Rezension

Der professionalisierte Blick. Forschendes Studieren in der Kunstpädagogik. Ruth Kunz, Maria Peters (Hg.) München: kopaed, 2019.

Das umfangreiche Buch zeigt eine Momentaufnahme des Forschenden Studierens in der Kunstpädagogik der deutschsprachigen Länder. Es bietet eine umfangreiche Verortung des Sachverhalts in der Kunst, der Lehre und der (Kunst-)Pädagogik, sowie einen Überblick über die Lehrer*innenbildung für die künstlerischen Fächer in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nach einer theoriegeleiteten Einführung, die die ersten beiden Kapitel in Anspruch nimmt, und die – der Frage nach dem Forschenden Studieren angemessen – mit berufspraktischen Beispielen gespickt ist, kommt mit dem dritten Kapitel das Herzstück des Bandes, das aus zahlreichen Berichten besteht, die Forschendes Studieren in der Praxis beleuchten.

Das erste Kapitel Positionen, hauptsächlich verfasst von den Herausgeberinnen Ruth Kunz und Maria Peters, liefert die theoretische Einleitung und geht zunächst auf die Bezugsfelder ein, die Forschendes Studieren in der Kunstpädagogik prägen. Ruth Kunz versucht Wissenschaft und Kunst als historische Pole greifbar zu machen, um anschließend Forschendes Studieren in der kunstpädagogischen Praxisforschung von Künstlerischer Forschung oder Artistic Research abzugrenzen. Maria Peters skizziert dann die Entwicklung des Forschenden Lernens in der BRD sowie die Hoffnungen, die mit dem Ruf nach Forschendem Lernen in der Hochschuldidaktik geweckt wurden.

Abb. 1: Ruth Kunz und Maria Peters (Hgg.): Der professionalisierte Blick. Forschendes Studieren in der Kunstpädagogik. München, kopaed 2019. Konzept und Gestaltung: Helena Schmidt und Johanna Lamprecht. Foto: © Johanna Lamprecht.

Anna Maria Loffredo bringt im Interview mit Katharina Soukup-Altrichter den theoretischen Teil des ersten Kapitels zum Abschluss (127ff.). Kurz, prägnant und sehr klar wird im Interview zusammengefasst, was Forschendes Studieren ist und wozu es gut sein könnte. Sechs Argumente für Forschendes Studieren in der Lehrer*innenbildung werden von Soukup-Altrichter genannt: Forschung gehört zum akademischen Studium; der Beruf bringt zunehmend Fragestellungen mit sich, die forschungsähnliche Vorgehensweisen benötigen (datengestützte Qualitäts- oder Unterrichtsentwicklung); Schärfung der Diagnostik durch die Methode der Aktionsforschung; Professionalisierung von Lehrer*innen durch systematische Unterrichtsentwicklung; blinde Flecken der Bildungswissenschaft ausloten und bearbeiten können; Herausbildung von Expert*innen um „professionsrelevante Fragestellungen wissenschaftlich zu erforschen und weiterzuentwickeln“ (128). Es sind diese Argumente, die in unterschiedlicher Gewichtung in allen Beiträgen immer wieder aufleuchten. Eine Stärke des Bandes ist es, diese Argumente durch die eingeflochtenen praxisbezogenen Beiträge lebendig werden zu lassen.

Abb. 2: Handout von Iris Brugger und Vincent Scarth anlässlich der Präsentation zum Forschungspraktikum im MA Art Education an der ZHdK, HS 2016/17. Zeichnen üben: Was kann Zeichen üben heute bedeuten in einem Unterricht, der sich an den Interessen der Lernenden orientiert? (Beitrag Mörsch/Schürch 2019, S. 328–329). Foto: © Johanna Lamprecht.

Im zweiten Kapitel Perspektiven werden die strukturellen Grundlagen für Forschendes Studieren erörtert. Ruth Kunz situiert das Feld der Kunstpädagogik in Bezug auf Forschendes Studieren in der Hochschullandschaft der deutschsprachigen Länder. Diese Heranführung ist ein Muss für die Leser*innen: Sie zeigt, dass der Spagat zwischen Forschungsorientierung und Berufsfeldbezug eine von den europäischen Hochschulen geteilte Aufgabe ist. Es wird deutlich, dass die Problematik kunstpädagogischen Forschens sich nicht nur in fachinternen Diskursen stellt, sondern ganz fundamental die Institutionen herausfordert, an denen Kunstlehrer*innen ausgebildet werden, denn der explizite Forschungsanspruch verlange eine Reflexion ihres Selbstverständnisses (244). In den darauffolgenden Beiträgen wird das Feld für die deutschsprachigen Länder differenziert beleuchtet und es werden drei Forschungsansätze vorgestellt.

Aus den im dritten und letzten Kapitel Topografien vorgestellten Berichten zu aktuellen und vergangenen Studien wird vor allem deutlich, dass die Umsetzung des geforderten Forschungsanspruchs sehr unterschiedlich gehandhabt wird und auf sehr vielfältigen methodischen und fachlichen Grundlagen basiert. Während die Einflechtung von an die Forschung angelehnten Erkenntnisprozessen, wie beispielsweise eine auf Daten basierende Überprüfung der eigenen Annahmen, vielversprechend in der Hochschuldidaktik genutzt werden können und zur Bildung einer forschenden Haltung bei allen Beteiligten beitragen, zeigt der Band auch, wieviel Grundlagenforschung im Fach noch vonnöten ist und wieviel Diskussionen über methodische Grundlagen noch zu führen sind. Dazu gehört durchaus schon die Diskussion über die zu stellenden Fragen.

Das oft in diesem Band formulierte Ziel, eine forschende Haltung bei den Student*innen auszubilden, birgt, wie sich aus der Lektüre der Berichte zeigt, einige Herausforderungen für alle Beteiligten. Das Lehramtsstudium für künstlerische Fächer allein ist sehr umfangreich und wird in der Regel mit einem oder mehreren zusätzlichen Fächern studiert. Dazu werden die Forschungsmodule in der kunstpädagogischen Ausbildung oft mit fachpraktischen Modulen gekoppelt, was die Komplexität erhöht: Die Student*innen müssen neben neuen Eindrücken und Anforderungen in der Schule nicht nur neue Forschungsmethoden und deren -mittel kennenlernen und anwenden, sondern oft auch den ersten eigenen Unterricht planen.

Abb. 3: Das Modul Ästhetische Bildung im Studiengang Design &Technik der PH FHNW (Beitrag Berner/Rieder 2019, S. 710–711). Beispiel aus der Fotokartei, Fotografie: Sabrina Rickhaus, PH FHNW. Foto: © Johanna Lamprecht.

Der Band bietet für dieses Dilemma zahlreiche Möglichkeiten des Umgangs: Eigene Lehrveranstaltungen, die sich dem Forschenlernen widmen (Elisabeth Sattler/Marion Thuswald, 530ff.), eine Verringerung der Arbeitslast für die Studierenden über Teambildung und gemeinsame Projekte der Studierenden (beispielsweise Ruth Kunz/Yasmin Mattich, 464ff.; Michèle Novak/Anna Schürch, 496ff.) oder eng geführte Forschungsfragen und Probleme. Auch die Konzentration auf das Üben und Benutzen nur weniger Methoden zur Datenerhebung und Auswertung reduzieren die Komplexität. Letztlich ist es der Fokus auf eine Perspektive, eine Frage oder einen Vorgang im Unterricht, der mit einer forschenden Haltung einhergeht und der hilft, die komplexe Situation zu (be)greifen und damit umzugehen (Michèle Novak/Anna Schürch, 496ff.).

Abgesehen von der Einbettung in die Praxisanteile gibt es die Möglichkeit, die Student*innen in grössere Projektzusammenhänge zu integrieren (siehe Abschnitt Forschendes Studieren in Projekten von Wissenschaftler*innen): Dann kann Forschendes Studieren auch zur kollektiven Erkenntniserweiterung einer scientific community führen. Auch Abschlussarbeiten, wie im letzten Abschnitt vorgestellt, können zu dieser Erkenntniserweiterung führen, wobei hier immer beachtet werden muss, dass die Studierenden nicht viel forschungstheoretisches Vorwissen mitbringen können und die Zeit oft nicht reicht, um wirklich fundierte Studien durchzuführen, wenn diese nicht in ein Forschungsprojekt eingebunden sind. Diesem Befund ist es wahrscheinlich zuzuschreiben, dass die Abschlussarbeiten im Buch von den jeweiligen Betreuer*innen kommentiert werden. Hier hätte man den Leser*innen zutrauen können, diese Arbeiten zu relativieren, zumal die länderspezifischen Unterschiede im zweiten Kapitel sehr gut dargelegt wurden.

Für das Gros der künftigen Lehrpersonen wird das Forschende Studieren hauptsächlich zur Ausbildung einer differenzierteren Wahrnehmung von Unterricht führen, wie es von den Schweizer Hochschulen schon seit einiger Zeit vor allem unter Einbeziehung qualitativ-empirischer Forschungsmethoden angewandt wird (Barbara Wyss, 395ff.; Elisabeth Eichelberger, 405ff.; Annatina Caprez/Elisabeth Gaus-Hegner, 445ff.; Ruth Kunz/Yasmin Mattich, 464ff.; Michèle Novak/Anna Schürch, 496ff.) Neben einem erhöhten Einsatz der Dozierenden erfordert es gute, logisch strukturierte Module und eigene kleine Forschungsprojekte der Studierenden, damit diese aus der direkten Betroffenheit beginnen können, Forschen als Prozess zu begreifen, der mehr Fragen aufwirft, als er beantworten kann (449).

Ein positiver Effekt des Forschenden Studierens ist die gesteigerte Reflexion des Selbstverständnisses von (Hoch)Schulen und Lehrkräften. Die Vision, die hinter dem Begriff des Forschenden Studierens hervorscheint, ist eine grundsätzliche Veränderung von Lehre; einer Lehre, die prozessorientiert ist und „weniger aus der Perspektive des Könnens denn aus einer interessegeleiteten Haltung heraus“ betrachtet wird (Ruth Kunz, 252). Einzig hinderlich und womöglich unüberwindbar für diese Vision einer offenen, forschend-reflexiven Haltung im Unterricht sind die Schul- und Ausbildungssysteme selbst, die mit ihrer Fixierung auf Performanz – sowohl der auszubildenden Lehrer*innen als auch der Schüler*innen – der angestrebten Entwicklung entgegenwirken (vgl. Ruth Kunz, 255, Fn. 25).

Auch wenn der Band (zu) umfangreich ist, sollten dieses Buch alle jene lesen, die mit kunstpädagogischer Lehrer*innenbildung im deutschsprachigen Raum zu tun haben; vor allem Hochschuldidaktiker*innen finden hier Inspiration und fachliche Unterstützung. Ganz gleich ob es darum geht, Forschendes Studieren strukturell im Curriculum zu verankern, Forschung im Seminar zu thematisieren oder über das Üben und Anwenden von Forschungsmethoden und -mitteln eigene künstlerische oder pädagogische Arbeiten anzustossen, im Buch wird das gesamte Spektrum Forschenden Studierens ausgebreitet. Letztlich zeigt der Band, dass für die noch notwendige Grundlagenforschung dringend Ressourcen bereitgestellt werden müssen und mehr Forschung in die kunstpädagogische Ausbildung implementiert werden muss als das bisher der Fall ist. Dieser Band könnte dafür ein erster Schritt sein.

Kurzbiografien der Autor_innen: