Vom Sitzen auf gesiebtem Wissen. Ein Nachdenken über Unbewusstes
Abstract:
Wann hast du dir das erste Mal die Hände gewaschen? Weisst du noch, wer es dir beigebracht hat? Wie würdest du erklären, wie man sich die Hände wäscht? Überlegungen zu einer simplen Tätigkeit wie dem Händewaschen scheinen eventuell ungewöhnlich, können aber darauf aufmerksam machen, auf welche Weise(n) wir uns Wissen aneignen. Wir gehen davon aus, dass Wissen durch die Mitwirkung verschiedenster Akteur*innen historisch gewachsen und somit veränderbar ist. Demnach stehen auch die mit dem Wissen verbundenen und aus ihm hervorgehenden Weltbilder immer zur Diskussion. Zugleich bedeutet diese Perspektive eine unvermeidbare Beteiligung, Verantwortung und Handlungsmacht aller Körper. Wie werden vor diesem Hintergrund soziale Rollen und Dominanzverhältnisse verhandelbar? Mittels eines Podcasts und einer Video-Performance haben wir dazu erste Inhalte praktisch erforscht: Selbstverständliches, vermeintlich „natürliches“ Körperwissen, wie hier das Händewaschen, wurde als konstruiert entlarvt und erlernte Rollenbilder hinterfragt.

Wie viele Dinge hast du schon getan, ohne darüber nachzudenken? Was für Dinge waren das? Und wie oft hast du dir eigentlich heute schon die Hände gewaschen?

Wir waschen uns die Hände, weil wir wissen, dass es eine wirkungsvolle Schutzmassnahme zur Unterbrechung von Übertragungswegen vieler Krankheitserreger sein kann.

Wie viel dieses Wissens fliesst noch erkennbar in unsere Routine mit ein, wenn wir nach Hause kommen und zum Waschbecken gehen? Welches Wissen über das Händewaschen muss aktiviert werden, bevor wir den Hahn aufdrehen? Und tun wir das noch bewusst?

Am Beispiel dieser zunächst simplen Tätigkeit möchten wir über Wissen und dessen Aneignung nachdenken. Dieser Text soll weder ein abgeschlossenes Produkt noch ein fest zusammenhängendes Gefüge sein. Wir möchten darauf hinweisen, dass wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben – ganz im Gegenteil teilen wir die Ansicht, dass sich Wissen stets im Prozess befindet und damit einer niemals fertigzustellenden Baustelle gleicht. Er lädt dazu ein, selbstständig Zusammenhänge herzustellen und bietet eine interaktive Form der (Wissens-)Aneignung an. Im weiteren Verlauf finden sich Fragmente, die die Themen Körperwissen, Wissenskonstruktion und soziale Rollen vernetzen und beleuchten.

Lesende können selbst auswählen, an welcher Stelle der Text weitergehen soll. Es besteht die Möglichkeit, ein eigenes Bezugssystem zwischen den Fragmenten zu entwickeln und so vielleicht zu weiterführenden Gedanken und Impulsen zu gelangen.

In den Textfragmenten werden Definitionen und Perspektiven aus der Ich-Form und der Wir-Form wiedergegeben, mit denen wir als Autor*innenkollektiv die Prozesshaftigkeit von Wissenskonstruktionen veranschaulichen möchten. Gleichzeitig flechten wir unsere individuellen Perspektiven und Gedanken in die Fragmente ein. Diese Textteile sind im Folgenden zur erleichterten Orientierung durch einen Pfeil („>“) gekennzeichnet.

Den (eigenen) Weg durch unseren Text kannst du nun beginnen, indem du auf eines der vier Icons klickst.


 


Körperwissen

Körperwissen – Was ist das?

Abb. 1: Hönnerscheid, Rebekka, Körperwissen, 2022, digitale Skizze.

> Mit dem Begriff des Körperwissens fokussieren wir das im Körper eingeschriebene und (unterbewusst) gespeicherte Wissen als Archiv, das über Generationen auf unterschiedliche Weisen weitergegeben werden kann.

> Unter Körperwissen verstehe ich erlernte Verhaltensmuster, die der Körper in der Lage ist, bewusst und unbewusst auszuführen. Es handelt sich oft um alltägliche Handlungen, die durch Automatismen in den Körper eingeschrieben sind und keine geistige Anstrengung erfordern. Es kann zudem der Fall sein, dass diese körperlichen Handlungen verbal nicht einmal beschrieben werden können.

Mit dem Schriftsteller Frantz Fanon kann Körperwissen als wichtiger Teil eines Erkenntnisprozesses beschrieben werden (vgl. Mignolo 2012: 165). Das Körperwissen, das zu den sogenannten „sekundären Qualitäten“ (ebd.: 165) zählt, soll auch laut Walter D. Mignolo nicht länger unterdrückt werden. Körper und Denken werden hier heterarchischHeterarchisch meint hier, dass die Elemente „Körper“ und „Denken“ in keinem Über- und Unterordnungsverhältnis, sondern gleichberechtigt nebeneinander stehen. und nicht voneinander getrennt gedacht.

Betont werden soll an dieser Stelle, dass es Körper gibt, denen durch Kolonialisierungsprozesse eine rassifizierte DifferenzMeint eine Differenz, die mit einer Wertigkeit einhergeht und die anhand rassistischer Merkmale, u.a. auf der körperlichen Ebene, konstruiert wird und damit zu struktureller Diskriminierung und Abwertung führt.
Vgl. dazu auch „‚rassische Differenz‘“ (Mignolo 2012: 171).
zugeschrieben wird. Das Einverleiben dieser konstruierten Differenz führt zu körperlichen Erfahrungen, die ein spezifisches (Körper-)Wissen generieren und wahrnehmbar machen. Konkret bedeutet das beispielsweise, dass Subjekte, die von Rassismus betroffen sind, durch ihre Erfahrungen über ein Körperwissen verfügen, über das nicht betroffene Subjekte nicht verfügen.




Körperwissen und Implizites Wissen

Abb. 2: Hönnerscheid, Rebekka, ImplizitesWissen, 2022, digitale Skizze.

Wie würdest du erklären, wie man sich die Hände wäscht? Oder würdest du es lieber vormachen?

Ab dem Punkt, ab dem eine Handlung – so detailliert die Beschreibung auch sein mag – nicht mehr über die Sprache oder eine explizite Form der Dokumentation übertragbar ist, gilt das Wissen über diese Handlung als implizites Wissen (vgl. Polanyi 1985: 14). Das Implizite speist sich dabei aus Erinnerung und körperlicher Erfahrung und ist stark an die ausübende Praxis gekoppelt. Darunter wird nicht nur die Durchführung oder Praxis des Zeigens selbst verstanden. Gemeint ist eine Art eingeschriebener Plan, der dazu ermächtigt, die Handlung in ihrer Selbstverständlichkeit zu vollziehen (vgl. Sabisch 2009: 28f.).

Deutlicher wird es, wenn implizites Wissen als Ausprägungsmerkmal des Könnens beleuchtet wird, wie beispielsweise das ZeichnenkönnenGila Kolb (2021) befragt das Zeichnenkönnen im Kunstunterricht. Welchen Stellenwert hat das Zeichnenlernen im aktuellen Kunstunterricht? Was heisst eigentlich Können beim Zeichnen und wie wichtig ist das Nicht-Können? https://aligblok.de/. Hier zeigt sich das Können in ebendieser unbewussten impliziten Form. Aus einem reaktionären und bedingenden Verhältnis der beteiligten haptischen, visuellen und geistigen Strukturen heraus entsteht in einer körperlichen Formulierung eine Zeichnung (vgl. Dobler 2014: 9f.). Wird eine Zeichnung als Konstrukt eines kontinuierlichen Denkprozesses verstanden, zeigt sich in der Handlung des Zeichnens und in der Darstellung der Zeichnung mehr, als es in einer sprachlichen Repräsentation möglich ist.Zeichenübung dazu: Fertige eine schnelle Skizze von einem Objekt in deiner direkten Nähe an. Lege danach deinen Stift in die andere Hand und skizziere dasselbe Objekt. Welchen Unterschied erlebst du? Was fühlt, tut und weiss die eine Hand, was die andere nicht weiss?

Angelehnt an das Händewaschen bezieht sich das Können nicht nur auf das Ergebnis, also das Erreichen eines gewaschenen Zustands, sondern eher auf die innere Stimme, die diesen Zustand als Zeitpunkt bestimmt und das eigene Gefühl, das den Tanz der Hände beim Waschen begleitet.

Was zeigt sich an der Handlung des Händewaschens und an der Visualität der gewaschenen Hände, was sprachlich nicht greifbar ist?




Embodiment

Abb. 3: Hönnerscheid, Rebekka, Embodiment, 2022, digitale Skizze.

„If you go around to most of the places

you see a head

usually of a white man                           

with a neck and a head

but without body.

This is how we are taught to create knowledge, to produce knowledge

as disembodied authors, as disembodied artists.“

(Kilomba 2016: 31:44-32:04)

                                           





Der Körper als Archiv

Abb. 5: Hönnerscheid, Rebekka, KörperalsArchiv, 2022, digitale Skizze.

In diesem Abschnitt werden einige Gedanken vertieft, die im Fragment Körperwissen – Was ist das? angeführt wurden und die sich mit der Frage beschäftigen, inwieweit das im Körper vorhandene Wissen als Archiv verstanden werden kann. Darüber hinaus interessiert uns die Frage:

Wie wird der Körper zum Wissensspeicher und zu einer dynamischen Wissensressource?

Wir gehen vom Körper als Wissen ansammelndes, speicherndes und weitergebendes Gefüge aus, so wie er auch von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung in dem Text Corpoliteracy (2018) (übersetzt: Körperlesekunde) bezeichnet wird (vgl. ebd.: 90). Dabei ist der Körper nicht mit dem Gehirn gleichgeschaltet, sondern unabhängig von ihm erinnerungsfähig (vgl. ebd.). An Körpern zeichnen sich darüber hinaus Machtverhältnisse ab. Neben diesen hat auch die jeweilige Sozialisierung Auswirkungen darauf, auf welche Wissensarchive (wie z.B. Gefühle und Verhaltensweisen) zurückgegriffen wird.

Dafür, dass von diesen Wissensarchiven zu grossen Teilen keine Verschriftlichungen vorliegen, ist nicht zuletzt auch der dominierende eurozentrische WissenskanonUnter dem eurozentrischen Wissenskanon verstehen wir, den eigenen Wissenskanon über alle anderen als Massstab zu setzen, die eigenen Realitäten als zentral und universell zu erklären und damit ausserhalb Europas liegende Realitäten unsichtbar zu halten. verantwortlich. „Wenn in Afrika ein alter Mann stirbt, brennt eine Bibliothek“ (vgl. Santos 2016: 26). Diese Aussage des Schriftstellers und Ethnologen Amadou Hampâté Bâs veranschaulicht, dass Wissen nicht ausschliesslich über Schrift weitergegeben wird. Vielmehr wird es in Subjekten archiviert, von ihnen getragen und kann auch von ihnen kommuniziert werden. Demzufolge muss es nicht zwangsläufig in Form einer Schriftsprache dokumentiert und archivierbar gemacht werden.

Wie könnte ein Wissenschaftsbegriff aussehen, der den Körper als Wissensarchiv einbezieht? Und welche Bedeutung erhält eine Verschriftlichung oder eine Verbalisierung im Kontext eines solchen Verständnisses?

Aus dem dekolonialen Denken der bolivianischen Soziologin und Aktivistin Sylvia Rivera Cusicanquis ist die Metapher der Weberin entstanden (vgl. Garbe/Cárdenas/Sempértegui 2018: 104), die darauf aufmerksam macht, wie sich die Frauen aus der Andenregion als Hirtinnen, Weberinnen und entlang von Ritualen miteinander verbinden. Sie weben Beziehungen. Mit Menschen, mit der Natur und mit der dominanten Welt, die sie entwertet (vgl. ebd.). Die Metapher repräsentiert feministisches Wissen, da die Erkenntnis aus den Körperpraktiken der Akteur*innen hervorgeht. „La mano sabe“ (übersetzt: „die Hand weiss“) pflegt Cusicanquis’ bolivianisches Kollektiv zu sagen (vgl. Barber 2019). Der Ausdruck veranschaulicht nicht nur, dass der Körper über Wissen verfügt, sondern weist auch darauf hin, dass wir Wissen durch den Körper verinnerlichen und somit archivieren.

Wie könnte eine Aufwertung des Körpers als Wissensspeicher und Archiv in der Wissenschaftspraxis des Globalen Nordens zukünftig aussehen?

In diesem Fall lassen sich die Gedanken, die hinter der Aussage La mano sabe stehen und im Globalen SüdenMit dem Globalen Süden ist hier kein geografisches Konzept gemeint, sondern vielmehr eine Metapher für das menschliche Leid, das durch Kapitalismus und Kolonialismus verursacht wurde sowie für den Widerstand zur Überwindung dieses Leidens. Es handelt sich um einen antikapitalistischen, antikolonialen, antipatriarchalen und antiimperialen Süden, der auch im geografischen Norden in Form von ausgeschlossenen, zum Schweigen gebrachten und ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen existiert (vgl. Santos 2016: 18). generiert wurden, darauf ein, sich mit unseren Gedanken zum Körperwissen zu verweben. Wenn der Körper seine eigene Art zu wissen hat, wenn die Hand weiss, welche Bewegung, welcher Rhythmus und welche Zeitdauer vonnöten oder gerade angemessen ist für den jeweiligen Prozess des Händewaschens, dann steckt im Körper ein unerschöpfliches Archiv an Erfahrungen der eigenen Lebenswelt und an verortbarem Wissen.





Wie hängen Körperhygiene und Machtverhältnisse miteinander zusammen?

Abb. 6: Hönnerscheid, Rebekka, HygieneundMacht, 2022, digitale Skizze.

Die Aktion des Händewaschens beinhaltet nicht nur eine ästhetische Funktion, sondern auch eine hygienische, weshalb die Reinigung der Hände, also die Beseitigung von Bakterien und Schmutz, in die Kategorie der Körperhygiene fällt.

Dabei liegt ein Bewertungsschema vor, mit dem saubere Hände als positiv und dreckige Hände als negativ empfunden und wahrgenommen werden. In Verbindung mit der Konnotation von dreckigen Händen, die Viren übertragen können und somit zu Krankheiten führen, scheint diese Wertung zunächst logisch. Dennoch sollten strukturelle Machtverhältnisse, die die Auf- und Abwertung schmutziger Hände mit sich bringen können und diskriminierend auf marginalisierte Gruppen von Menschen wirken, beleuchtet werden.

Semra Ertan, eine türkische Arbeitsmigrantin und Schriftstellerin, die sich aus Protest gegen Rassismus in den Strassen Hamburgs öffentlich verbrannte, schrieb:

„Mein Name ist Ausländer,

Ich arbeite hier,

Ich weiß, wie ich arbeite,

Ob die Deutschen es auch wissen?

Meine Arbeit ist schwer,

Meine Arbeit ist schmutzig.

[...]

Semra Ertan, 7. November 1981“

(Bilir-Meier/Bilir-Meier 2020: 176)

Diese Zeilen weisen darauf hin, wer die Reproduktionsarbeiten, also z.B. Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeiten in unserer Gesellschaft leistet. Es handelt sich also um die Arbeit, bei der Menschen sich, wortwörtlich, die Hände schmutzig machen. Oft sind es die, die von ein- oder mehrfachen, sich verschränkenden Diskriminierungsstrukturen, wie z.B. von Sexismus und Rassismus, betroffen sind. „Die Unterdrückten sind nicht nur deshalb die neue und erweiterte Arbeiter_innenklasse, weil es sich um eine arbeitende Klasse handelt, sondern weil die Mehrheit der am meisten ausgebeuteten Arbeiter_innen zur ‚rassisch‘ ‚falschen‘ oder geschlechtlich ‚minderwertigen‘ Gruppe gehört, weil sie ‚verwerflichen‘ sexuellen Praktiken frönt, oder letztlich die ‚falsche‘ Religion oder Sprache hat.“ (Mignolo 2012: 173) Das heisst, einerseits muss eine Um- und Aufwertung der Reproduktionsarbeit stattfinden und andererseits darf die Abwertung dieser Arbeit nicht mit der Abwertung der Menschen, die sie ausrichten, einhergehen. Den Umständen liegen Strukturen zugrunde, die dazu führen, dass nur bestimmte privilegierte Menschen ständig über die Ressourcen verfügen, saubere Hände zu haben.

Werden die Strukturen und Reproduktionen nicht kritisch betrachtet und kein Bewusstsein für sie entwickelt, führen sie zum Fortbestehen des Ungleichgewichts der Zugänge zu Zeit und Ressourcen. Dabei ist die Dominanzgesellschaft einerseits die Instanz, die die Auf- und Abwertung vornimmt und gleichzeitig diejenige, die die Ungleichverhältnisse schafft. Ein Bewusstsein darüber ist dringend notwendig, da durch Gewaltstrukturen wie dem Kolonialismus und dem Patriarchat Ungleichheiten hervorgebracht worden sind, die bis heute wirken.





Fragen to go: #Körperwissen

Abb. 7: Hönnerscheid, Rebekka, FragentoGoKörperwissen, 2022, digitale Skizze.

  1. Kann ich mein Körperwissen auch wieder vergessen oder stellt es womöglich das Wissen dar, für das ich das sicherste Archiv besitze?
  2. Gibt es auch in der Einheit meines Körpers eine Hierarchie von dominierendem und dominiertem Körperwissen?
  3. Welche Sprachen spricht mein Körper, die ich nicht übersetzen, nicht verschriftlichen, sondern nur erfahren kann?



Wissenskonstruktion

Abb. 8: Hönnerscheid, Rebekka, Wissenskonstruktion, 2022, digitale Skizze.

Hin und wieder sieht man es, oft aber auch nicht.

Es fließt durch Generationen und Orte und verändert dabei Dinge, die es berührt.

Manchmal kann man es fühlen. 

Es zieht seine Kreise zwischen Menschen und Nicht-Menschen. 

Es kann verbinden und trennen. Sanft und hart sein. 

Jede*r verfügt über eine gewisse Menge. 

Es steckt in Mark und Bein und auch im Kopf.

Aber was ist es eigentlich und woher kommt es?

(Haupts 2022)




Was ist Wissen?

Abb. 9: Hönnerscheid, Rebekka, WasistWissen, 2022, digitale Skizze.

Das Feld der Philosophie bietet eine Vielzahl an Definitionen von Wirklichkeit, die eng mit dem Verständnis von Wissen und Wahrheit zusammenhängen. 

Die vorliegenden Überlegungen basieren auf einer konstruktivistischen Perspektive. Diese soll hier skizziert werden, auch wenn wir uns in der Form eines kurzen Exkurses nur grob annähern können.

Ein paar Fragen zum Einstieg: Was denkst du, wie ist die Wirklichkeit beschaffen und wie definierst du die Welt? Wie erlebst du die Welt und wie erleben sie deine Freund*innen? Gibt es eine in sich abgeschlossene Welt (vgl. Gabriel 2013)? Kannst du die Welt, in der du lebst, auf objektive Weise erkennen?

Konstruktivistische Strömungen beziehen die betrachtenden Instanzen (z.B. Menschen, Tiere, Objekte) als der Welt innewohnend mit ein. Diese Instanzen formen einen Teil der Wirklichkeit, die sie betrachten. Sie schauen also nicht von einer unabhängigen Position (von aussen) auf eine (in sich abgeschlossene) Welt. Denkende Wesen kommen dabei durch sinnliche Reize zu gedanklichen Vorstellungen. Diese Vorstellungen sind individuell konstruiert und stellen eine subjektive Wirklichkeit her. Vereinfacht gesagt, kann sich niemand vollends als objektiv beobachtend verstehen oder erkennen, wie die Welt unabhängig von Wahrnehmungsprozessen geschaffen ist (vgl. Gabriel 2013: 14).

Neben der gedanklichen Wirklichkeitskonstruktion im menschlichen Geiste bezieht Karen Barad (2015) mit der Theorie des agentiellen Realismus auch Materie in Wahrnehmungsprozesse mit ein. Dinge, die wir beobachten, ob belebt oder unbelebt, wirken durch ihr Dasein auf unsere Wahrnehmung ein. Sie stehen in Relation und haben ihr zufolge Handlungsmacht. Materie ist demnach mit Erkenntnisprozessen verwoben und nimmt Einfluss auf die Wahrnehmung sowie Wissenskonstruktion.

Durch diesen Zugang wird ein Perspektivwechsel vorgenommen, der den Menschen aus dem Zentrum von Wahrnehmungsprozessen rückt und andere Lebensformen mit einbezieht. Alle Körper und alle Materie, menschliche wie nicht-menschliche, werden als „performativ“ betrachtet und tragen kontinuierlich zur Existenz der Welt mit bei. Sie sind somit alle voneinander abhängig (vgl. Barad 2015: 130). Eine eindeutige gedankliche Trennung von Mensch/Natur oder Körper/Geist wäre nicht haltbar, da sie sich gegenseitig benötigen und nur gemeinsam existieren. 

Mit Bezug auf ihre engen Wechselwirkungen und Beeinflussungen werden auch in der Forschung das erkennende Subjekt und das erforschte Objekt als konstitutiv verbunden betrachtet, was am Beispiel des Apparates durchdacht wird (vgl. Barad 2012, nach: Hoppe/Lemke 2021: 70). Daraus folgt, dass Wissen von unzähligen (menschlichen und nicht-menschlichen) Akteur*innen beeinflusst und mitgestaltet wird. Zum einen spricht dies gegen eine vollkommene Neutralität, zum anderen gegen die Endgültigkeit von Ergebnissen. Wenn sich alles in Wechselwirkung und Wandel befindet, sind Ergebnisse eine Momentaufnahme aus einer bestimmten, situierten Perspektive.

Haupts/Hönnerscheid: Wirklichkeitsfrage (2022)

> Wissen verstehen wir als sozial konstruierte, dynamische Ressource, die nicht ungelöst von ihren historischen Verhältnissen und involvierten Akteur*innen betrachtet werden kann (vgl. Haraway 1995: 106). Wichtig erscheint die Vielzahl an Perspektiven, aus denen heraus Wissen produziert wird. Zudem fokussieren wir Machtverhältnisse, in denen Wissen sichtbar oder unsichtbar gemacht wird.

Wird Wissenserzeugung auf individueller, materieller sowie auf gesellschaftlicher Ebene betrachtet? Welchen Einfluss haben soziale Dynamiken auf Verhaltensmuster und Konventionen? Und wie hat sich die Routine des Händewaschens bis heute verändert?



Produktion von Wissen

Abb. 11: Hönnerscheid, Rebekka, ProduktionvonWissen, 2022, digitale Skizze.

Was sind die Produktionsbedingungen von Wissen?
Folgen wir kurz den Überlegungen Karen Barads (2012) bezüglich der Produktion von Wissen in Forschungskontexten der Physik: Nach der Theorie des agentiellen Realismus sind nicht nur forschende Akteur*innen, sondern auch nicht-menschliche Forschungsgegenstände auf eine gewisse Weise handlungsfähig. Materie wird als wandelbar und wirklichkeitskonstituierend verstanden (vgl. Barad 2012, nach: Hoppe/Lemke 2021: 59). Das heisst, in Beobachtungsprozessen wird von vielen Seiten auf das Ergebnis eingewirkt. Beobachtende Subjekte werden auch durch die beobachteten Objekte beeinflusst. 

Die Wahrnehmung der Forschenden und die Beschaffenheit der Dinge an sich sind nicht klar zu trennen, denn sie sind verbunden und bedingen sich permanent gegenseitig (vgl. Barad 2015: 25). 

Barad schlägt vor, starre Trennungen und Konzepte von Identität neu zu denken (vgl. Barad 2015: 130) und auch die Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing befragt Modi der Kategorisierung. Sie zeigt dabei die Relevanz vom Leben in Gefügen anhand der Symbiosen von Pilzen und Bäumen auf (vgl. Tsing 2018). Mit Blick auf die verwobene Existenz und Abhängigkeit von Matsutake-Pilzen und Kiefern wird so ein starrer Kategorie-Begriff infrage gestellt. 

Wo hört ein Pilz auf und wo fängt ein Baum an, wenn sich beide ständig brauchen und in Austauschprozessen befinden?

Donna Haraway nimmt eine ähnliche Position ein. Sie nennt gemeinsame Formen der Existenz ein „Mit-Werden“ von Menschen und Nicht-Menschen (Haraway 2018: 24). Das Verständnis von Kategorien, ob sie nun starr, beständig oder in Bewegung sind, beziehungsweise, ob Einheiten klar voneinander zu trennen sind, hat wiederum Einfluss auf die Produktion von Wissen.


Wie definierst du einen Pilz? Denkst du nur an den Fruchtkörper oder auch an die Myzelien, die beispielsweise mit Bäumen vernetzt sind?

Wo verläuft die Grenze zwischen beiden Akteur*innen?

Welche Abhängigkeiten werden dadurch sichtbar oder unsichtbar?

Wenn du dir der Verwobenheit verschiedener Einheiten in der Welt bewusst(er) wirst, handelst du dann verantwortungsvoll(er)?

Wo werden Grenzen gezogen und welche Auswirkungen hat das?

Inwiefern hängen „abgrenzbare“ Kategorien mit Machtverhältnissen zusammen?

Wird die Handlungsfähigkeit von Nicht-Menschen und die Omnipräsenz von Wechselwirkungen weitergedacht, liegt auch die Konstruktion von Wissen nicht allein in der Hand menschlicher Akteur*innen.

Was resultiert aus so einem Perspektivwechsel?

Inwiefern wurde die Entwicklung der Körperhygiene durch die Materie und das Verhalten des Wassers beeinflusst?

Leitet (fliessendes) Wasser unsere Bewegungen beim Händewaschen an?

Warum denken wir darüber nach?


Aus der oben beschriebenen Dynamik erfolgt ein bestimmtes Verständnis von Wissen und dessen Prozesshaftigkeit. Die Konstruktion erfolgt aus mehreren Richtungen. Nicht-menschliche und menschliche Akteur*innen kollaborieren dabei.

Das Wissen von nicht-menschlichen Subjekten und Objekten ist speicherbar und steht in Korrespondenz zu Erfahrungen menschlicher Akteur*innen. Dadurch verschiebt sich die (Macht-)Position des Menschen.

Wechselwirkungen und Kontextualisierung von Beobachtung, Beschreibung und Kategorisierung werden stärker fokussiert. Ein Anspruch auf völlige Neutralität wissenschaftlicher Erkenntnisse, beispielsweise anhand von Fachsprache, müsste neu verhandelt werden.

Inwiefern beeinflussen die Wörter, welche wir zur Beschreibung nutzen, unsere Wahrnehmung? Was wird dadurch vorausgesetzt, oder auch ausgeschlossen? Welche Rolle spielen Präkonzepte, Werte und Normen (vgl. Barad 2015: 14f.), die in Sprache eingeschrieben sind?




Wissen und Kommunikation: Wie verändert sich Wissen durch sozialen Austausch?

Abb. 12: Hönnerscheid, Rebekka, WissenKommunikation, 2022, digitale Skizze.

Wenn Informationen weitergegeben werden, befindet sich das Kommunizierte automatisch in einem Wandlungsprozess. Rezipierende Akteur*innen nehmen Informationen auf und interpretieren sie auf der Basis des persönlichen Erfahrungshorizontes. Der Verstehensprozess ist individuell und bildet ein zentrales Element der Wissensaneignung und -entwicklung. 

Informationen eröffnen ein vielseitiges Möglichkeitsfeld der Interpretation, wodurch Prozesse der Wissenskonstruktion als vielschichtig verstanden werden können. Sie sind dabei massgeblich durch die Sprache beeinflusst. Wird beispielsweise ein Text gelesen, wird er zu jedem Zeitpunkt und von jede*r Leser*in anders interpretiert und eröffnet dadurch neue Aspekte (vgl. Sarrión Mora 2009: 161-162). 

Hast du schon einmal ein Buch nach langer Zeit erneut gelesen und dabei anders wahrgenommen als beim ersten Mal?

Wie würdest du diesen Text wohl in 20 Jahren lesen?

Nimmst du Informationen unterschiedlich auf, je nach Sprecher*in? 

In welchen Rollen sprichst du, in welchen nimmst du Wissen auf? 

Wie kannst du Rollenwechsel vornehmen, um zu neuen Perspektiven zu gelangen?





Pluralität von Wissen

Abb. 13: Hönnerscheid, Rebekka, PluralitätvonWissen, 2022, digitale Skizze.

Wird Wissen als eingebunden in Zeiträume und Konstruktionsbedingungen betrachtet, so ist es diskutierbar. Daraus kann sich Handlungsmacht ergeben: Normen, Rollenerwartungen und Kategorien wären verhandel- und modifizierbar. Jedes Individuum hat demnach die Möglichkeit, Wissen kritisch zu hinterfragen und auch zu konstruieren. Diese Handlungsmacht geht gleichzeitig einher mit einer Verantwortung im Umgang mit Wissen und dessen Weitergabe. 

Angelehnt an Michel Foucaults Ansätze aus Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften (1974), schreiben die Soziologen Rosa, Strecker und Kottmann, dass Wissen nicht als neutrales Resultat aus rationalen „Denk- und Forschungsprozessen“ entsteht (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann 2007: 282f., nach: Weiß 2013). Vielmehr leitet es sich aus vorhandenen politischen Machtverhältnissen ab. Wie auch bei Karen Barad wird hier angenommen, dass eine völlig neutrale Wissensproduktion nicht möglich ist. 

Politische Machtverhältnisse gelten als richtungsweisend für Klassifikationsschemata und die Wissensproduktion (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann 2007: 282f., nach: Weiß 2013).

Wenn Diskurse in Machtstrukturen eingebettet sind und Wissen hervorbringen, ist es unserer Ansicht nach notwendig, dies sichtbar zu machen, um eine grössere und kontroversere Beteiligung zu ermöglichen und mehr Perspektiven mit einzubeziehen.

Weil das Denken niemals vollends von Präkonzepten und Sprachen losgelöst werden kann, wird es stets weisse Flecken und unterschiedliche Perspektiven auf die Welt geben. Ein Anspruch auf Vollständigkeit und Neutralität ist somit nicht möglich. Sehr wohl kann aber versucht werden, möglichst gewissenhaft, so nah wie möglich, an eine Wahrheit heranzukommen.

Aktuell sehen wir uns einer umfassenden Pluralität von Weltbildern gegenüber. In einer pluralistischen Welt ist Wissen „zwischen den Stühlen“ zu finden und kann viele Formen annehmen.

Um Wissenschaft und Kommunikation anhand von Fakten zu ermöglichen und sich nicht in Beliebigkeit zu verlieren, soll hier auf die Theorie des kritischen Pluralismus von Karl Popper verwiesen werden. Im kritischen Pluralismus wird die Wahrheit als Ideal betrachtet, die durch einen möglichst sachlichen Austausch erreicht werden soll. Jede Theorie wird dazu zugelassen: „Die Theorie, welche in der kritischen Diskussion der Wahrheit näherkommt, ist die bessere“ (Popper 1999, nach: Bernert 2015). Diese Theorie wird so lange als der Wahrheit am nächsten betrachtet, bis sie falsifiziert ist, oder eine plausiblere Theorie entwickelt wird. 

Unser Gedankenexperiment lädt dazu ein, Mechanismen von Wissensproduktion transparenter zu gestalten. Parallele Perspektiven, verschiedene Wissensformen und Widersprüche gilt es dabei zunächst einmal wahrzunehmen. Räume für plurale Wissensformen sollten erweitert und geteilt werden. Zum einen durch vielfältige Ressourcen und neue Perspektiven in der Forschung, zum anderen durch Räume im wörtlichen Sinne, in Schulen, Museen und im öffentlichen Raum. Insbesondere sollte mit solchen Positionen kooperiert werden, die im Globalen Norden weniger Sichtbarkeit erfahren.



Fragen to take away 

Abb. 14: Hönnerscheid, Rebekka, Fragentotakeaway, 2022, digitale Skizze.

  1. Welches Wissen haben wir bisher angenommen, ohne es zu hinterfragen?
  2. Was wirkt auf uns selbstverständlich und inwieweit lässt sich diese Selbstverständlichkeit hinterfragen?
  3. Ist das scheinbar Selbstverständliche wirklich so bedenkenlos?
  4. Wann sind akzeptierte Konventionen für ein soziales Miteinander zuträglich? #Rollen
  5. An welchen Stellen wäre es wichtig, Kategorien fluider zu denken?



Podcast Händewaschen

Abb. 15: Hönnerscheid, Rebekka, Podcast, 2022, digitale Skizze.

Podcast: Einladung, 2021

Podcast: Experiment Händewaschen, 2021






Soziale Rolle

Was ist eine soziale Rolle?

Abb. 16: Hönnerscheid, Rebekka, SozialeRolle, 2022, digitale Skizze.

Welche Rolle spielt denn das? Welche Rolle spiele ich? Welche Rollen nehme ich ein? Kann ich gleichzeitig Lehrende*r, Lernende*r, Elternteil, Kind, Freund*in, Vermittler*in, Verantwortliche*r, Teilnehmer*in sein? Welche meiner Rollen dominieren in Interaktion mit den Rollen anderer?

Um sich diesen Fragen anzunähern, scheint es sinnvoll zuerst darüber nachzudenken, was unter einer sozialen Rolle (hier oft nur Rolle) im Zusammenhang dieses Denkprozesses verstanden werden kann.

Im Kontext eines Interaktionsfeldes zwischen Kunst und Bildung und den daraus entstehenden Positionen und Haltungen bietet sich die Definition von sozialen Rollen nach Maiwald und Süring (2018) an, die diese als „in Interaktion wirksame Kategorien von Sozialbeziehungen“ (Maiwald/Süring 2018: 101) darstellen. Sie gehen innerhalb einer Interaktion von einem Gegenüber aus, das eine Definition der sozialen Beziehung einfordert, woraus stets eine komplementäre Rollenbeziehung resultiert (vgl. ebd.). Nach Maiwald und Süring stellt die Interaktion eine notwendige Bedingung dafür dar, dass aus der sozialen Kategorie eine soziale Rolle wird (vgl. ebd.:102).

Wenn ich über Rollen spreche, muss ich also darüber nachdenken, wie sich meine Beziehung zu Personen oder Personengruppen über die Interaktion mit ihnen definiert.

Verhalte ich mich demnach anders, je nachdem, mit wem ich gerade interagiere? Wird das von mir erwartet? Welche Haltungen und Erwartungen habe ich aus der Sicht meiner Rollen und anderen Rollen gegenüber? Woher kommen diese Erwartungen? Woher habe ich mein Wissen über diese Rollen?

Wenn es Interaktion braucht, um eine soziale Rolle zu definieren, könnte diese dann als Summe von Erwartungen, Haltungen, Verantwortungen und Handlungen beschrieben werden?

In jedem Fall scheint es sinnvoll zu hinterfragen, welche Auswirkungen das eigene Handeln in verschiedenen Rollen hat und wie dieses Handeln andere beeinflusst. Dabei kann hinterfragt werden, welche Machtpositionen einer sozialen Rolle eingeschrieben sein können, aber auch, inwiefern Einschränkungen oder Machtlosigkeit damit einhergehen.




Über Rollen nachdenken

Abb. 17: Hönnerscheid, Rebekka, ÜberRollennachdenken, 2022, digitale Skizze.

Ein*e Schauspieler*in kann sich vorstellen, eine andere Person zu sein, ihre Eigenschaften und Charakterzüge zu übernehmen. Er*sie kann sich überlegen, wie in welchen Situationen reagiert oder nicht reagiert wird, welche Verhältnisse und Beziehungen zu anderen Rollen bestehen und wie sie*er die Rolle ausfüllen kann. Davon kann dann ein bestimmtes Verhalten abgeleitet werden.

Wie verhält es sich aber mit sozialen Rollen? Bin ich freiwillig in meinen Rollen? Wie fühle ich mich in ihnen? Nehme ich meine Rollen wahr oder verhalte ich mich „automatisch“? Indem wir soziale Rollen im Sinne von Rollen im Theater betrachten, können wir diese analysieren und entsprechend reflektieren, mit welchen Gefühlen, Pflichten, Verantwortungen oder Privilegien sie einhergehen.

Welche Eigenschaften sollte eine Person mitbringen, die eine bestimmte Rolle einnimmt?

Hier kommst du zu verschiedenen Videosequenzen, bei denen du eingeladen bist, über unterschiedliche Aspekte der sozialen Rolle im kunstpädagogischen Kontext nachzudenken.


In welchen Rollen finde ich mich im kunstpädagogischen Kontext wieder? – Video Teil 1

Beim Nachdenken über Rollen im schulischen Kontext liegen die Rollenbezeichnungen Schüler*in, Lehrer*in, Direktor*in etc. nahe. Werden die Bezeichnungen Lernende*r, Lehrende*r, Leiter*in, Moderator*in usw. verwendet, wird schnell klar, dass sich Personen nicht durch eindeutige Rollen definieren lassen. Das wird am Beispiel von Studierenden oder Referendar*innen deutlich, denen sowohl die Rolle der Lernenden als auch die Rolle der Lehrenden zugeordnet werden kann. Die Kontextualisierung scheint hier also eine entscheidende Rolle zu spielen. Wenn der schulische Kontext auf einen kunstpädagogischen Kontext erweitert wird, ist davon auszugehen, dass sich viele weitere Rollenbezeichnungen ergeben. Dabei wird es schnell schwierig, jede Rolle unmittelbar zu benennen.

Wie kann also über weitere Rollen nachgedacht werden? Wie können sich einzelne Rollen überschneiden? Inwiefern kann in der Vielfalt und Fluidität von Rollen und Zuschreibungen ein Potential für die kunstpädagogische Arbeit entstehen?

Das folgende Video lädt dazu ein, über diese Fragen nachzudenken:


Hier geht es zu weiteren Videosequenzen:



Rollen und ihre Handlungen – Video Teil 2

Abb. 18: Hönnerscheid, Rebekka, RollenHandlungen, 2022, digitale Skizze.


Kann ich von meinen Rollen Handlungs- und Denkmuster ableiten? Inwiefern muss ich mich in bestimmten Rollen nach vorgeschriebenen oder erwarteten Handlungen richten?

In der Rolle des*der Kunstlehrer*in können diese Fragen beispielsweise dann auftauchen, wenn (ausser-)unterrichtliche Projekte geplant werden.

In der folgenden Videosequenz bist du eingeladen, über Praktiken im kunstpädagogischen Kontext und über interdisziplinäres Arbeiten nachzudenken:


Möchtest du weiter über soziale Rollen in der Kunstvermittlung nachdenken? Hier geht es zu weiteren Videosequenzen oder Textabschnitten:




Herausforderungen – Video Teil 3

Abb. 20: Hönnerscheid, Rebekka, Herausforderungen, 2022, digitale Skizze.

Wer bestimmt eigentlich, wer welche Rolle einnimmt? Werden mir bestimmte Rollen zugeteilt oder suche ich sie mir aus? Welchen Einfluss haben Institutionen auf meine Rollenwahrnehmung und mein Rollenverhalten und wie schränken sie mich ein?

Darum geht es im folgenden Video:


Möchtest du weiter über soziale Rollen in der Kunstvermittlung nachdenken? Hier geht es zu weiteren Videosequenzen:


 

 



Literatur/Referenzen:

Barad, Karen (2012): Agentieller Realismus. Über die Bedeutung materiell-diskursiver Praktiken. Berlin, Suhrkamp.

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