Zwei Schneekugeln stehen auf dem Tresen des Souvenirshops. Im ersten Exemplar befinden sich die Miniaturen zweier Pandabären, Mutter oder Vater und Kind, während auf der Rückseite hinter der grünen Waldkulisse „Peking 2020“ zu lesen ist. Die zweite Schneekugel rechterhand zeigt Peking 2050: Das bereits erwachsene Pandakind in milchig-trüber Flüssigkeit, neben einem Menschen im Schutzanzug. „High rates of pulminary disease. Very bad air pollution“, ist auf der Rückseite zu lesen.
Man könnte dieses Schneekugel-Paar als Sinnbild für den Übergang zum sogenannten Anthropozän betrachten, jener geochronologischen Epoche, in der der Mensch in einschneidender Weise das System Erde eingreift. Die Denkerin Donna Haraway plädiert in ihrem Werk Unruhig bleiben (2016) jedoch dafür, den allgegenwärtigen Begriff des Anthropozäns, der in kritischer Absicht seit den frühen 1980er Jahren den Umwelt-Diskurs bestimmt, zu verabschieden. Hierfür erfindet sie das Chthuluzän als ein künftig zeitloses Zeitalter fortdauernden Lernens.Vgl. Haraway, Donna (2016): Staying with the Trouble. Making Kin in the Chthulucene. Durham, Duke University Press. Welchen Beitrag leisten nun die Künste zu dieser Entwicklung von einem, um es vereinfacht zu sagen, Auf-der-Welt-Sein zu einem Mit-der-Welt-Sein? Inwiefern kann künstlerische Praxis als Motor fungieren, um diese Auseinandersetzung anzustossen?
An diesem Punkt starteten wir im Frühjahr 2020 das EcoArtLab an der Hochschule der Künste in Bern, das es sich zum Ziel setzte, als Do- und Think-Tank Kollaborationen zwischen Künstler*innen, Klimaforscher*innen und der Öffentlichkeit anzustossen. Der folgende Bericht bietet einen Einblick in eine Kooperation zwischen Forschung, Lehre und Vermittlung, das im Sommer 2020 stattfand.
Bei den oben erwähnten Schneekugeln handelt es sich nämlich um eine Arbeit von Studierenden, die im Rahmen der vom EcoArtLab veranstalteten Summer School Climate & the City im August 2020 in Bern und Zürich entstand. Im Zuge einer Auseinandersetzung mit Klimawandel und Ökologie arbeiteten Studierende verschiedener künstlerischer Disziplinen hier mit Studierenden der Umweltwissenschaften und Forschenden des Crowther Lab der ETH Zürich zusammen. Im Fokus dieses Kollaborationsprojektes, das vom Bundesamt für Umwelt begleitet und unterstützt wurde, stand das Entwickeln innovativer methodischer Zugänge und Vermittlungsformate im Sinne der Sustainable Development Goals „Sustainable Cities and Communities“ und „Climate Action“.
In verschiedenen Inputs, Workshops und Podiumsdiskussionen lernten wir hier beispielsweise eine vom Design Thinking inspirierte Methode – die HEAT Method von David Christie – kennen, um unseren eigenen Climate Action Plan in Bezug auf den ökologischen Fussabdruck zu entwickeln. Wir diskutierten mit Vertreter*innen der Stadt Zürich über die zukünftige Energiepolitik und lernten verschiedene Projekte an der Schnittstelle zwischen Kunst und Klimaforschung kennen, u.a. 3000peaks am mLab des Geografischen Instituts der Universität Bern, das innovative Konzepte für die Umnutzung von Berggipfeln nach der Gletscherschmelze entwickelt. Wir sprachen mit Klimaaktivist*innen, Künstler*innen und Naturwissenschaftler*innen über Partizipation, Citizen Science und die Entgrenzung von Expertisen.
Gleichzeitig wirft der konservierte Pandabär die Fragen auf: Was erscheint uns schützenswert? Welche Arten sind es wert, erhalten zu werden, welche sterben aus? Der Souvenirshop reflektiert als Metapher ferner die Frage, wie wir in Zukunft reisen werden. Der Frau Gerolds Garten als ein Ort im Spannungsfeld zwischen Urban Gardening, Hipsterkultur und Kreativwirtschaft wird zum Umschlagplatz für das Dilemma zwischen Konsum, Lifestyle und Nachhaltigkeit, in dem wir uns aktuell befinden.
Das performative Projekt Construction Site von Katha Schmidt, Miriam Talattad und Lia Weinberg verwandelte das Gelände des Frau Gerolds Gartens in eine grosse Baustelle. Jede*r konnte sich beteiligen, den Bauplan ergänzen oder Ideen umschreiben. Die Vision war ein autarker Ort, an dem alle Lebewesen die gleichen Rechte haben. Für die Performance kreierten sie den gemeinschaftlichen Bauplan für den Wiederaufbau des Gartens. Zwei Stunden lang wurde die Gemeinde, d.h. Besucher*innen des Veranstaltungsortes und Passant*innen, zu den notwendigen Baumaßnahmen befragt. Auf diese Weise entstand eine interaktive Performance mit vielen Ideen für ein zukünftiges Zusammenleben. Als eine Aktion produzierte das Projektteam außerdem ein Wahlkampfvideo, in dem ein Baum für den Zürcher Stadtrat kandidierte.Schmidt, Katha/Talattad, Miriam/Weinberg, Lia (2021): Who are you rooting for. https://ecoartlab.ch/who-are-you-rooting-for/ [27.12.2021] Hier stellt sich die Frage, welches besondere Potential performative Künste besitzen, um performative Setups zu erproben, die Grenzen zwischen Fiktion und Fakten zu verschieben und auf der laborartigen Bühne Möglichkeitsräume zu testen, die zu neuen Denkanstössen führen.
Die Projektgruppe Still Rivers, bestehend aus Ruth Buck, Mélia Roger und Hélène Walter, fand sich zusammen, weil alle drei mit Klang und Stimme auf möglichst verschiedenen Ebenen arbeiten wollten. Die Gruppe beschäftigte sich mit der Frage, ob sie den Klimanotstand auf diese Weise greifbar machen könnte. Am Anfang stand die Idee, die Bewegungen der Steine in der Aare in Bern hörbar zu machen. Ähnliche Herangehensweisen, lassen sich in Praktiken der Acoustic Ecology finden, beispielsweise in den Forschungen des Umweltwissenschaftlers und Soundkünstlers Marcus Maeder, der etwa im Walliser Pfynwald die akustischen Effekte von Trockenheit und Hitze hörbar macht.Vgl. Maeder, Marcus (2017): Kunst Wissenschaft Natur. Zur Ästhetik und Epistemologie der künstlerisch-wissenschaftlichen Naturbeobachtung. Bielefeld, Transcript. Es entstand eine Soundinstallation mit verschiedenen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen, bestehend aus den Kompositionen Aaresound under water, Voice of the Aare, Stimmen aus der Wissenschaft sowie indigenen Stimmen. Die Gruppe fand es wichtig, eine physische Verbindung zu den Besucher*innen der Installation herzustellen. So hielten die Besucher*innen einen Stein aus der Limmat in der Hand, während sie über Soundcloud den Klangsteinen zuhörten.
Was ist der Klimawandel? Wie nimmt die*der Einzelne bestimmte Aspekte des Klimawandels wahr? Können wir die Idee unseres sich verändernden Klimas jemals vollständig begreifen? Fragen wie diese inspirierten Yris Apsit, Nina Calderone, Eric Lemmon und Soraya-Thashima Rutschmann zu ihrer transdisziplinären Arbeit Climate Exquis, deren Titel ein Neologismus ist, der auf einer Verschmelzung von Klimawandel mit cadavre exquisbasiert. Der Ansatz des Klima-Exquis ähnelt dem des Kadaver-Exquis, bei dem die Spieler*innen jeweils den ersten Absatz einer Geschichte schreiben und dessen letzten Satz an die nächsten Spieler*in weitergeben, die auf dieser Grundlage dann den nächsten Absatz schreibt. Der entscheidende Unterschied im Klima-Exquis bestand darin, dass jede*r die klimabezogenen Begriffe Ernährung, Mobilität und Wohnen durch das eigene Medium interpretierte, was dann als Keimzelle diente, die an die anderen Mitglieder weitergegeben wurde. Der Rest der Gruppe reagierte auf diesen Keim mithilfe ihres jeweils eigenen Mediums, wobei alle Teile schließlich zu einem Video zusammengefügt wurden – Ton, Text, Film und Malerei.
https://www.youtube.com/playlist?list=PLo69FcEdGNdvjzr4K7u9McHdkYVkFAhOT
Mit dieser spielerischen Methode versuchte die Gruppe zu erfassen, wie eng die Momente des Klimawandels miteinander zusammenhängen, auch wenn unsere gelebte Erfahrung diese Tatsache meist ausblendet. Schließlich können Einzelne immer nur einen winzigen, subjektiven Teil der Notlage erleben. Die Arbeit versucht nicht, die üblichen Bilder von geröteten Temperaturgradientkarten, Linien, die die globale Durchschnittstemperatur darstellen, oder brennende Wälder zu zeigen, um das Ausmass unseres gemeinsamen Problems zu verdeutlichen. Stattdessen bindet sie eine Vielzahl von Interpretationen von Ernährung, Mobilität und Wohnen in eine Matrix gerichteter Assoziationen ein, die auf das Hyperobjekt Klimawandel verweisen.
Hanging Awareness von Lou Forestier ist eine zweiteilige Installation in Gelb. Viele gelbe Papiere hingen von der Holzkonstruktion herab. Der Wind wehte durch sie alle hindurch – als wäre er gekommen, um den Inhalt zu unterstreichen. Die eine Hälfte des Projekts provozierte dazu, das eigene Verhältnis zum Thema Nachhaltigkeit zu hinterfragen. Die hängenden Fragekarten konnten abgenommen und beantwortet werden oder aber sie blieben, wo sie waren, als ewige Provokation. Der zweite Teil bezog sich auf das Wort Zusammenkunft im Kontext von Klima, Stadt und Zukunft. Vier Texte zeigten verschiedene Szenarien bzw. Realitäten, die sich um dieses Wort drehten, und sollten Leser*innen so zum Nachdenken anregen. Was verstehen wir unter einer Versammlung? Welche Rolle spielt dieses Wort heute? Wie wichtig wird es in der Zukunft sein?
Die entstandenen Projekte versuchen, durch die Verbindung verschiedener Expertisen den die Klimathematik und Fragen des nachhaltigeren Zusammenlebens erfahrbar zu machen. Die Aktivitäten der Projektwochen sind auf der Webseite ecoartlab.ch dokumentiert und in einem Video des Künstlers und Umweltwissenschaftlers Benjamin Sunarjo festgehalten.
Das EcoArtLab entstand im Kontext einer wechselseitigen Annäherung zwischen Klima-Kunst und Klima-Forschung. In der künstlerischen Praxis findet gegenwärtig eine Hinwendung zu ökologischen Themen statt: Ausstellungen wie Possible World 1+2 im Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich, Critical Zones im ZKM in Karlsruhe und Eco-Visionaries im Haus für elektronische Künste in Basel widmeten sich dieser Post-Anthropozän-Kunst; Olafur Eliasson verwandelte die Fondation Beyeler in ein grünes Biotop und Theaterschaffende wie Katie Mitchell, Rimini Protokoll und Phillippe Quesne (der auch im von Bruno Latour geleiteten Studiengang Political Arts der Sciences Po Paris zu künstlerischer Praxis und Klimawandel arbeitet) erprobten Zukunftsszenarien auf den Bühnen. Insbesondere seit der UN-Klimakonferenz 2015 in Paris, die international Proteste sowie eine Vielzahl künstlerischer Aktivitäten auslöste, verschwimmen die Grenzen zwischen Kunst und Klimaaktivismus.Vgl. Drabble, Barnaby (2019): Along Ecological Lines. Contemporary Arts and Climate Crisis. Manchester, Cornerhouse Publications. Bei all diesen vielseitigen Ansätzen stellt sich auch für die Kunstvermittlung die Frage: Für welches Publikum sind diese Arbeiten konzipiert – und wen erreichen sie tatsächlich?
Während Kulturschaffende im Becken der Klimaforschung fischen, suchen immer mehr Klimaforschende den Austausch mit Künstler*innen oder adaptieren künstlerische Verfahren in ihren Forschungskontexten. Beispielsweise suchen Klimaforschende, wenn es um die Vermittlung von Umweltwissen geht, im Zuge eines creative (re-)turn den Austausch mit Künstler*innen und/oder adaptieren hierfür künstlerische Verfahren.Vgl. Hawkins, Harriet (2020): Geography, Art, Research. Artistic Research in the GeoHumanities. London/ New York, Routledge. In der Schweiz versuchen etwa Initiativen wie PolArts von Pro Helvetia, arvae in Arosa oder das Transition Climat Festival in Genf durch die Einbindung künstlerischer Praktiken innovative Herangehensweisen an den Klimawandel anzustossen und das künstlerische wie wissenschaftliche Methodenrepertoire zu erweitern. Durch die Verbindung verschiedener Expertisen soll der Spalt von Wissenschaft und Bevölkerung bzw. Wissen und Handeln überwunden werden. Dabei finden diese Kooperationen jedoch selten auf Augenhöhe statt, wie etwa die Künstlerin Maja Folkes feststellt: „Currently, there is a danger that scientists would prefer to see the artists as illustrators. Whereas we think it is not a question of illustration, but of a different kind of production.“Vgl. Folkes, Maja / Reuben, Folkes (2019): Facing the Unprotectable. Emergency Democracy for Post-Glacial Landscapes. In: Drabble, Barnaby (2019): Along Ecological Lines. Contemporary Arts and Climate Crisis. Manchester, Cornerhouse Publications, S. 51-65 Es ist zudem wenig darüber bekannt, welche neuen Verfahren der Erkenntnisgenerierung durch diese transdisziplinären Versuchsanordnungen hervorgebracht werden.
Zurück zum Pandabär: Seit einigen Wochen gibt es ein Leck in der Schneekugel, die als Souvenir der Summer School Climate and the City auf meiner Kommode steht. Eine kleine Pfütze hat sich gebildet. Ganz langsam sinkt der Wasserspiegel, bis nur noch eine Lache mit Glitzerstaub auf dem Boden des Gefässes übrigbleiben wird. Der Panda und der Mensch sind gefangen im Vakuum ohne Sauerstoff. Donna Haraways ökologische Ethik zielt darauf ab, dass diejenigen, die verdrängt wurden – aussterbende Tier- und Pflanzenarten wie etwa der Pandabär –, einen Teil der Erde zurückgewinnen. Wir Menschen würden nicht als Individuen überleben, sondern nur im Mit-Werden mit anderen Arten, in der Sympoiesis und als Symbionten. Human komme eben von Humus, schreibt Haraway. Statt von post-human spricht sie lieber von kom-post. Vielleicht ist es das, was am Ende übrig bleibt von der Schneekugel.
Ressourcen:
EcoArtLab Blog: https://ecoartlab.ch [27.12.2021]