Eine Untersuchung im Spannungsfeld von Fachwissenschaft, Fragen des Unterrichts und sozialwissenschaftlicher Forschungsmethodik.
1. Kunstpädagogik und Fachdidaktik des bildnerischen Gestaltens im Kindergarten
Lerngelegenheiten
In der Institution des Schweizer Kindergartens wird den 4- bis 6-jährigen Kindern vor entwicklungstheoretischem Hintergrund zugestanden, sich (fachliches) Wissen und Können eher situativ in alltäglichen Situationen als systematisch in Förderaufgaben anzueignen (vgl. Campana 2017: 6 und Rossbach et al. 2010: 40/41). Die Didaktik des Kindergartens spricht in diesem Zusammenhang davon, Lerngelegenheiten zu schaffen oder kindgemässe Spiel- und Lernformen zu finden, die allerdings nicht a priori festgelegt sind, sondern immer auf spezifische Ziele und Adressatengruppen zugeschnitten werden (vgl. Brandl 2016: 21 und Rossbach et al. 2010: 46). Mit Einführung des Lehrplans 21, der schon im Kindergarten auch fachliches Lernen umfasst, ist es zentrale Aufgabe der Fachdidaktiken geworden, für die frühen Bildungsjahre geeignete pädagogische Fördermöglichkeiten zu entwickeln (vgl. Rossbach et al. 2010: 46). In Anbetracht der Freiwilligkeit, mit der Lernen im Kindergarten gedacht wird, sind Lehr-Lernsettings so aufzubauen, dass sie die Emotionen berühren und die Kinder dadurch motivieren, selbst aktiv zu werden. Kindergruppen sind im Gestalterischen bezüglich Interessen und Entwicklung jedoch sehr heterogen, weshalb jedes neu konzipierte gestalterische Lernangebot im Kindergarten gewisse Unvorhersehbarkeiten und Unsicherheiten mit sich bringt. Beispielsweise stellt sich bei vielen Unterrichtsvorhaben die Frage, ob die Kinder dem gewählten fachlichen Inhalt Interesse entgegenbringen und motiviert sind, wahrnehmend oder gestalterisch tätig zu werden.
Mögliche Bezugsfelder der Fachdidaktik
Mit der Tertiarisierung der Ausbildung zur Kindergartenlehrperson oder zur Lehrperson für die Eingangsstufe sind an den PHs der Schweiz gestalterische Fachdidaktiken entstanden, in denen Dozierende unterrichten, die ihre Ausbildung meist an einer Kunsthochschule abgeschlossen haben sowie Praxiserfahrung auf der Zielstufe besitzen. Mit diesem Profil liegt es auf der Hand, für die Kindergartenstufe gestalterischen Unterricht zu konzipieren, der einerseits fachwissenschaftlich fundiert, andererseits entwicklungsorientiert und fächerverbindend gedacht ist.
Neben Gestaltung und Kunst bieten zum Beispiel Psychologie und Anthropologie vielseitiges Wissen für den gestalterischen Unterricht in den frühen Bildungsjahren. Bekanntester Anbindungspunkt in der Psychologie sind die Erkenntnisse der breit angelegten Kinderzeichnungsforschung des letzten Jahrhunderts, die zeigen, mit welchem Entwicklungsstand bezüglich des zeichnerischen Darstellens im Kindergartenalter zu rechnen ist (vgl. Luquet 1913; Kellog 1969; Lowenfeld 1952; Gardner 1980). Allerdings sind die meist engen Altersangaben der hier propagierten Phasenmodelle zeichnerischer Entwicklung heute nicht mehr haltbar. Sie wurden ausgehend von der Vorstellung einer sich entfaltenden, endogenen Anlage hervorgebracht und liessen ausser Acht, dass der sozio-kulturelle Kontext in die zeichnerische Entwicklung hineinspielt. In einer Reexamination zur Entwicklung in der Kinderzeichnung durch Maurer et al. (2013) werden jedoch inter-individuelle Entwicklungstendenzen bestätigt, wenn sie über grössere Zeiträume gefasst und vom sozio-kulturellen Kontext abhängig betrachtet werden (vgl. Maurer et al. 2013: 61).
Weiter kann sich gestalterischer Unterricht im Kindergarten beispielsweise auch an Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie ausrichten, in denen es etwa um Motorik, Wahrnehmung, zeitliche Orientierung, räumliche Orientierung, Verständnis von Zusammenhängen und Gesetzmässigkeiten, Fantasie und Kreativität, Lernen und Reflexionsfähigkeit sowie um Sprache und Kommunikation geht (vgl. Campana 2017). Zur Orientierung im gestalterischen Unterricht in den frühen Bildungsjahren verhilft weiter auch die pädagogische Psychologie mit Theorien zur Interessensbildung. Diese zeigen, dass Interesse bei jungen Kindern tendenziell eher breit angelegt ist, im Gegensatz zu späteren Jahren, in denen sich spezifische Interessen herausbilden (vgl. Krapp 2010: 316). Wichtige Anhaltspunkte für die Fachdidaktik kommen ferner aus der Anthropologie, wenn es zum Beispiel um soziale Normen und Konventionen geht, die es in der Kunst oft zu sprengen gilt, die in der sozialen Entwicklung des Kindergartenkindes jedoch wichtig sind, um sich in die Gesellschaft integrieren zu können und in ihr selbständig zu werden (vgl. Uhlig 2014: 439-441).
Im soeben aufgespannten Feld gerät die Fachdidaktik des Bildnerischen Gestaltens für die Kindergartenstufe, die an pädagogischen Hochschulen der Schweiz gedacht wird, oft in Widersprüchlichkeiten zwischen fachimmanenten Grundsätzen der Gestaltung beziehungsweise der Kunst und dem Wissen aus Psychologie und Anthropologie (vgl. Morawietz 2018).
2. Forschungsfragen und Forschungsmethoden der Fachdidaktik des bildnerischen Gestaltens im Umfeld der pädagogischen Hochschulen Schweiz
Spannungsfeld
Der kurze Aufriss möglicher Bezugsfelder für die Kunstpädagogik der Eingangsstufe lässt erahnen, dass sich der gestalterische Unterricht dieser Stufe mit einigen Ungewissheiten konfrontiert sieht, die in einem forschenden Zugang zur Unterrichtspraxis beleuchtet werden können. Durch die Ungewissheit in Bezug auf das kindliche Schaffen und die Absage an die tradierte Gleichsetzung von Kind und Künstler*in, wird die exakte Beobachtung des Kindes während gestalterischer Tätigkeiten zentral. Allerdings verfügt die Kunstpädagogik über keine langjährige Tradition etablierter Forschungsmethoden zur Beantwortung der vielfältigen Fragen. Viel eher befindet sich kunstpädagogische Forschung im Spannungsfeld konträrer Forschungsparadigmen von Wissenschaft und Kunst. Dieses Feld tut sich deshalb auf, da in der Kunst das Monopol über das Wissen nicht bei der Wissenschaft allein, sondern ausdrücklich auch im Ästhetischen gesehen wird. Die ästhetische Vorgehensweise ordnet sich keinem normativen Vorgehen unter, wie dies in der Wissenschaft üblich ist. Sie „muss ihre Verfahren erst entwickeln – ungewiss, ob ihre Erkenntnisse sich je verallgemeinern oder übertragen lassen“ (Kunz 2019: 247). So stehen sich wissenschaftliche und künstlerische Forschung tendenziell kontrovers gegenüber und sollen aus Perspektive der Kunst beispielsweise nach Mersch (2013) je eigene „Wissensräume besetzen, die sich partiell fremd und verständnislos gegenüberstehen“ (Mersch 2013: o. P). In der kunstpädagogischen Forschung haben jedoch grundsätzlich beide Arten der Wissensgenerierung, die ästhetisch-künstlerische und die systematisch-wissenschaftliche, ihre Berechtigung. Während es in ästhetisch-künstlerischer Forschung um die Erweiterung fachlicher Perspektiven geht, fokussiert eine die Aspekte des Lehrens und Lernens akzentuierende Forschung phänomenologische oder empirische Zugangsweisen. Vor diesem Hintergrund ist auf der einen Seite vor allem in der Forschung an Kunsthochschulen eine Nähe zum künstlerischen Forschen zu beobachten. Ausgerichtet auf das gymnasiale Lehramt – also die Zeit der Adoleszenz – steht hier weniger die individuelle ästhetische Entwicklung des Kindes im Zentrum als die Bedeutung der Kunst/ des künstlerisch-ästhetischen Weltzugangs für die Sozialisation junger Erwachsener. Auf der anderen Seite finden sich an pädagogischen Hochschulen seit einiger Zeit kunstpädagogische Untersuchungen, die das Interesse an einem stärkeren Einbezug von Methoden der Erziehungs- und Sozialwissenschaften mit ihren Gütekriterien zeigen. Winderlich regt schon 2009 in diesem Zusammenhang an, ästhetische Erfahrungsprozesse von Kindern mit Datenerhebungsmethoden aus der qualitativ-empirischen Forschung wie der Teilnehmenden Beobachtung mittels Video, dem narrativen Interview oder der „fotogeleiteten Hervorlockung“ (vgl. Harper 2000) zu erschliessen und an die Spezifika der kunstpädagogischen Forschungssituation anzupassen. Zu Fragen der Datenauswertung werden in ihrer frühen Darlegung keine Angaben gemacht, was bis zum heutigen Tag in einigen Forschungsarbeiten der Kunstpädagogik einen blinden Fleck darstellt.
Ruth Kunz dagegen zeigt 2010 in ihrem Forschungsprojekt Fotografische Bildfindungsprozesse von Jugendlichen in urbanen Lebenswelten (Laufzeit 2009-2011); als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen beteiligt waren: Simone Haug, Susan Gürber und Simon Baumgartner. Mit der Durchführung betraut waren Claudia Caprez, Lehrerin für Bildnerisches Gestalten an der Kantonsschule Zürich-Nord und Brigitte Stadler, Professorin für Bildnerisches Gestalten an der PH Zürich., wie sich kunstpädagogische Forschung sowohl in der Datenerhebung und als auch in der Datenauswertung entlang wissenschaftlicher Forschungsmethoden entfalten kann, ohne ihre ästhetischen Gegenstände aus dem Auge zu verlieren.
Sie kombiniert hierfür kunstwissenschaftliche Methoden (Bildhermeneutik: Imdahl 1980) mit qualitativ empirischen Methoden der Videoanalyse. Um beschreibbar zu machen, wie sich Lehrpersonen und SchülerInnen (Sek. 1) über Perzepte und Bildideen verständigen, praktiziert das Team an der Pädagogischen Hochschule Zürich eine Methodenverschränkung von Interaktionsanalyse (Krummheuer 1999) und Qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring 2002).
Diese Ausrichtung an Gütekriterien wissenschaftlicher Forschung finden sich seither in einigen Studien der Kunstpädagogik, die von pädagogischen Hochschulen ausgehen (vgl. bspw. Glaser-Henzer et al. 2012, Berner 2013, Wyss 2015, Bader 2019, Morawietz 2020 (in Druckvorbereitung)). Solche Studien haben den Anspruch, an Bildungs- und Sozialwissenschaften anschlussfähig zu sein und den Dialog über die verschiedenen Fächer hinweg zu fördern. Das Ästhetische und Künstlerische bestimmt nicht nur die Fragestellung, ästhetische Anteile fliessen auch in die Methoden der Datenerhebung mit ein, wenn Material in Form von Fotografie und Videoaufnahmen erhoben wird. Weiter sind im „konzentriert absichtslosen Schauen“ (vgl. Kunz 2019: 251) ethnografisch fundierter Forschungsmethoden und im tastenden, suchenden Vorgehen qualitativ-empirischer Untersuchungen, in dem sich Memos zu beobachtbaren Phänomenen langsam zur Theorie verdichten, gewisse Parallelen zu ästhetisch-künstlerischen Prozessen zu sehen.
3. Darstellung eines exemplarischen Forschungsprojektes der Fachdidaktik des bildnerischen Gestaltens im Kindergarten, das sich entlang Methoden qualitativ-empirischer Sozialforschung entfaltet
Im Folgenden wird in eine soeben abgeschlossene, jedoch noch unveröffentlichte Studie Zeichnen als Bildungschance im Kindergarten. Wie 5- bis 6-jährige Kinder agieren, wenn sie dazu angeregt sind, an Gegenständen und Szenen orientiert zu zeichnen. Dissertation von Anja Morawietz; Erstbetreuerin: Prof. Dr. Bettina Uhlig, Universität Hildesheim; Zweitbetreuer: Prof. Dr. Alexander Glas, Universität Passau. Einblick gegeben, die sich im oben beschriebenen Rahmen der Fachdidaktik des Bildnerischen Gestaltens für die Schweizer Kindergartenstufe Der deutsch-schweizer Kindergarten gehört zur Volksschule und zur obligatorischen Schulzeit. Er arbeitet nach verbindlichen kantonalen Lehrplänen, ab 2018 mit dem neuen Lehrplan 21. bewegt. Es soll gezeigt werden, wie mit systematischen Methoden qualitativ-empirischer Sozialforschung Erkenntnisse für den kunstpädagogischen Unterricht entstehen. Die Untersuchung analysiert, wie Kinder beim gegenstandsorientierten Zeichnenlernen agieren, wobei Zeichnen als Prozess Zu gestalterischen Prozessen Genaueres bei Krautz (2016:5) und Regel (1986:36). und nicht als reproduktives Verfahren verstanden wird. Das Zeichnen wird innerhalb der Rahmung eines pädagogischen Lehr-Lernsettings beleuchtet, das Zeichnen mit Darstellungsabsicht betrachtet und exemplarisch an den Motiven der Kuh und anderen Bauernhoftieren aufrollt.
3.1 Problemfeld und Forschungsfrage
Gezeichnet wird in jedem Kindergarten Die vorliegende Studie wurde in einem Kindergarten in Zürich durchgeführt, den Kinder im Alter von 5 bis 6 Jahren besuchen. Der genaue Ort wird nicht genannt, um die Anonymität der Kinder zu gewährleisten. und oft sehen gegenstandsorientierte Zeichnungen einer Kindergruppe ähnlich aus, was darauf schliessen lässt, dass sie im Nachvollzug einer Mustervorlage entstehen. Dies steht im Gegensatz zur Vorstellung des deutschschweizer Lehrplans 21, der vorsieht, dass die Kinder zeichnend in gestalterischen Prozessen Erlebnisse verarbeiten und Vorstellungen kommunizieren.
Forschung zur Kinderzeichnung, die sich mit zeichnerischen Entwicklungstendenzen beschäftigt, zeigt, dass Kinder dieses Alters zu grossen Teilen gerade begonnen haben, mit Darstellungsabsicht zu zeichnen (vgl. Richter 2000: 35, Jenny 2013: 235). Allerdings gibt es (heute) viele Kinder, die nicht aus freien Stücken zeichnen. Vor diesem Hintergrund stellt sich in der genannten Studie die Frage, inwiefern die Kinder Interesse daran haben, in bestimmten Unterrichtssettings des Unterrichts ein konkretes Motiv zeichnen zu lernen, und ob sie sich im Rahmen eines Lehr-Lernsettings auf gestalterische Prozesse einlassen. Weiter wird untersucht, wie die Kinder unter den didaktisierenden Eckpunkten der Aufgabenstellungen agieren und welche Bedingungen das gegenstandsorientierte Zeichnen 5- bis 6-jähriger Kinder im Unterricht begünstigen. Nicht zuletzt wird der Frage nachgegangen, welche Bildungschancen sich für Kinder dieses Alters beim Zeichnen ergeben.
3.2 Forschungsmethode: Videographie und interpretative Videoanalyse sozialer Situationen nach Tuma et al. (2013)
Die Videographie entwickelt sich aus Ansätzen der Ethnomethodologie und geht davon aus, dass sich soziale Wirklichkeit im alltagspraktischen Handeln herstellt. Die Interaktionen der Akteure werden in sequenzieller Analyse von Videodaten vorgenommen (vgl. Tuma et al. 2013: 15). Für die Arbeit nach Grundsätzen der Videographie eignen sich Videodaten aus tendenziell „natürlichen Situationen“ Die Forschenden haben die Situationen, die sie aufzeichnen, im alltäglichen Kontext so vorgefunden. Im Gegensatz dazu stehen ,unnatürliche’ Situationen, die zum Beispiel bei einem Experiment im Labor entstehen. (vgl. ebd.: 36). Die Auswertung der Aufzeichnungen erfolgt über verschiedene rekursive Schritte (vgl. ebd.: 78). Sie kann in zwei Hauptphasen der Auswertung unterteilt werden. Dies erste Phase besteht in der Datenaufbereitung mit erster Datenanalyse und Erstellen eines systematischen Überblicks über die Daten.
Die zweite Phase der Datenauswertung beinhaltet die gezielte Feinanalyse ausgewählter Sequenzen. Die Wahl der Sequenzen verläuft über internes Sampling. Über das Verfassen von Memos entwickeln sich theoretische Annahmen aus dem Datenmaterial heraus.
3.3 Spezifisch entwickelte Instrumente für die Untersuchung gestalterischer Prozesse, in denen neben der sozialen Interaktion ein in Entstehung begriffenes, sich stetig wandelndes Produkt ins Spiel kommt
Grobprotokolle und Feintranskripte
Die Videographie ist ursprünglich für die Analyse von Interaktionen zwischen Personen angelegt. In der gegebenen Studie wird die Methode auf die Analyse von gestalterischen Prozessen, in denen ein in Entstehung begriffenes Produkt eine zentrale Rolle spielt, erweitert. Dazu wird für die erste Datenauswertungsphase ein Grobprotokoll und für die zweite Datenauswertungsphase ein Feintranskript entwickelt, das in mehreren Spalten aufgebaut ist. Diese Instrumente erfassen gestalterische Handlungen der Kinder, Interaktionen der Kinder und den Arbeitsstand der im Fokus stehenden Produkte parallel.
In der ersten Phase der Datenauswertung werden zahlreiche Einzelfälle von gestalterischen Prozessen in Grobprotokollen erfasst. Diese dienen dazu, Beobachtungen zu sammeln, die weiter in einem Kategoriensystem geordnet werden. Die Übersicht des Kategoriensystems ermöglicht es, Schwerpunkte für die Feinanalyse zu setzen. Anhand der Grobprotokolle können, in späteren Phasen der Datenauswertung, bestimmte Filmsequenzen immer wieder aufgefunden werden. Folgend ein Ausschnitt aus einem Grobprotokoll:
In den Feintranskripten, die in der Phase 2 der Auswertung, der sequenziellen Analyse ausgewählter Videoausschnitte, zum Einsatz kommen, sind Aktionen und Interaktionen mehrerer Kinder an einem Arbeitsplatz sowie der Werdegang der gestalterischen Produkte in parallelen Spalten festgehalten, was wie folgt aussieht:
3.4 Zentrale Resultate aus der Studie
An dieser Stelle soll nun ausschnittweise festgehalten werden, zu welchen Antworten die Studie mit dem gewählten methodischen Vorgehen gelangt. Wie bereits in Kapitel 3.1 aufgeführt, fragt die Studie einerseits danach, ob sich Kinder dieses Alters unter den didaktisierenden Eckpunkten der Aufgabenstellungen überhaupt mit Interesse auf gegenstandsorientierte Zeichenprozesse einlassen. Andererseits stellt sie die Frage, wie die Kinder in den Lehr-Lernsettings agieren und was das gegenstandsorientierte Zeichnen bei den Kindern begünstigt.
Dass die Kinder tatsächlich gestalterische Prozesse durchlaufen, also um gestalterische Form ringen, zeigt sich anhand konkreter Handlungen der Kinder. Etwa lässt sich in vielen Fällen beobachten, wie ein Kind die eigene zeichnende Hand beobachtet und laufend auf das reagiert, was sich auf dem Papier manifestiert. Auch halten Kinder beim Zeichnen immer wieder inne und treten aktiv von der Zeichnung zurück, um Gezeichnetes aus der Distanz zu begutachten. Unsicherheit (in Mimik und Gestik sichtbar) und Zögern bei zeichnerischen Handlungen lassen die Annahme zu, dass das Kind im gestalterischen Prozess Unterschiede zwischen Vorstellungsbild und sich manifestierender Darstellung feststellt. Im Gespräch mit anderen oder im Selbstgespräch fassen Kinder teilweise in Worte, inwiefern sich auf dem Blatt Darstellungsprobleme ergeben und wie sie deren Lösung vorsehen. Die Frage nach dem Interesse ist in vielen Fällen ebenfalls positiv zu beantworten und lässt sich im Datenmaterial an ganz unterschiedlichen Handlungen der Kinder festmachen. Beispielsweise ist sie erkennbar an der Dauer der gestalterischen Arbeit und der Persistenz, mit der Kinder ihren Blick auf Zeichnung, Stift sowie Hand fokussiert halten. Bei einigen Kindern ist zudem anhand von Kommentaren zu anderen sowie Selbstgesprächen zu hören, wie intensiv ihre Gedanken um die zeichnerische Darstellung kreisen, was ebenfalls auf Interesse hindeutet.
Es wird weiter deutlich, dass das Agieren der Kinder während der gestalterischen Prozesse von sozialer Interaktion geprägt ist. Kaum eines unter ihnen ist ganz in sich gekehrt und arbeitet ohne Kontakt zu Lehrperson oder Peers. Die sozialen Interaktionen, die dem zeichnerischen Prozess dienen, können in drei Hauptgruppen unterteilt werden:
- Bezugnahmen zum Aufbau einer Atmosphäre des Aufgehobenseins: Die Kinder arbeiten an ihren Zeichnungen, vergewissern sich währenddessen in losen Dialogen, dass sie nicht alleine sind.
- Bezugnahme in Form von Mimesis und Mimikry, um sich Informationen für das Zeichnen zu verschaffen: Ein Kind übernimmt gewisse Teile der Zeichnung eines anderen Kindes, wenn es gerade über keine eigenen Lösungsansätze verfügt.
- Zusammenarbeit im Ringen um Form und Inhalt der Zeichnung: Die Kinder intensivieren den Dialog in Bezug auf eine bestimmte Zeichnung und bringen diese mit Vorschlägen, Fragen und Assoziationen weiter.
Es sind selbstverständlich auch Interaktionen zu beobachten, die dem Zeichnen abträglich sind, die hier aus Platzgründen jedoch nicht aufgeführt werden.
Das folgende Beispiel zeigt eine von vielen kleineren Interaktionen, die niederschwellige Zusammenarbeit zweier Kinder umfassen. Das Interesse Jacobs für Natalies Darstellung, seine eigene Vorstellung von Natalies noch zu zeichnender Kuh und seine gezielte Frage zur Grösse der Kuh lösen bei Natalie einen Denkvorgang aus, der sich in einer Erklärung für Jacob entfaltet. Sie plant die Entwicklung ihrer Zeichnung im Dialog.
4. Fazit
Es wurde aufgezeigt, dass Unterricht des Bildnerischen Gestaltens im Kindergarten mit Blick auf unterschiedliche Bezugsfelder konzipiert wird (beispielsweise Gestaltung und Kunst, Psychologie, Anthropologie). Zwischen diesen unterschiedlichen Perspektiven auf Lehren, Lernen und fachliche Gegenstände entstehen mitunter Widersprüchlichkeiten, die Fragen zur Praxis des gestalterischen Unterrichts aufwerfen und einen forschenden Zugang verlangen.
Die oben skizzierte Studie zeigt, dass sich der Rückgriff auf erprobte, wissenschaftliche Forschungsmethoden anbietet, um Unterrichtsgeschehen in den Fokus zu nehmen.
Die Methoden werden jedoch nicht in rigider Weise angewendet, sondern die ästhetische Sensibilität von Forschenden aus den künstlerischen Feldern fliesst gerade im Umgang mit Bildern oder Videos als Datensorten ein. In der Regel werden die Methoden auf die Forschungsfrage hin zugeschnitten und Instrumente zur Analyse der Daten oder zur Darstellung der Ergebnisse mit Blick auf die ästhetischen Gegenstände adaptiert. Der Einsatz etablierter wissenschaftlicher Methoden begünstigt den Austausch zu neuen Erkenntnissen über verschiedene Fachbereiche Pädagogischer Hochschulen hinweg.
Durch die Stärkung der Fachdidaktiken an den Pädagogischen Hochschulen der Schweiz durch Swissuniversities ist es in den letzten Jahren möglich geworden, über einen forschenden Zugang zur Unterrichtspraxis nachzudenken. So wird seither das grosse Desiderat in der empirischen fachdidaktischen Forschung der Künste für die Volksschule offensichtlich. Die Einführung des Joint Masters Fachdidaktik Künste an der PH Zürich bietet nun die Chance, laufend entstehenden Fragen des gestalterischen Unterrichts auf allen Schulstufen in Masterarbeiten nachzugehen.
Für die Zukunft wäre eine verstärkte Zusammenarbeit der Fachdidaktiken mit dem Bereich Forschung und Entwicklung an den Pädagogischen Hochschulen wünschenswert, um fachlichen Unterricht in seiner Komplexität zu beleuchten und zu verstehen, was eine notwendige Grundlage für alternative und innovative Handlungsoptionen bieten wird.
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