa einen*eine Experten*in. Diese Vielfältigkeit in den Themen und den Protagonist*innen zu sehen, das fand ich immer wichtig. Aber selbst die wurden jetzt von funk abgesetzt.

Magdalena: Gezwungen zu sein, komplexe Inhalte zwecks Zugänglichkeit herunterzubrechen, ist auch das, was mir an dem Format Kurzvideo so gut gefällt. In digitalen Formaten geht es oft darum, schnell, klar und zugänglich Inhalte zu kommunizieren, weil du permanent um Aufmerksamkeit konkurrierst. Das ist zwar stressig, führt aber dazu, schnell mal leichte/re Sprache oder Umgangssprache zu verwenden. Verschiedene Formen von Sprache! Und damit wird auch der Zugang zu bestimmten Themen erleichtert.

Malu: Wenn man mal überlegt, welche Projekte wir bisher gemacht haben und was unsere Interessengebiete sind: Bildproduktion, Repräsentationskritik, Gegendiskurse schaffen. Die Entscheidung, Menschen vor die Kamera zu holen, die ihre Geschichten erzählen, hat auch mit Affekten zu tun. Es hat eine andere affektive Wirkung als beispielsweise ein akademischer Text. Das Format ist für unsere Arbeiten exemplarisch, weil es auf einer ästhetischen und performativen Ebene Sichtbarkeit und Repräsentation schafft. Ich glaube, das kann ein grosses Potenzial von solchen webbasierten Projekten sein.

Franzis: Ich finde das voll wichtig, was du über das Generieren von Affekten sagst. Wir versuchen, das Publikum stark affektiv anzusprechen. Wir sind aber auch selbst affektiv eingebunden, um Inhalte aktiv senden und empfangen zu können oder um einen Austausch über das Internet herzustellen, um nicht einfach anonyme Produzent*innen zu sein.

Malu: Ja, wir zeigen uns auch in den Videos, letzten Endes auch im Schnitt. Bei einem Video operierst du mit anderen ästhetischen Mitteln als in einem Vortrag oder einem Workshop, um Bedeutung zu produzieren. Jede Form begünstigt bestimmte Formen von Wissen und benachteiligt wiederum andere. Ich denke, das Projekt erzählt auch viel von unserem Begehren, auf einer ästhetischen Ebene zu agieren, also mit Formen, die nicht nur diskursiv sind. Überhaupt sind für mich mediale Erzeugnisse, die ich über das Internet ansehen kann, wie Serien, Filme oder kurze Clips usw., ein Raum, in dem ich extrem viel lerne, viel mehr, als ich in akademischen Räumen lerne. In denen will ich mich auch gar nicht mehr aufhalten. Manchmal schon, aber meistens ertrage ich es dort nicht.Es gibt viel Kritik an Academia als zutiefst bürgerlicher Institution, in der klassistische und andere Ausschlussmechanismen reproduziert werden. Das erzeugt bei vielen, vor allem denjenigen, die davon betroffen sind, ein Unbehagen. Obwohl wir alle drei den akademischen Raum auch als wichtigen Raum für emanzipatorisches Lernen erlebt haben und erleben, teilen wir dieses Unbehagen. Ich lerne zurzeit viel mehr im Alltag, von den Menschen um mich herum und ihren Erfahrungen und Erzählungen und durch das Internet. Das wird oft unterschätzt von Leuten, die nicht so viele soziale Medien konsumieren. Konsumieren ist aber auch so ein bescheuertes Wort. Man konsumiert ja nicht einfach, man liest, setzt sich mit Dingen auseinander, tauscht sich aus, kommuniziert. Als würde die Populärkultur kein Wissen vermitteln. Dabei lerne ich auf Instagram extrem viel über die internationale queer-feministische Szene.


Kurzbiografien der Autor_innen: