…but what if the real harvest were the memes we made along the way? Looking back at d15 through memes
Abstract:
Die Allgegenwärtigkeit von Memes machte auch vor der 15. documenta nicht halt, wurde von ruangrupa aber wohlwollend aufgenommen. Neben Zeichnungen, Fotos, Skizzen und anderen visuellen Dokumenten wurden sie unter anderem als harvest – das sind kreative Produkte der Aufzeichnung gemeinsamer Begegnungen – ganz offiziell ausgestellt. Auch im Kreis der Kunstvermittler*innen wurden Memes produziert und geteilt, die häufig ein Mittel waren, um die eigene Arbeit miteinander zu teilen und zu reflektieren. Diese Memes bilden in diesem Text den Ausgangspunkt für eine Reflexion über die Ausstellung. Dabei wird danach gefragt, welche Funktion Memes für die Arbeit der Vermittler*innen übernehmen sollten und und wie ihr genuin kommentierender Inhalt und die durch das Teilen in Gruppen kollektive Praxis auf die Gruppe der Vermittler*innen wirkte. Im Zuge dessen geht es auch um die Spannung zwischen Transparenz und (Selbst-)Schutz beim Festhalten geteilter Erfahrungen (als Kunstvermittler*in) in Meme-Form, um den Versuch der Aneignung subversiver Praktiken und die Frage, was letztlich im documenta-Archiv landet und was nicht? Abschließend geht es um Care- und Beziehungsarbeit als Teil einer erweiterten kollektiven Vermittlungsarbeit.

Oh nice, another group-chat!

Die Arbeit der Kunstvermittler*innen auf der documenta fifteen (im Folgenden d15) wurde maßgeblich von der Omnipräsenz diverser digitaler Kommunikationskanäle geprägt. Emails, aber vor allem Chatgruppen wurden vom Education Department eingerichtet, um mit den für fünf Monate angestellten 138 Vermittler*innen zu kommunizieren und sich zu organisieren. Schnell wurde klar, dass die so geschaffenen Kanäle der Flut an Informationen, unerwarteten Problemen und Diskussionen nicht gewachsen waren. Vielleicht, denke ich beim Zurückblicken (als einer dieser 138 angestellten Kunstvermittler*innen), war auch das ein Grund dafür, dass wir, die sobat-sobat (Slang: sobat2), eine weitere Chatgruppe brauchten, in der Organisatorisches Tabu war. Sie hatte nur einen Zweck: Memes! Jetzt, viele Monate nach dem Ende der Kunstschau, ist es in der Gruppe meistens still. Geblieben ist ein Archiv aus über 500 Bild- und einigen Videodateien, die den Anlass zu diesem Artikel gaben, der zurückblickt und Fragen an die Vermittlungsarbeit und die d15 als Ausstellung stellt. 

Reiche Ernte: Memes als Teil des Harvest

Memes gab es auf der d15 keineswegs nur bei den Vermittler*innen. Wer das d15-Handbuch aufschlägt, wird dem Wort Meme schon auf dem ausklappbaren Einband begegnen, wo es als eine der möglichen Formen des sogenannten Harvest im Glossar aufgeführt wird (ruangrupa 2022). Das Kollektiv ruangrupa, so wird schnell klar, versteht Memes nicht nur als primär der Unterhaltung dienendes Netzphänomen und Forschungsgegenstand einiger Kunst- und Medienwissenschaftler*innen, sondern als offiziellen Bestandteil der Kunstschau, die, zumindest ihrer eigenen Heimatstadt zufolge, die Wichtigste der Welt ist (vgl. Stadt Kassel o.A.). Als Harvest bezeichnet das Kollektiv die vielen Formen an „künstlerischen Aufzeichnungen von Diskussionen und Meetings“ (ebd.). Mit dem Harvesten fingen ruangrupa und die Künstler*innen bereits vor Beginn der eigentlichen Ausstellung an und setzten es währenddessen fort. Gleichzeitig wurden an allen Ausstellungsorten Beispiele von Harvests ausgestellt. Auch dass Cem A., Admin der Art-Meme-Page @freeze_magazine, als kuratorischer Assistent für die documenta fifteen eingesetzt wurde, unterstreicht die Relevanz von Memes als Format. In diesem Beitrag frage ich deshalb auch, ob die hunderten von Memes, die wir sobat2 produziert haben, unser Beitrag zum großen Harvest, zum lumbung waren?

ruangrupa legten großen Wert darauf, Kunst und ihre Vermittlung nicht als Gegenstand unterschiedlicher Professionen zu verstehen: Künstler*innen seien Vermittler*innen und andersherum. Ignoriert man die vielen Fragen, hinsichtlich der (Un-)Abhängigkeit, Kritik und Reflexion, die dieses Verständnis mit sich bringt, birgt es für Vermittler*innen ein sehr wertschätzendes und bestenfalls auch ermächtigendes Potenzial. Es eröffnet Möglichkeiten und betont ihre Kreativität und Eigenständigkeit. Wenn Vermittler*innen also Künstler*innen und Memes künstlerische Aufzeichnungen sind, dann erscheint es ganz einfach und als seien unsere Memes Teil des Harvest und damit auch der Ausstellung. Harvest wird im d15-Handbuch als etwas beschrieben, das mit anderen geteilt werden kann, etwas, das zur Herstellung von lumbung, also den von allen Beteiligten geteilten Ressourcen, gehört und veröffentlicht wird (vgl. ruangrupa 2022: 42). Wie das gemeinschaftliche Teilen von Ressourcen, war allgemeine Transparenz fest im kuratorischen Konzept verankert. Bald nach dem Beginn der Ausstellung bekam ich den Eindruck, so viel Transparenz konnte sich kaum eine Person, die in die Ausstellung involviert war, mehr leisten. Eine von Dan Perjovschis vielen Zeichnungen auf den Säulen des Fridericianums (ehemals fridksul) prophezeite bereits, welches Risiko sie mit sich bringt: Ein*e Soldat*in oder sehr martialisch ausgerüstete*r Polizist*in steht mit durchsichtigem Schutzschild und dementsprechend gläsernem Schutz da (siehe Abb.1). Für die sobat2 gilt das zumindest teilweise auch nach wie vor. Manche Konflikte wurden nie gelöst und heute befinden sich die sobat2 nicht in einer (institutionell) geschützten Position. Viele von ihnen sind am Anfang ihres Berufslebens und dabei, sich zu etablieren, manche noch im Studium. Transparenz bedeutet Unsicherheit und an eine Veröffentlichung der Memes ist nicht zu denken, bilden sie doch durchaus einen kollektiv gestalteten Korpus voller Dateien, die mitunter von Intimität und Verletzlichkeit aber auch von großer Frustration erzählen. So diente die Meme-Gruppe als safer space, also geschützterer Raum, in dem auch Sorgen, Ängste und Kritik hinsichtlich der eigenen Arbeit geteilt werden können, ohne dass dabei Konsequenzen zu befürchten wären. 

Abb. 1: Dan Perjovschi, Columns, 2022; Foto von Jonathan Hohmann, 2023

RECAP 

Was ist passiert? Ich beschränke mich natürlicher aber auch schockierender Weise dabei auf das, was in (teilweise breiter) Öffentlichkeit geschah und online nachzulesen ist: 

  • Arbeitsklima und -bedingungen waren zumindest aus der Perspektive zweier sobat2 scheinbar so desolat, dass sie sich gezwungen sahen, sich an die Presse zu wenden.
  • In einem Artikel (Süddeutsche Zeitung,14.07.2022) wurde über ein geleaktes internes Video berichtet, das in der Vorbereitungsphase der sobat2 entstand und auf dessen Basis einzelne Kunstvermittler*innen öffentlich kritisiert wurden (vgl. Baumstieger 2022). Das Video war online abrufbar und enthielt Klarnamen und Gesichter der sobat2 in ihrem Zuhause und teilweise mit Familienangehörigen. 
  • Es kam seitens der Künstler*innenschaft zu Beschuldigungen einzelner sobat2  – mit Klarnamen und teilweise auch privaten Fotos – , eine rassistisch-politische Agenda verfolgt zu haben oder gar am Einbruch in die WH22 beteiligt gewesen zu sein.

Hinzu kam die anhaltende Belastung durch die vielen coronabedingten Ausfälle von Vermittler*innen und die unzähligen Situationen, in denen die öffentlichen politischen Debatten oder problematische Äußerungen von Besucher*innen zentraler Gegenstand der Touren wurden. Nicht zu vergessen ist außerdem die Tatsache, dass sich große Teile der Ausstellung permanent veränderten. Das ist zwar an sich kein Problem, sondern ein wesentlicher Bestandteil der Ausstellung, aber eben auch ein weiterer signifikanter Faktor für den Workload der Kunstvermittler*innen, für die es schier unmöglich war, jede Veränderung rechtzeitig mit einer Recherche zu begleiten. All das wurde in Memes besprochen und geteilt.

MEMES ARE MEANS BUT MEANS OF WHAT? (VERSUCH EINER WISSENSCHAFTLICHEN ANALYSE)

Sicher wäre es spannend, Memes als pädagogisches bzw. vermittlerisches Tool und das Meme-Making als entsprechende kreative Praxis zu besprechen. Bei Gila Kolb und Helena Schmidt (2021) werden schon Potenziale dieser Herangehensweise aufgezeigt. Im Kontext der Arbeit der sobat2 fand das aber kaum statt. Dennoch erfüllten Memes im Kontext der Vermittlungsarbeit der d15 eine pädagogische Funktion, die allerdings ein ganzheitliches Verständnis von Kunstvermittlung voraussetzt, das die klassische Vermittlungssituation übersteigt. Sie dienten als Coping-Tool, als Ventil für Frustration, wenn die sobat2 im Arbeitsalltag aller Kollektivität zum Trotz eben doch immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen wurden, als Erscheinungsform eines kollektiven Reflexionsraums für individuelle und geteilte Erfahrungen, den kollektive Vermittlungsarbeit anscheinend benötigt. 

Mit den geballten Mitteln eines quantitativ forschenden Kulturpädagogen bin ich sie noch einmal durchgegangen und habe dabei Codes festgelegt, anhand derer ich sie wiederum kategorisierte. Die Memes (N=538) wurden also, sofern möglich, den folgenden elf Kategorien zugeordnet, wobei Memes auch mehreren Kategorien zugeordnet werden konnten:

  •  Memes zum (Arbeits-)Alltag und zu Interaktionen mit Besucher*innen 
  • Memes zu lumbung und zum allgemeinen kuratorischen Konzept der d15
  • Memes zum Arbeitsklima 
  • Memes zu den Arbeitsbedingungen der d15 (Allgemein)
  • Memes zu den Arbeitsbedingungen der d15 (Organisation)
  • Memes zu den Arbeitsbedingungen der d15 (Stress/Workload)
  • Memes zu den Arbeitsbedingungen im Kultursektor allgemein
  • Memes zu Selbstorganisation/Subversion
  • Memes zu den öffentlichen bzw. politischen Debatten um die d15
  • Memes zur Institution documenta gGmbH
  • Memes mit Werkbezug oder d15-Werken als Material

    Diese Kategorien beziehen sich jeweils auf die Inhalte, die in ihnen verarbeitet wurden, wobei die letztgenannte Kategorie die einzige Ausnahme bildet. Sie beinhaltet neben Memes, die sich inhaltlich auf bestimmte Positionen der d15 beziehen, auch solche, die Fotos von Werken als Meme-Templates nutzen.

    Abb. 2: Jonathan Hohmann, Meme, 2023.

    Knapp zehn Prozent, nämlich 51 von 538 Memes, bezogen sich auf die ausgestellte Kunst. 22 (4%) weitere bezogen sich auf lumbung, das kuratorische Konzept. Die große Mehrheit allerdings bezog sich auf die Arbeitsbedingungen (26%), das Arbeitsklima (6%) und den Arbeitsalltag (9%) der sobat2. Weitere 6% behandelten den selbstorganisierten Umgang damit. Hauptgegenstand dessen, was geteilt wurde, waren also negative Aspekte der Tätigkeit der sobat2. Die Arbeitsbedingungen und der hohe Workload wurden bereits während der Ausstellung vielfach kritisiert. Kurz vor Ende der d15 veröffentlichten die Sobat2 unter anderem deshalb selbstständig die Publikation “Ever been friendzoned by an institution?” (Efstathopoulos/Tabach 2022)

    In den letzten Jahren erschien eine beachtliche Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zu Memes, von denen nicht wenige sie als kollektivstiftendes Coping-Tool begriffen (vgl. Denisova 2019: 196;  Gal/Shifman/Kampf 2016: 1710). Die Kunstvermittler*innen, die für die d15 zusammenkamen, wurden qua Arbeitsvertrag zu Freund*innen – untereinander und mit den Besucher*innen – erklärt. ruangrupa hatten ja bei aller noch so betonten Freundlichkeit klargemacht, dass sich in ihrem Kontext das Organisieren im Kollektiv gegen hierarchisierende Strukturen richtet. Und sollten die Vermittler*innen tatsächlich an einem Punkt zum Kollektiv geworden sein, dann als Selbstorganisation und Subversion stattfanden.

    „There is yet another motivation behind meme making and distribution: the necessity to protect one’s peace of mind and actively confront the aggressive hegemonic discourse.”  (Denisova 2019: 196)

    Die Entstehung eines Kollektivs muss nicht zwangsläufig ein Prozess ex negativo sein, die Strukturen einer sehr hierarchisch geprägten Institution erwiesen sich im Kontext dieses Prozesses aber nicht gerade als förderlich. Memes vermögen es kaum, im Alleingang Kollektive zu formen. Forschungsergebnisse (etwa Denisova 2019: 159) und die konkreten Erfahrungen, die viele der sobat2 gemacht haben, weisen aber darauf hin, dass sie als Coping-Tool und kollektivstiftendes Moment daran mitwirken können. Im Angesicht eines immensen Workloads, unüberschaubarer Debatten und immer neuer struktureller Probleme boten Memes einen Weg der Verkleinerung und Verdichtung der Konfliktherde. Bild für Bild übersetzten sie die Gemengelage in überschaubare Momente, zu denen es möglich wurde, sich in Beziehung zu setzen. Gemeinsamkeiten wurden teilbar und Absurditäten entlarvt.

    Abb.3: Cem A./@freeze_magazine, Meme, 2022.

    WENN ALLE SUBVERSIV SIND, IST NIEMAND SUBVERSIV (...ODER DOCH?)

    Wenn über Memes geschrieben wird, wird in der Regel auch über Subversion, Macht, Vereinnahmung, Hegemonie und Hierarchie geschrieben (vgl. Denisova 2019; Arkenbout/Scherz 2022). Ein Großteil der Fachliteratur bespricht Meme-Kultur vor dem Hintergrund politischer oder sozialer Konflikte, gerne am Wahlkampf Trumps oder an medialer Zensur in Russland und China (vgl. Parker 2019; Denisova 2019).  Auch Denisova stellt die Funktion der Konfrontation gleichberechtigt neben die des Copings (vgl. Denisova 2019: 196). Abgesehen von einigen kritischen Memes, die im Kontext zunehmender Kritik verschiedener Abteilungen und Künstler*innen in ausgedruckter Form in der Ausstellung auftauchten (und genauso plötzlich wieder verschwanden), wurden Memes selten als Medium öffentlicher Kritik genutzt und zirkulierten lediglich in einem geschützten Raum. Nichtsdestotrotz waren Memes, denen der Fachliteratur zur Folge eigentlich Subversion inhärent ist, fester Teil der Ausstellung. Sie wurden als Harvest ausgestellt, waren Gegenstand öffentlicher Talks und interaktiver Teil einer der Gudskul-Installationen. Was heißt es aber für ein kritisches Medium, wenn es in einem institutionalisierten, historisch keineswegs unproblematischen Raum wie der documenta stattfindet? Macht und Ermächtigung, Selbst- und Fremdbestimmung gehörten zu den zentralen Themen des kuratorischen Konzepts und vieler Arbeiten. ruangrupa traten selbst als hegemoniekritisches Kollektiv auf, das etablierte Strukturen des vornehmlich westlich und kapitalistisch geprägten Kunstmarkts, in dem die documenta situiert ist, herausfordern und Alternativen vorschlagen wollte (vgl. ruangrupa 2022: 16f.). Hierzu gingen sie, so meine These, einen Handel ein: Als spannendes und kritisches Kollektiv, das, wie bereits beschrieben, mit der Ambition großer Veränderungen antritt, versprach ruangrupa eine documenta von großer Relevanz und Aktualität, weshalb man ihnen die umfassenden Ressourcen ebendieser anbot. 

    Abb.4: Jonathan Hohmann, Meme, 2023

    Dass oft lieber von Lumbung 1 als von documenta fifteen gesprochen wurde, war einerseits sicherlich humorvoll gemeint und sollte unterstreichen, dass die Ausstellung nachhaltig wirken soll, kann andererseits aber auch Ausdruck von Spannungen und Reibungen, die nicht ausbleiben, wenn zwei so gegensätzliche Ansätze aufeinandertreffen, gelesen werden. 

    Eine der vielen Folgen dessen war die anhaltende Verantwortungsdiffusion. Im Angesicht des Kreuzfeuers der Vorwürfe, die während der 100 Tage erhoben wurden, war selten klar, wer hier eigentlich wofür Verantwortung trug. Von allen Seiten wurde Kritik geübt, diese gezielt zu adressieren war aber selten möglich. Die Unklarheit erschwerte das gezielte und konstruktive Üben von Kritik massiv. Zweifelsohne wäre sie aber nötig gewesen und im Nachhinein bleiben die Konfliktlinien und ihre Überschneidungen unübersichtlich. Das ist ein großes Problem, denn was im Rahmen der Ausstellung geschah, hat bei aller Fortschrittlichkeit und gelebter Gastfreundschaft viele Menschen verletzt. 

    Die Geschäftsführung der documenta gGmbH und ruangrupa agierten häufig nicht als Einheit und wir Kunstvermittler*innen waren irgendwo dazwischen angesiedelt - vertraglich bei ersteren, konzeptionell eher bei letzteren. Das heißt auch: Auf der strukturellen Ebene waren wir Kunstvermittler*innen Angestellte der documenta gGmbH. Die Situation der sobat2 glich einer Geworfenheit zwischen den Fronten bei einem Wettstreit um Deutungshoheit.  ruangrupa, das artistic team und die Kollektive waren angetreten, um zu zeigen, „[w]ie man die Dinge anders macht“ (ruangrupa 2022: 16). Andere Produktions-, Finanzierungs- oder Beziehungsmodi sollten nicht einfach in eine etablierte Form gezwängt werden, sondern eine echte Alternative erproben. „Auf diese Weise widersetzen wir uns der Domestizierung oder Zähmung der verschiedenen Praktiken“ (ebd.: 17) schreiben ruangrupa, denen klar ist, dass es das ist, was Kunstinstitutionen wollen. Ob sich die Institution documenta die Idee lumbung zu eigen machen kann? Für ruangrupa war klar, dass lumbung nichts ist, das nur ausgestellt werden kann. Das ist aber das Ziel einer Aus-Stellung und die Institution hat sich gesträubt, lumbung auf sich selbst zu beziehen und Kompromisse gefordert. Dass es die sobat2 als Vermittler*innen gab, war so ein Kompromiss (vgl. Mandel 2023: 2).

    PARA ≠ PARA

    Sternfeld spricht vom Para-Museum als radikal-museologischer Konzeption, die “weder gegen das Museum ist noch völlig von ihm definiert” (Sternfeld 2023: 30). Diese, so hofft sie, könne Positionen, die zuvor verdrängt worden seien, einen Raum geben und im Sinne sozialer Kämpfe und Solidarität radikal-demokratisch agieren. Hier klingen einige Parallelen zum kuratorischen Konzept von ruangrupa für die documenta an, das – zwischen gesundem Größenwahn und ungesunder Selbstaufgabe pendelnd – immer ein großes versöhnliches Moment innehatte. Schon im Handbuch reflektieren ruangrupa, dass auch die 15. documenta ein “Mega-Event” (ruangrupa 2022: 40) werde und lumbung nicht mehr nur ihnen, sondern nun allen Beteiligten gehöre, man habe sie eingeladen und es mit ihnen geteilt. Die documenta sollte verändert und nicht abgeschafft werden. 

    Sternfelds Para-Museum ist, auf die d15 bezogen, nicht deckungsgleich mit der eigentlichen Ausstellung, konstituierte sich durch das Handeln der Künstler*innen, Angestellten und Besucher*innen aber immer wieder in ihrem Schatten: 

    “Und tatsächlich finden wohl zahlreiche Formen subversiver Entwendung nicht nur in künstlerischen Museen, sondern auch im vermittlerischen Bauch des Para-Museums statt [...]. Bestimmt wird in diesen Situationen und Zwischenräumen vieles gewagt, gesagt, genommen und genutzt, was nicht nur den Zwecken der gerade bestehenden Institutionsdefinition entspricht” (Sternfeld 2023: 31). Für die d15 könnte dies nonkrong sein, das gemeinsame Abhängen, als trojanisches Pferd, das diese Zwischenräume zum eigentlichen Mittelpunkt der Ausstellung macht! 

    Die Terrasse des Cafés im ruruhaus als konspirative Schaltstelle para-museal utopischer Bestrebungen, in der stets sobat2 und Mitglieder von ruangrupa oder des artistic teams anzutreffen waren, in dem sich ausgetauscht, diskutiert oder Kuchen gegessen wurde.

    Die Aufnahme von Memes als vollwertige künstlerische Praxis in diesen Kosmos ist demnach nur folgerichtig. Memes sind, wie Nowotny und Reidy sagen, ein demokratisches Medium und “paradigmatisch für die Tatsache, dass inzwischen jede*r zum Sender geworden ist” (Nowotny/Reidy 2022: 232). Gleichwohl, so die beiden, seien sie, als eher neues und ideologisch-flexibles Medium, prädestiniert für Aneignungsversuche (vgl. ebd.: 177). “Gesten des Widerstands und utopische Sehnsüchte nach dem ›ganz Anderen‹ werden entschärft, indem sie [...] platterdings zu einem Teil dieses Machtzusammenhangs beziehungsweise der durch ihn konstituierten ›Normalität‹ erklärt werden” (ebd.: 180). Unter Bezugnahme auf Mark Fishers Capitalist Realism beschreiben die beiden so, was drohe: Fisher spreche von precorporation, einer Kulturprodukten eingeschriebene Kondition der Vereinnehmbarkeit durch kapitalistische Strukturen (ebd.). Von dieser seien auch Memes nicht befreit. Vielleicht drückt sie sich ja im Zynismus aus, der aus so vielen von ihnen spricht. Dass Para im Türkischen Geld bedeutet, zeigt auch die Vereinnehmbarkeit dessen, was auf der d15 geschah,  denn –sorry für den Kalauer aber… – am Ende heißt Para eben auch Geld. 

    lumbung hätte konsequent gedacht, nachhaltige und materielle Veränderungen in den Strukturen der Institution bedeutet. Sichtbar sind diese bisher nicht. Jetzt heißt es wohl abwarten. In einigen Jahren wird die documenta-Forschung dann entscheiden, ob die d15 “the first exhibition of the 21st century” war, wie Charles Esche kurz vor ihrem Ende unter Beifall proklamierte, oder eine gute, aber leider nur ausgestellte Idee.

    Worauf die Kunsthistoriker*innen der Zukunft sich dann einigen, wird vielleicht davon beeinflusst werden, was es letztlich ins Archiv geschafft hat. Vereinnahmung findet ja schließlich nicht nur ideologisch, sondern auch handfest statt. Wobei die Archivar*innen ordentlich zu knabbern hatten an dieser Ausstellung, für die ja alles Kunst sein konnte. Auf einmal müssen Whats-App-Verläufe, Sprachnachrichten, aberhunderte E-Mails und ein Labyrinth aus Ordnern in Clouds archiviert werden. “Das Unarchivierbare archivieren” (Sternfeld 2023: 30) sagt Sternfeld. Dass das Unarchivierbare in ihm Platz finde, unterscheide das gute Museums- vom Polizeiarchiv (ebd.: 33). Wir müssen dankbar sein für diese Unterscheidung, denn ansonsten sind beide so sehr von Macht und Ordnung geprägt, dass man sie gerne mal verwechselt. Bei den Stellenweise immer kürzer werdenden Intervallen, in denen open letters, Flugblätter und ,Kontextualisierungen’ erschienen, glich die Ausstellung zwischenzeitlich ohnehin einem Informationskrieg. Was in diesem Rahmen geschrieben und gesagt wurde, wird wohl neben vielem anderen Einzug ins documenta-Archiv halten. Aanderes aber, viele Gespräche, Zwischentöne und eben Memes werden dort nicht landen. Ein Learning aus den 100 Tagen d15 ist, dass kollektive (Vermittlungs-)Arbeit Schutzräume braucht. Einen Meme-Channel zum Beispiel, der – wie oben beschrieben – einen Rahmen bietet, Erfahrungen, Sorgen oder in den Walks and Stories erlebte Absurditäten miteinander zu teilen 

    OKAY ABER WAS LÄSST SICH DARAUS ABLEITEN?!? (ALS KOLLEKTIV ZU ARBEITEN, HEISST ERSTMAL MEHR ZU ARBEITEN!)

    Zum Abschluss möchte ich zumindest probieren, noch eine Erkenntnis zu formulieren, die vielleicht irgendwann helfen kann, wenn Kollektive vermitteln.  Zu Beginn meiner Touren habe ich immer probiert, eine kleine Einordnung vorzunehmen, um die Blicke der Besucher*innen auch auf das zu lenken, was häufig übersehen wurde, in meinen Augen aber eigentlich die spannendste Frage der Ausstellung war: Wie könnte so eine Ausstellung, ja wie könnte Kulturarbeit allgemein auch organisiert sein? Sprich: Was könnten wir anders machen, wenn wir das Ganze neu denken? Dieses Wir meint alle, die im Kulturfeld tätig sind, soll aber auch darüber hinaus niemanden ausschließen. Das Ganze, von dem ich spreche, geht nämlich über die Welt von Kunst und Kultur hinaus. Denken wir Vermittlungsarbeit wie ruangrupa im lumbung’schen Sinne ganzheitlicher, erweitert sich zwangsläufig ihr Aufgabenspektrum, insbesondere um Beziehungsarbeit. Zwei Stunden zu sprechen und von Position zu Position zu spazieren ist das eine. In der selben Zeit allerdings Freund*innenschaften zu schließen und zu pflegen, erfordert viel Mühe, Einfühlungsvermögen und ist eigentlich auch eh nichts, das nach Schema F und einem von der Buchungsabteilung festgelegten Terminplan geschieht. Mark Fisher würde vielleicht von precorporated friendships sprechen. Gleichzeitig wurde an vielen Stellen aber auch deutlich, dass das kollektive Arbeiten und Vermitteln viel transformatives Potenzial geboten hätte. Nur erfordert es Arbeit, dieses nutzbar zu machen. Arbeit, die im Kontext der d15 zu häufig selbst organisiert und on top zur eigentlichen Arbeit geschah. Ich spreche von Care- und Beziehungsarbeit, die als essenzieller Teil der Vermittlungsarbeit verankert und eingeplant sein müsste. Nicht nur auf die Besucher*innen, sondern insbesondere auch das Kollegium bezogen. Das Teilen von Memes war ein winziger Teil davon. Wirtschaftlich ist das offensichtlich nicht und es ist mehr als deutlich geworden, wie so ein ganzheitliches Verständnis von Vermittlung, die nicht innerhalb von fest abgesteckten und durch Ticketverkäufe limitierten Grenzen stattfindet, mit institutionellen Strukturen kollidiert. Dass es die sobat2 überhaupt gab, war, wie zuletzt Mandels Studie betont hat, Ausdruck dieser Spannung. Kein Wunder also, dass sich diese durch den gesamten Verlauf Zeit der Anstellung zog. “Das Kurator*innen-Kollektiv ruangrupa hatte zunächst kein Vermittlungsteam vorgesehen [...]. Dass es darüber hinaus Vermittler*innen als externe Brückenbauer braucht, wurde von der Geschäftsführung der documenta gewünscht” (Mandel 2023: 2).

    tl;dr

    Nora Sternfeld erzählt in ihrem Text über das Para-Museum von Archivmaterialien der Proteste der Art Workers’ Coalition, die sich Ende der 1960er Jahre gegen das MoMA richteten und heute ebendort ausgestellt werden. Es müsste sich viel geändert haben, damit ich in 50 Jahren doch eines der sobat2-Memes im documenta-Archiv wiederentdecken und darüber lachen könnte. 


    Literatur

    Arkenbout, Chloë/Scherz, Laurence (2022): Critical Meme Reader II: Mematic Tacticality. In: INC Reader 16/2022.  https://networkcultures.org/blog/publication/critical-meme-reader-ii-memetic-tacticality/ [12.07.2023]

    Baumstieger, Moritz (2022): Wir machen Sie nun mit unseren Sicherheitsvorkehrungen vertraut. SZ-Online. https://www.sueddeutsche.de/kultur/documenta-guides-antisemitismus-1.5621517?reduced=true [13.06.2023].

    Denisova, Anastasia (2019): Internet Memes And Society. New York, Routledge.

    Gal, Noam/Shifman, Limor/Kampf, Zohar (2016): „It Gets Better”: Internet memes and the construction of collective identity. In: new media & society 18/2016.

    Kolb, Gila/Schmidt, Helena (2021): The Art Of Art-Memes. In: Moormann, Peter/Zahn, Manuel/Bettinger, Patrick/Kaspar, Kai/Hofhues, Sandra/Keden, Helmke Jan (Hg.), Mikroformate. Interdisziplinäre Perspektiven auf aktuelle Phänomene in digitalen Medienkulturen. Kunst Medien Bildung 8/2021.

    Mandel, Birgit (2023): Vermittlung auf der documenta fifteen – Reflexion über Erwartungen und Wirkungen von Kunstvermittlung auf der Basis einer Besucher*innen-Befragung. https://www.kubi-online.de/artikel/vermittlung-documenta-fifteen-reflexion-ueber-erwartungen-wirkungen-kunstvermittlung-basis [19.03.2023].

    Nowotny, Joanna/Reidy, Julian (2022): Memes – Formen und Folgen eines Internetphänomens. Bielefeld, Transcript.

    Parker, Ian (2019): Memesis and Psychoanalysis. Mediatizing Donald Trump. In: Brown, Alfie/Bristow, Dan, Post Memes – Seizing the memes of production. Santa Barbara, Punctum Books. 

    Stadt Kassel (o.A.): Geschichte der Documenta. https://www.kassel.de/buerger/kunst_und_kultur/documenta-geschichte.php [04.07.2023].

    Sternfeld, Nora (2023): Das Para-Museum und die Gespenster der Infrastruktur. In: Griesser-Stermscheg, Martina/Haupt-Stummer, Christine/Höllwart, Renate/Jaschke, Beatrice/Sommer, Monika/Sternfeld, Nora/Ziaja, Luisa (Hg.), Widersprüche. Kuratorisch Handeln zwischen Theorie und Praxis (= Bd. 6; curating, ausstellungstheorie & praxis). Wien, De Gruyter, S. 20-34

    Die Ergebnisse aus Abb. 2: 

    Kategorien

    Memes nach Gegenstand (N=538)

       

    Memes zum (Arbeits)-Alltag & zu Interaktionen mit Gästen

    50

    Memes zu Lumbung & dem allgemeinen Konzept der d15

    22

    Memes zum Arbeitsklima

    34

    Memes zu Arbeitsbedingungen der d15: Allgemein

    17

    Memes zu Arbeitsbedingungen der d15: Organisation

    52

    Memes zu Arbeitsbedingungen der d15: Stress/Workload

    73

    Memes zu Arbeitsbedingungen im Kulturbereich allgemein

    5

    Memes zu Selbstorganisation / Subversion

    33

    Memes zu den (öffentlichen) politischen Debatten

    26

    Memes zur Institution Documenta

    10

    Memes mit Werkbezug oder Werken als Material

    51


    Kurzbiografien der Autor_innen: