Schlagwörter: Forschen, Genese, Kunstpädagogik, Kunstpädagogische Forschung, Lernen, Professionalisierter Blick
GK: Du hast (zusammen mit Maria Peters) das Buch Der professionalisierte Blick herausgegeben und (zusammen mit Anna Schürch & Michèle Novak) das gleichnamige Symposium Der professionalisierte Blick ausgerichtet. In welchem Verhältnis stehen Buch und Tagung?
RK: Das Buch bildete den Ausgangspunkt für die Tagungskonstruktion. Es setzt bei der Frage an, wie Studierende sich forschend ihrem Beruf nähern. Anders als aktuelle kunstpädagogische Publikationen – ich denke an Andrea Sabischs Bildwerdung Sabisch, Andrea (2017): Bildwerdung. Reflexionen zur pathischen und performativen Dimension der Bilderfahrung. München, kopaed. Indirekt setzt Andrea Sabisch jene Tradition fort, die in Baumgartens Aesthetica (1750/1758) ihren Anfang nimmt und in der Nachfolge Merleau-Pontys eine enge Verbindung zwischen phänomenologischen und künstlerischen Ansätzen denkt. Empirische Zugangsweisen mit phänomenologischem Denken verbindend erprobt sie ein Forschungssetting, das philosophische Erkenntnis (Waldenfels) und ein visuell-materielles Geschehen in Relation bringt. –, die einen Beitrag zur Grundlagenforschung und Theoriebildung leisten, gilt unser Interesse einer im Studium zu entwickelnden forschenden Haltung. Die Idee zu einer länderübergreifenden Sicht auf Praxisforschung ist am Bundeskongress BuKo15 Blinde Flecken in Salzburg entstanden, wo Maria Peters und ich zusammen mit Studierenden aus Bremen und Bern gezeigt haben, wie eine forschende Begegnung mit dem Schulfeld Erfahrungen und Erkenntnisse ermöglicht, welche die Einstellung zum Lehrberuf nachhaltig formen. Das bedeutet: Nicht mehr die eigenen Forschungsprojekte der Lehrenden stehen im Fokus, sondern ein emanzipatorisches Anliegen – die Frage, wie es gelingen kann, in Prozessen reflexiver Praxis Theoriebezüge zu finden und diese hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit für die Praxis in der Praxis zu überprüfen und weiter zu entwickeln (vgl. Kunz/Peters 2019: 6). Forschendes Studieren, so die Annahme, könnte im Einklang mit Ansätzen aus der Grundlagenforschung eine mögliche Strategie sein, die angehenden Lehrpersonen früh in den Prozess fachlicher (Neu)Begründung einzubinden.
Nicht zu vernachlässigen ist dabei, wie heterogen und kontrovers Forschung in der Kunstpädagogik verhandelt wird – in den grossangelegten Projekten der Institutionen genauso wie in den Modellen eines forschenden Studierens. Die dem Buch vorangehende Umfrage (vgl. Peters 2019: 153ff) hat eindrücklich gezeigt, wie sehr die vorhandenen Ansätze geprägt sind von unterschiedlichen „Wissenschaftsverständnissen, von Selbstverständnissen, von Erziehungs- und Bildungsverständnissen, von Bild-, Kunst- und Methodenverständnissen.“ (Meyer 2009: 16) Im Facettenreichtum der Antworten klar zu unterscheiden ist eine am Fachgegenstand Kunst und Bild ausgerichtete Idee einer Artistic Research (vgl. Badura et al. 2015) und eine an Lehr- und Lernprozessen orientierte, zumeist qualitativ-empirisch akzentuierte Forschung.
Nun wäre es aber schlicht anmassend, wollte man in einem Buch beides gleichzeitig thematisieren: fachliche/fachwissenschaftliche Forschung und Praxisforschung. Gerade weil eine forschende Haltung auch für die Weiterentwicklung der künstlerisch-gestalterischen Studienanteile unabdingbar ist, meine ich, braucht es ein zweites Buch: eines, das die Diskussion um ästhetische Praxen erhellt. Denn auf die Frage, welcher Zugewinn sich aus einer Künstlerischen Forschung ergäbe, die sich auch als epistemische Praxis versteht, gibt das vorliegende Buch keine Antwort. Am künstlerischen Portfolio einer Studentin (siehe Beitrag Helena Schmidt, S. 82–99) wird exemplarisch gezeigt, welche Ansätze zu einer ins Lehramtsstudium integrierten Künstlerischen Forschung sich zur Zeit an Kunsthochschulen finden. Es beleuchtet in den Anfangskapiteln zwar das sich wandelnde Verhältnis von Kunst und Wissenschaft und zeigt – ausgehend von den im Begriff KunstPädagogik mitschwingenden Bezugsfeldern: der Kunst und der Pädagogik –, aus welchen Denktraditionen sich ein Forschungsanspruch herleiten lässt; die im Teil Positionen verankerten Darstellungen gehen aber nicht über die Kontextualisierung bekannter Konzepte hinaus.
Fokussiert auf ein der Berufswirklichkeit zugewandtes forschendes Studieren bespielt Der professionalisierte Blick jene von Helga Kämpf-Jansen beschriebene Leerstelle: das Problem der „nicht gegebene[n] Anschlussfähigkeit kunstpädagogischer Theorien und Konzepte an die kunstpädagogische Praxis“ (Kämpf-Jansen 2009: 88), beziehungsweise das an anderer Stelle kritisierte ,missing-link der Kunstpädagogik’. Hellsichtig formuliert sie im Buch von Torsten Meyer/Andrea Sabisch (2009): „Forschungen in diesem Bereich bedürfen besonderer Instrumentaria, da die oft eklatanten Fehleinschätzungen der einzelnen Kunstpädagogen und Kunstpädagoginnen hinterfragt werden müssen. Viele sind offensichtlich nicht in der Lage, zu erkennen, dass das, was sie pädagogisch tun, mit dem, was sie zu tun vorgeben – mit Zielvorstellungen, Begründungen, Positionen und Konzepten, die sie argumentativ bemühen –, nichts zu tun hat. Nur wenn es gelänge, die Differenzen und Diskrepanzen aufzudecken, erfahrbar zu machen und abzubauen hätten aktuelle Konzepte komplexen ästhetischen Lernens eine grössere Chance der Realisation.“ (Kämpf-Jansen 2009: 88) (Herv.i.O.)
Wir stellen in unserem Buch – und das scheint mir für dessen Einordnung wichtig – nicht Forschung in der Kunstpädagogik zur Diskussion, sondern Elemente kunstpädagogischer Lehre im Format der Forschung Dieser Begriff ist adaptiert nach Joachim Ludwig (2011) „Forschungsbasierte Lehre als Lehre im Format der Forschung".. Bezogen auf die Schweiz heisst das: Wir richten unseren Blick auf forschende Zugangsweisen im fachdidaktischen und berufspraktischen Studium und fragen, wie Handlungs- und Erfahrungsräume sich gestalten lassen, in denen Studierende disparate und oft paradoxe Wahrnehmungen in einem Geflecht von Bezügen zu beforschen lernen. Denn Produktions- und Rezeptionsprozesse sind nicht nur eng mit Subjektbildungsprozessen verbunden – Handlung und Artikulation stehen immer auch in einem responsiven Verhältnis zu dem, was von aussen kommt: dem Arrangement, den Inhalten, Medien und Materialien. Dabei spielt nicht nur die kontextuelle Relation eine wesentliche Rolle, sondern auch die Atmosphäre und die Interaktion mit der Lehrperson und den Peers – nicht zuletzt deren soziale Prägung. Dieser mithin vernachlässigten Situation gilt unsere Aufmerksamkeit, wenn wir von Praxisforschung sprechen. Die im Buch einsehbaren Beispiele beruhen nicht auf good-practice Kriterien, vielmehr widerspiegeln sie den Entwicklungsstand zu Beginn unserer Arbeit (2016): So fehlen in der Publikation beispielsweise die Pädagogischen Hochschulen aus der Ostschweiz (Thurgau, St. Gallen, Schaffhausen), dem Kanton Graubünden oder der Innerschweiz. Was als Auswahl gelesen werden könnte, beruht auf entsprechenden Rückmeldungen unserer Kolleg*innen (siehe oben genannte Online-Studie). Das gilt auch für die Dozierenden an den Kunsthochschulen (Basel, Luzern), die zur Zeit der Erhebung nicht in dem von uns fokussierten Gebiet der Praxisforschung tätig waren.
Das Symposium Der Anstoss zum Symposium kam von Anja Morawietz, die für das Curriculum des Jointmasters Fachdidaktik Künste an der PH Zürich/der ZHdK mitverantwortlich ist – hierfür sei ihr herzlich gedankt. steht in enger Verbindung zu den derzeitigen Bestrebungen der Swissuniversities, die Fachdidaktiken als wissenschaftliche Disziplinen zu stärken. Dazu gehört die Einrichtung des Masters Fachdidaktik Künste und des Masters Fachdidaktik Textiles und Technisches Gestalten ebenso die Schaffung von Doktoratsprogrammen, die durch die Kooperation mit Kunstpädagogik-Lehrstühlen in Deutschland und Österreich, über die traditionell bildungswissenschaftlich oder kunstwissenschaftlich orientierten Promotionen hinaus, Möglichkeiten für ein Doktorat in Kunstpädagogik eröffnen. Angesiedelt zwischen Kunst und Design, den Bildungswissenschaften und dem Wissen, das aus der Praxis kommt, stehen Fachdidaktiken wesensmässig im Spannungsfeld unterschiedlicher Ansprüche. Sie sind geheissen, eine diesen disparaten Anforderungen entsprechende Forschung zu entwickeln, die dazu beiträgt, „dass die Student*innen ihr Fach als befragenswert, als denkwürdig, als interessant und komplex erfahren.“ (Novak/Schürch 2019: 497)
Wir alle – Anna Schürch, Michèle Novak und ich, die das Symposium inhaltlich verantworteten – sind überzeugt, dass es ein Metawissen über das Feld braucht, das uns nicht nur unser Fach, sondern auch die mit der Fachdidaktik verbundene Aufgabe selbstbewusst(er) denken lässt. Darum stellt das Symposium für die Dissemination der Publikation und für den Dialog mit der Fachcommunity einen Gewinn dar. Die unterschiedlichen performativen Ansätze – traditionelle und verwegenere – ermöglichten uns, die Buchbeiträge zu verlebendigen und einem grösseren Publikum zugänglich zu machen: Während wir mit Vorträgen die theoretische Verankerung des Forschungsanspruchs unter dem hochschuldidaktischen Prinzip des Forschenden Lernens zu zeigen versuchten, wollten wir mit Praxisbeispielen aus allen drei deutschsprachigen Ländern die Akteur*innen aus dem fachdidaktischen Feld ermuntern, eigene Experimente zu wagen. Als ein Schattentheater der besonderen Art – mit Musik, mit Bild- und Textquellen, Gegenständen und Artefakten – sollte die performance lecture von Christine Heil/Anna Schürch die kunstpädagogische Fachgeschichte und eine sich stetig verändernde Forschungslandschaft vorführen. Sie war auch gedacht als Geste der Weitergabe an die jüngere Generation.
A propos Generationen und Weitergabe – wie forscht es sich zur Zeit (in der deutschsprachigen Schweiz) in der Kunstpädagogik?
Entscheidend für eine forschende Tätigkeit ist, ob und wie es einzelnen Personen oder Teams gelingt, ihre Ideen innerhalb eines institutionell definierten Forschungsschwerpunktes anzusiedeln. Anders als in Deutschland, wo jede Professur mit einem Forschungsdeputat ausgestattet ist, über dessen Ausrichtung die Lehrstuhlinhaber*innen mehr oder weniger frei verfügen, waren die Schweizer Fachhochschulen, das heisst die Kunsthochschulen und die Pädagogischen Hochschulen, dazu angehalten, ihre Forschung an der Jahrtausendwende praktisch aus dem Nichts heraus zu entwickeln (vgl. Kunz/Salzmann 2019). Zu dieser kräftezehrenden Aufbauphase gehörte die Konstituierung sogenannter Forschungsschwerpunkte: Während anfänglich in losen Verbünden gearbeitet wurde (z.B. im Schwerpunkt Ästhetische Bildung an der PH Zürich), galt es nach und nach erste sichtbar werdende Ansätze zu konsolidieren und in Absprache zwischen den Hochschulen erkennbare Profile auszuarbeiten. Mit anderen Worten: eine Balance zu finden zwischen Kooperation und Konkurrenz. Ihrer jeweiligen Grösse, ihrem Kapital und ihrer Ausrichtung entsprechend bauten die Hochschulen Forschungsgruppen (PHZH: BildMedienBildung) oder Forschungsschwerpunkte (HKB Intermedialität), ja gar Institute (IAE der ZHdK) auf. Als im Rahmen der Organisationsentwicklung immer wieder überprüfte Formate sind diese Schwerpunkte, Institute oder Zentren Teil der Historie jeder einzelnen Hochschule. Die Kunstpädagogik ist heute in keinem Zentrum der PHZH mehr vertreten und auch mit keiner Professur ausgestattet; siehe: https://phzh.ch/de/Forschung/forschungszentren/ [28.09.2019] und https://phzh.ch/de/Forschung/professorinnen-und-professoren/ [15.10.19]. Ebenso wurde das Institut for Art Education an der ZHdK im Februar 2019 aufgelöst. Derzeit wird ein neues Modell der Forschung in den Bereichen Art Education und Transfer Forschung-Lehre entwickelt. Anders dagegen verlaufen die Entwicklungen in Bern: Seit 2019 gibt es an der HKB neu ein „Institut Praktiken und Theorien der Künste“.
Während sich die Pädagogischen Hochschulen auf ihr Kerngeschäft besannen und Fragen von Sozialisation und Lernen in den Mittelpunkt stellten – an der PHBern finden sich beispielsweise Schwerpunkte wie Migration, Mobilität und globales Lernen oder Soziale Interaktion in pädagogischen Settings – entwickelten die Kunsthochschulen erste eigene Forschungsansätze, die – mit Ausnahme des Instituts for Art Education (ZHdK) – sich wenig auf kunstpädagogische Fragen konzentrierten.
Diese Festschreibungen von Profilen und nicht zuletzt die Aufteilung zwischen künstlerischem Studium (an den Kunsthochschulen) und erziehungswissenschaftlich-berufspraktischer Ausbildung (an den Pädagogischen Hochschulen), die das gymnasiale Lehramt für Bildnerisches Gestalten in Bern und Basel kennzeichnen, führen dazu, dass kunstpädagogische Forschung nirgends so richtig beheimatet ist – zwischen unterschiedlichen Projekttypen wie Kompetenzorientierter Fachunterricht (PHBern) oder Ästhetische Praktiken nach Bologna (HKB, ETH, ZHdK) oszilliert. So sind forschungsinteressierte Kunstpädagog*innen je nach Institutionszugehörigkeit anderen Parametern unterworfen.
Derzeit konzentriert sich Forschung im Bereich Art Education an einigen Kunsthochschulen auf Fragen der Kunstvermittlung, denn diese lässt sich im Dreieck von Kunst, Kunstwissenschaft und Künstlerischer Forschung Die Dreiecksformulierung geht auf einen Vortrag von Beate Florenz Kunstvermittlung zwischen Stühlen vom 04.04.2017 auf der Tagung Hallo Vermittlung!?, veranstaltet von der Körber-Stiftung in Hamburg, zurück. Online unter https://www.youtube.com/watch?v=J-g6GwqEhPc [15.10.19]. verorten und kann durch entsprechendes Personal (in erster Linie Kunstwissenschaftler*innen) gesichert werden. Die Frage aber, wie sich visuell-materielles Denken von Kindern und Jugendlichen in Prozessen und Artefakten manifestiert, wird als genuin anthropologische Frage vornehmlich an den Pädagogischen Hochschulen bearbeitet. Eine vielversprechende Öffnung auf die Frage, wie sich Lehren und Lernen in den Künsten vollzieht, stellen die an der FHNW/HGK im Entstehen begriffenen Learning Labs dar. Online unter https://llad.ch/#/ [15.10.19]. Da Forschung an den Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen nach einer Phase der Anschubfinanzierung Siehe DORE: DO Research, Förderungsinstrument für praxisorientierte Forschung an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen, Laufzeit 2004-2011. institutionsintern nur marginal unterstützt werden kann und Institute oder Departemente verpflichtet sind, ausreichend Drittmittel einzuwerben, beschränkt sich die Teilhabe an Forschung heute auf einen relativ überschaubaren Kreis von Personen: promovierte/habilitierte Kunst- und Kulturwissenschaftler*innen, Medienwissenschaftler*innen, Soziolog*innen, Bildungswissenschaftler*innen, Künstler*innen – und vereinzelt Kunstpädagog*innen.
Wer sollte, deiner Meinung nach, forschen?
Spontan: all diejenigen, die jenes Mass an Lust und Neugier und jene metakognitiven Kompetenzen – das „Aushalten von Relativität, Ungewissheit und Ambiguität“ (Huber 2014: 33) – mitbringen, die ein Forschungsprozess fordert.
Etwas reflektierter und weniger idealistisch formuliert: diejenigen, die es schaffen, bestehende Hürden zu überwinden und sich in einem kompetitiven Feld zu behaupten. Denn wiewohl es ein uneingeschränktes right to research (Appadurai 2006) gibt, eine enthusiastisch-forschende Haltung reicht unter den gegenwärtigen Bedingungen im wissenschaftlichen Feld nicht aus, um ein Forschungsprojekt zu lancieren und durchzuführen. Die Frage ist also weniger, wer forschen soll, sondern wer forschen kann und darf beziehungsweise dazu ermächtigt wird. Denn im Kontext des heutigen Wissenskapitalismus – der Ökonomisierung des Wissens – darf man nicht ausblenden, dass auch Forschung als Teil eines Wissensdispositivs fungiert und dementsprechend ihre Strategien „in Relation zu den gültigen Normen und Konventionen“ (Bippus 2015: 67) entwickelt.
Soll ein Projektantrag reüssieren, müssen Forschungsfrage/ -methodik sorgfältig auf die aktuellen Ausrichtungen der betreffenden Förderstellen abgestimmt werden. Es bedarf einer entsprechenden wissenschaftlichen Reputation (SNF/ DFG Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Deutsche Forschungsgemeinschaft.) oder einer Sichtbarkeit im kulturellen Feld (Stiftungen). Das erschwert vielen Interessierten den Zugang zur Forschung.
Eine relativ unabhängige kunstpädagogische Forschung ist in der Schweiz gegenwärtig nur im Rahmen von (zumeist nicht finanzierten) Qualifikationsarbeiten (Master Fachdidaktik/ Promotion) möglich. Etwas pointiert formuliert: Kunstpädagogische Forschung wird in der Schweiz vorwiegend durch die junge Generation geleistet, die jenen dringend gewordenen Anspruch einer wissenschaftlichen Qualifikation einlösen muss, will sie sich in der veränderten Hochschullandschaft situieren.
Gibt es ‚typische’ Projekte für die deutschschweizer Forschungslandschaft?
Typisch für die deutschschweizer Forschungslandschaft ist ihre Vielgestaltigkeit. In ihrer Disparatheit unterscheidet sie sich kaum von der deutschen. Differenzen sind viel eher in Bezug auf die Herausbildung und Modellierung dieser Forschungslandschaft auszumachen. Verwerfungen und Brüche in der Geschichte des Fachs – um bei der tektonisch-metaphorischen Sprache zu bleiben – haben in der Schweiz andere Formationen geschaffen als in Deutschland. In der Schweiz wird tendenziell eine nutzungsinspirierte Grundlagenforschung angestrebt, die ihre Fragen aus aktuellen kunstpädagogischen Problemstellungen bezieht. Das gilt sowohl für die Forschungsarbeit der Dozierenden, der Nachwuchswissenschaftler*innen als auch der Studierenden, denn einphasig konzipiert und mit der Lehrbefähigung abschliessend, ist die schweizerische Lehrer*innenbildung stark an der Leitidee der Beruflichkeit orientiert (siehe Buchbeiträge).
Während Kunstpädagogik in den 1970er Jahren in Deutschland zu einer wissenschaftlichen Disziplin geworden ist, kennt die schweizerische Bildungssystematik keine vergleichbare disziplinäre Profilierung. Die schweizerischen Studiengänge orientieren sich an den Bezugsdisziplinen: der Kunst, der Kunstwissenschaft und den Bildungswissenschaften. Kunstpädagogik ist nach wie vor ein Hybrid, denn die theoretischen Studienanteile sind fundiert in der Kooperation mit Universitäten (Kunstwissenschaft) und Pädagogischen Hochschulen (Bildungswissenschaft) und deren Wissenschaftsverständnis (das gilt v. a. für die gymnasialen Studiengänge in Bern und Basel). Eine eigentliche kunstpädagogische Theoriebildung, wie sie – personenbezogenen und sehr kontrovers – in Deutschland diskutiert wird, fehlt in der Schweiz. Darum ist Kunstpädagogik hierzulande nach wie vor eine vagabundierende Wissenschaft. Soll sie sich als eigenständige Disziplin behaupten, stellt sich die Frage nach integrativen Studien- und Forschungsmodellen – nicht zuletzt: nach der Einrichtung von Professuren. Von einer genuinen kunstpädagogischen Forschung lässt sich darum in der Schweiz kaum sprechen – Forschung ist nach wie vor stark personenbezogen und von partikulären Interessen geleitet.
Im Kapitel Zwischen Suchen und Fragen stellst du die Ansätze von Selle und Kämpf-Jansen und ihre Entwicklung in Deutschland dar. Wie würdest du umgekehrt Leser*innen, die den Diskurs in Deutschland kennen, Ansätze aus der (Deutsch)Schweiz vorstellen?
Aus deutscher Perspektive werden die Ansätze von Selle und von Kämpf-Jansen sehr oft als Auftakt zu einer kunstpädagogischen Forschung beziehungsweise zu einem Forschenden Studieren betrachtet.
Lass mich also etwas ausholen, denn um darüber zu sprechen, wo zwischen Suchen und Fragen die in der Schweiz entwickelten Praxen anzusiedeln wären, braucht es ein Quellenstudium: Ich greife dazu exemplarisch auf Materialien und Konzepte aus der Zürcher Zeichenlehrerausbildung zurück. Darin zeigt sich eine Haltung des Suchens, die nicht nur die künstlerisch-gestalterischen Studienanteile, sondern auch die pädagogischen bestimmt (vgl. Geyer 1978). Wie nahe damalige Lehrkonzepte bereits an heutigen Projekten waren, mag ein Auszug aus der Publikation von 1978 Siehe dazu: Die Zeichenlehrer- und die Werklehrer-Ausbildung. Auftrag Bilden und Gestalten für Mensch und Umwelt. Wegleitung zur Jubiläumsveranstaltung und Ausstellung, Schule für Gestaltung 1978, Abteilung Gestalterische Lehrberufe, Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich. zeigen: Der Hochschulstandort selbst – eine in der Agglomeration gelegene Industriezone zwischen Schrebergärten und Autobahn – schafft eine Aufmerksamkeit für die Entwicklung urbaner Räume und fordert auf, eigene Methoden des Erkundens und Befragens zu entwickeln. Rudolf Frauenfelder, der damalige Leiter des Studiengangs, skizziert in seinem Beitrag mögliche künstlerische Herangehensweisen: zum einem als Recherche akzentuiert, nämlich „vom Studium der geografischen und geologischen Karten [auszugehen]“ oder historische Praxis aufzugreifen (Petrarca) und „Übersicht von den Anhöhen zu [gewinnen]“. (Frauenfelder 1978, S. 10-11) Im Analysieren räumlicher Ebenen und landschaftlicher Gliederungen – der Vegetation, der Wasserläufe, der Strassen und Bahnen, der Wohnsiedlungen und Fabriken –, aber auch der Farben, Geräusche und Bewegungen, werden fortgesetzt visuelle und auditive Momente der Wahrnehmung unterschieden. Es entsteht eine Wachheit für die ganz andere Struktur des Sehens und des Hörens: Der schweifende Blick, der Überschau und Beherrschung verspricht, tritt in Kontrast zum Hören, das, ereignishaft strukturiert, auf die Allseitigkeit des Räumlichen verweist. So „kann die Entstehung des Tales und seine schubweise Veränderung durch Besiedlung und Industrialisierung verstanden werden. Durch vorerst absichtsloses Herumgehen, Skizzieren, Zeichnen und Malen [werden] die verschiedenen Einzelräume innerhalb des grossen Raumes erfahrbar; man kann sich dem fast unerträglichen Lärm aussetzen, das sich verändernde Tageslicht verfolgen, so dass sich schliesslich als eine Summe vieler Eindrücke, das Bewusstsein für den grossen Landschaftsraum bildet.“ (ebd.)
In den kurzen Textauszügen vermittelt sich ein „Konzept, das, sowohl bezogen auf die künstlerische Praxis im Studium als auch bezogen auf die künftige Lehrpraxis, von Bildarbeit und Bildforschung spricht Siehe dazu: Konzept Seminar für Zeichenlehrer (SZL) 1987, Höhere Schule für Gestaltung Zürich, Abteilung Gestalterische Lehrberufe. Zürich, S. 10. und jede epigonenhafte Haltung zu vermeiden versucht. „Das setzt eine bestimmte Lehrmethode voraus, die sowohl der Geschichtlichkeit des Bildes (was kann das Bild als visuelle Sprache?) als auch der Individualität des Bildes (was kann das Bild als Ausdruck eines einzelnen?) gerecht wird. [...] So gesehen ist Bildarbeit eine forschende und somit immer wieder aus- und eingrenzende Tätigkeit, die sich auf die Möglichkeiten des Visuellen bezieht. [...] Insofern verweist das Wort ‚Bildarbeit' auf das Transitorische, [...] auf die Infragestellung und ständige Neuüberprüfung des Bildbegriffes, der Bildform, der Bildmittel, der Bildmethoden, der Bildinhalte. Damit verbunden ist auch die ständige Überprüfung der Lehrform, der Lehrmittel, der Lehrmethoden und der Lehrinhalte.“ (Kneubühler 1984: 140)
Dass man an den vorliegenden Materialien diskursanalytisch oder hermeneutisch sehr wohl Nähe und Differenz zwischen den Konzepten von Selle und Kämpf-Jansen und den in Zürich praktizierten Ansätzen herausarbeiten könnte, macht das oben erwähnte Beispiel deutlich: Die Herangehensweisen der Lehrenden und Lernenden (in Zürich Ende 1970er Jahre) rufen geradezu nach einer Gegenüberstellung mit der Arbeit Selles in der Merseburger Landschaft (Selle 1998). In beiden hat – aus theoretischer Perspektive betrachtet – der Wahrnehmungsdiskurs seine Spuren hinterlassen. Vermittelt in den unterschiedlichen Lehrpositionen von Rudolf Frauenfelder und Theo Kneubühler, ist sowohl die Suche als auch das Gerichtete des Forschens und Fragens gegenwärtig. Anders aber als in den Texten Selles oder Kämpf-Jansens wird in den Zürcher Quellenmaterialien weniger die Subjektorientiertheit betont als vielmehr die Frage der Interessensbildung – als etwas, das zwischen mir und den Dingen und Räumen entsteht.
Mit Ausnahme der von Anna Schürch geleisteten Aufarbeitung: Die Ausbildung der ZeichenlehrerInnen. Eine institutions- und diskursgeschichtliche Studie zur Kunstpädagogik in der Schweiz im 20. Jahrhundert (Dissertation in Vorbereitung zum Druck) sind aber diese Materialien (bisher leider) kaum erschlossen. Wären sie im Bewusstsein verankert, dann würden Verbindungen zu aktuellen Forschungsprojekten wie Grenzgang (Lurk/Schwander/Florenz/Brefin 2018) sichtbar.
Unser Bildungssystem hat durch die enge Verbindung von Hochschule und Schulfeld eine praxeologische Form des Lehrens und Lernens hervorgebracht, die keine explizite Publikationstätigkeit/-ver-pflichtung vorsah. Für Lehrende, die zugleich künstlerisch tätig waren, spielte das Zeigen eine wesentliche Rolle. Ausstellungen, Kataloge und Archivmaterial belegen, wie sich die Studiengänge für das Höhere Lehramt in Bern, Basel, Luzern und Zürich den veränderten Anforderungen des Berufs anpassten (vgl. Widmer 1984). Ohne den Status der Professur und ohne die damit verbundenen finanziellen Alimentationen haben Kunstpädagog*innen an den Schweizer Hochschulen in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur eine Lehre hervorgebracht, die sich fachlich und fachwissenschaftlich im internationalen Diskurs behaupten kann, sie haben in berufsbegleitenden autodidaktischen Studien auch Forschungsansätze entwickelt, die sehr wohl den Bologna-Anforderungen entsprechen. Siehe dazu: Schweizerischer Wissenschafts- und Technologierat: Forschung an Fachhochschulen in der Schweiz, Schrift 2/2010 [online]: http://www.swir.ch/images/stories/archiv/swtr_forschung-an-fachhochschulen_de_2010.pdf [15.10.19]. Dennoch erweist sich die betont künstlerische, nicht-universitäre Qualifizierung jener Kunsthochschulabgänger*innen, die über Jahrzehnte die Lehrer*innenbildung formten, als unzureichend. Für die neue Anstellungspraxis im tertiären Bildungssektor stellen die altrechtlichen Abschlüsse ein juristisches Problem dar: den meisten Absolvent*innen fehlt die erforderliche Promotion. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass mit der Schaffung der Fachhochschulen und der Pädagogischen Hochschulen ein Kompetenzprofil für Hochschullehrende entstanden ist, ohne dass zunächst entsprechende Qualifikationsmöglichkeiten für die spezifischen Profile „an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis“ swissuniversities (2016) im Zusammenhang mit dem sogenannten doppelten Kompetenzprofil beim FH- und PH-Nachwuchs: https://www.swissuniversities.ch/de/organisation/projekte-und-programme/p-11/ [15.10.19] vorhanden waren. Absolvent*innen, die mit Blick auf eine spätere Tätigkeit im Bereich der Lehrer*innenbildung promovieren wollen, müssen sich vorläufig entweder an einer ausländischen Institution oder in einer der Kunstpädagogik nahestehenden Bezugsdisziplin an einer schweizerischen Universität einschreiben, denn nach wie vor verfügen die Schweizer Fachhochschulen und die Pädagogischen Hochschulen über kein Promotionsrecht (vgl. Kunz/Salzmann 2019).
Welche Potenziale siehst du in den Forschungen der Kunsthochschulen/der Pädagogischen Hochschulen?
Zu den Kunsthochschulen: Das Potenzial der Forschung an den Kunsthochschulen sehe ich in einer derzeit an Kontur gewinnenden Künstlerischen Forschung. Welche Verschiebungen und Verlagerungen dadurch zustande kämen, lässt sich aber nur schwer prognostizieren. In ihrem 2009 erschienen Text Wissenskünste imaginiert Kathrin Busch eine Form Künstlerischer Forschung, „welche die Gestalt einer intensiven und umfänglich forschenden Tätigkeit annehmen [könnte]“, so dass die „Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Kenntnissen nicht mehr nur, wie es bislang schien, als wissenschaftliche Vorarbeit fungiert“ (Busch 2009: 143), sondern eine neue Kategorie: eine Forschungskunst hervorbrächte. Indem Artistic Research disziplinüberschreitend nach neuen Themen und Inhalten sucht und beispielsweise Methoden der visuellen Anthropologie nutzt und weiterentwickelt, um gesellschaftliche Verhältnisse zu beleuchten oder Fragen nach globalen Verflechtungen zu stellen, verschiebt sie die Aufmerksamkeit vom Ästhetischen zum Epistemischen. Mit dem Einbezug wissenschaftlicher Methoden unterscheidet sich Künstlerische Forschung von einer Ästhetischen Forschung, wie sie Dieter Mersch versteht: „Der Ausdruck einer ‚Forschung’ oder ‚Arbeit’ im Ästhetischen [hält] eine vorsichtige Reserve zu ‚Kunst’ und ‚künstlerischer Forschung’, weil ihr Grund zunächst im Sinnlichen, in Wahrnehmungen liegt [...]. Beide [gemeint sind Aisthetik als Wahrnehmungslehre und Artistik als Lehre künstlerischer Verfahren, A.d.V. ] sind miteinander verflochten und nur terminologisch zu trennen, doch verweist ihr Unterschied zunächst darauf, dass es zwar keine Kunst gibt, die nicht zugleich aisthetisch verfährt, dass es aber umgekehrt ästhetische Praktiken gibt, die forschend vorgehen, aber keineswegs für sich den Status erheben können, Kunst zu sein.“ (Mersch 2015: 25) Noch ist kaum absehbar, welche neuen Formate sich aus dem Dialog zwischen Kunst, Wissenschaft und Philosophie entwickeln werden, denn nicht nur ist das Verhältnis zwischen Kunst und Künstlerischer Forschung ungeklärt (vgl. Siegmund 2016), auch das Kunstwerden der Theorie, verstanden als ein „Ästhetischwerden der Wissenschaft“ Kathrin Busch, Universität der Künste Berlin, in ihrem Vortrag an der Tagung Praktiken ästhetischen Denkens an der HGK Basel am 5.04. 2019., verschiebt bisherige Grenzen.
Die beobachtbare Auflösung oder Durchlässigkeit der Disziplinen an den Kunsthochschulen stellt Fragen nach der kunstpädagogischen Fachwirklichkeit, denn mit der Ausweitung ins Transdisziplinäre öffnen sich kritisch-reflexive Erfahrungsräume, die auch die Existenz des Faches betreffen.
Schreibt man den Kunsthochschulen in erster Linie Impulse zur fachlichen Erneuerung zu, darf man nicht vergessen, dass ihr Handlungsspielraum gemäss Bildungsauftrag die Gymnasialstufe, das heisst die Zeit der Adoleszenz, betrifft. Die Bedeutung der Kunst für die Gesellschaft, ihre Möglichkeiten der Welterschliessung mit anderen Mitteln, steht selbstredend im Fokus von Lehre und Forschung. Nicht minder die Frage nach Rollenmodellen, die Frage nach der Differenz von Kunstpädagogik und Kunstvermittlung (vgl. Sturm 2004).
Zu den Pädagogischen Hochschulen: Während für eine Art Education der Bezug zur Kunst unbestritten bleibt – ob nun affirmativ, reproduktiv oder dekonstruktivistisch gedacht –, stellt sich die Situation an den Pädagogischen Hochschulen sehr viel komplexer dar. Selles Dictum im Ohr – dass Kunstpädagogik der Irrtum des 20. Jahrhunderts sei –, haben Kolleg*innen immer wieder – und oft polemisierend – auf die Unzulänglichkeit eines ausschliesslich auf Kunst bezogenen Unterrichts hingewiesen (vgl. Billmayer 2014). Denn an der Primarstufe oder der Sekundarstufe 1 wird künstlerisch-gestalterische Tätigkeit immer auch als Teil des individuellen Entwicklungsprozesses verstanden und unter anthropologischen und entwicklungspsychologischen Perspektiven betrachtet – eng verbunden mit der pädagogisch motivierten Intention, das Ausdrucksvermögen der Heranwachsenden zu fördern und Orientierung in unterschiedlichen Kontexten zu ermöglichen.
Darum ist Forschung an den Pädagogischen Hochschulen in erster Line Fragen des Lehrens und Lernens verpflichtet (Arts in Learning – Learning in the Arts). Soziologie, Anthropologie, ebenso die Bildungswissenschaften, sind für die Ausrichtung von Forschungsvorhaben bestimmend. Als diese „anders-empirisch tätigen Wissenschaften“ (Reinmann 2018, S. 34) beeinflussen sie nicht nur die Fragestellung, sondern auch die Methodenwahl.
Dass es Forschenden der ersten Stunde gelungen ist, aufgrund ihrer disziplinären Herkunft (Kunst und Gestaltung), das methodische Besteck der Sozialwissenschaften weiter auszudifferenzieren, ist ein nicht zu unterschätzendes Verdienst: Ihre Vorschläge zum Umgang mit visuellen Methoden (in Datenerhebung, Auswertung und Wissenschaftskommunikation) haben in der Schweiz eine Forschung hervorgebracht, die dem, was das Bild als Forschungsinstrument leisten kann, einen neuen Stellenwert zudenkt und weit über die von den Medienwissenschaften diskutierten Vorschläge hinausgeht (vgl. Marotzki/Niesyto 2006).
Worin siehst du Gemeinsamkeiten zwischen Künstlerischer Forschung und Praxisforschung – und worin liegen Unterschiede?
Künstlerische Forschung, wie sie gegenwärtig diskutiert wird, weist insofern gewisse Parallelen zur empirisch akzentuierten Praxisforschung in der Kunstpädagogik auf, als sie, wenn auch auf andere Weise, in einen Verbund mit wissenschaftlichen Methoden (empirischen und nicht-empirischen) tritt.
Während Künstlerische Forschung künstlerisches Handeln als Forschungspraxis thematisiert und zu zeigen versucht, dass „Kunst Momente und Erfahrungszusammenhänge ermöglichen [kann], die [...] über eine Theoriesprache [nicht zu gewinnen sind]“ (Badura 2013: 34), ist es eine der Aufgaben kunstpädagogischer Praxisforschung, die Erfahrungswirklichkeit des künstlerisch-gestalterischen Handelns von Kindern und Jugendlichen deskriptiv zugänglich zu machen und es in Relation zu den von Lehrenden initiierten Arrangements zu betrachten.
Indem kunstpädagogische Forschung Fragen der Wahrnehmung mit Fragen der Performanz und des Lernens in Verbindung bringt und das Paradox wagt, mit empirischen Methoden zu untersuchen, was eben gerade nicht in Empirie gründet, ermöglicht sie eine Genauigkeit des Sehens, die eine herkömmliche Reflexion nicht zu leisten vermag. Gerade weil sie so streng sind, werden qualitativ-empirische Methoden zum Mittel des Befremdens im scheinbar Vertrauten. Sie machen hellhörig für die Fragwürdigkeit vieler bislang in der Kunstpädagogik geläufigen Annahmen (Kunz/Mattich 2019: 493).
Was macht Forschen im Studium so wertvoll?
Forschende Zugangsweisen stellen ein auf gekonnte Ausführung zielendes Lehren und Lernen infrage. Sie fordern uns auf, Konzepte zu revidieren, Unsicherheiten zuzulassen und auszuhalten. Das gilt für die Künstlerische Forschung genauso wie für die praxisorientierte Forschung.
Anstatt dauernd auf Bewährung (Praktikum) ausgerichtet zu sein, ginge es darum, Freude am Ausprobieren unterschiedlicher Inszenierungsformen zu entwickeln und, wie Carmen Mörsch in unserem Buch schreibt, Erfüllung zu finden – und zwar in jenem doppelten Wortsinn: „Zum einen Erfüllung der Aufgaben und der Verantwortung, die mit diesem Beruf verbunden sind und zum zweiten die Erfahrung des Erfülltseins bei der Ausübung des Berufes.“ (Mörsch 2019: 322)
Welche Erfahrungen hast du mit dem Ansatz eines Forschenden Studierens gemacht? Und: Welche Ergebnisse (auch langfristig) sind deiner Meinung nach zu benennen?
Forschend zu lernen verlangt eine Intensität des Denkens und Handelns – aufseiten der Studierenden wie aufseiten derer, die sie begleiten. Forschen ist Wahrnehmungsschulung und Freiheit in einem. Denn: Wie sollte man den zunehmend auf Output und Bilanzierung ausgerichteten Tendenzen in der Lehrer*innenbildung anders begegnen als mit einer forschend-fragenden Haltung, die sich vor Antinomien und Widersprüchen nicht verschliesst?
Was mich in meiner Lehrtätigkeit nie losgelassen hat, ist die Frage, wie sich jene suchende Haltung, die Studierende in den künstlerisch-gestalterischen Studienanteilen entwickeln, auf den Entwurf von Lehr-Lernkonzepten übertragen lässt – wie Fachdidaktik forschend betrieben werden kann. Und bezogen auf die Berufspraxis: wie sich eine in künstlerisch-gestalterischer Auseinandersetzung gewonnene Sensibilität auf das Beobachten von Lehr-Lernprozessen übertragen lässt.
Weil ich selbst in einer Reihe von Projekten an der PHZH erlebt habe, was sich auftut, wenn man, frei von Optimierungsansprüchen und entlastet vom Handlungsdruck, genauer hinzuschauen lernt, war es mir wichtig, in der Lehre eine forschende Haltung zu fördern und die Studierenden mit einem Instrumentarium vertraut zu machen, das sie auch später nutzen können.
Wie aber legt man Forschung im Lernsetting der Hochschule an? Und: als Konstruktion in der Konstruktion: Wie legen Studierende ihr Forschen im Lernsetting der jeweiligen schulischen Situation an? Abhängig von den jeweiligen curricularen Bedingungen stellt sich diese Frage für Dozierende immer wieder neu.
Im Studiengang Art Education (HKB/PHBern) habe ich mit Formaten experimentiert, bei denen wir von Fragen ausgingen, die für alle: Dozierende, Praxislehrer*innen und Studierende gleichermassen wichtig waren und die sich methodengeleitetet im Praktikum beforschen liessen. Konzipiert als Peer-to-peer-Aktivität verringern diese Forschungsminiaturen nicht nur das Gefälle zwischen Forschenden und Beforschten, im Gespräch unter den Kommiliton*innen entsteht auch ein bewertungsfreier Raum, in dem Gelungenes und Misslungenes zur Sprache kommen kann. Aus dem Bemühen der Studierenden verstehen zu wollen, was geschieht, wie es geschieht und warum, erwächst eine Aufmerksamkeit, welche die Diskrepanz zwischen dem, was in der Konzeption angelegt ist und dem, was sich in der Interaktion zuträgt, nicht leugnet, sondern produktiv macht. Dabei ist nicht die Reliabilität von Ergebnissen bedeutsam; was zählt, ist der individuelle Erkenntnisgewinn. In den Grundausbildungen, die stark durch die Leistungskadenzen der Praktika geprägt sind, erwerben die Studierenden ein erstes Forschungsverständnis. Im Rahmen der Weiterqualifikation (Master Fachdidaktik und Promotion) dagegen steht der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn und die Frage kunstpädagogischer Theoriebildung im Fokus. Deshalb möchte ich in diesem Kontext auch von Forschen und nicht von Forschung sprechen. Denn Forschendes Studieren in Fachdidaktik und Berufspraxis ist ein Sehen und Zu-Sehen-Geben, das neue Fragen stellt: an sich, an das Fach, an den Unterricht (Schürch/Novak am Symposium). Erst wenn Lehren zu einer Praxis wird, die beide: Lehrende und Lernende verändert, fangen wir an zu verstehen, wie Lernen in den Künsten geschieht.
Spekulieren wir über Übertragbarkeit: Sollten Lehrpersonen auch Schüler*innen forschen lehren?
Das hängt davon ab, wie man Forschen als Tätigkeit definiert. Wenn man wie Helga Kämpf-Jansen das Konzept einer ästhetischen Forschung in die schulische Praxis transferiert, ergeben sich daraus interessante Ansätze. Das Projekt Kultur. Forscher Siehe: http://www.kultur-forscher.de/einblicke.html [15.10.19]. zeigt, welche Potenziale einem solchen Transfer innewohnen. Allerdings machen die publizierten Materialien und Ergebnisse auch deutlich, welche Simplifizierung, ja Entradikalisierung, der Ansatz von Kämpf-Jansen im Kontext kultureller Bildung erfährt.
Die Wissenschaftler*innen aus der Akademie der bildenden Künste Wien (Elisabeth Sattler, Marion Thuswald et al.) haben am Symposium gezeigt, wie Jugendliche in das vorgestellte Projekt Imagining Desires Vgl. https://imaginingdesires.at/ [15.10.19]. eingebunden werden – nicht bloss als Datenlieferant*innen, sondern auch in edukativer Absicht: Was Jugendliche in bestimmten Settings entwickeln, soll nicht nur für die Forscher*innen interessant sein, sondern auch die Heranwachsenden in ihrer eigenen persönlichen Entwicklung weiterbringen. Imagening Desires stellt für alle Beteiligten – Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Sexualpädagog*innen, Schüler*innen, Lehrende und Studierende – eine Möglichkeit dar, sich mit sich selbst und anderen auseinanderzusetzen – über kulturell behauptete Identitätszuschreibungen hinaus. Dass sich aus dem im Forschungsprogramm Sparkling Science Siehe: Österreichisches Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung: https://www.sparklingscience.at [27.09.2019]. geforderten Einbezug von Schülerinnen und Schülern auch Fragen und Widersprüche ergeben, nicht zuletzt, weil sie Grenzen zwischen didaktisch hervorragenden Settings und herkömmlichen wissenschaftlichen Ansprüchen zum Verschwimmen bringen, haben die Forscher*innen im Buchbeitrag eindrücklich beschrieben.
In welchem Kontext hast du als Lehrende an einer Hochschule gearbeitet – und wie kamst du zum Forschen? Was waren deine Schwerpunkte?
Anfänglich habe ich als Dozentin für Bildnerisches Gestalten an der Pädagogischen Hochschule Zürich gearbeitet, später als Dozentin für Fachdidaktik an der HKB/der PHBern.
Aus meiner Studienzeit in Berlin – ich habe vor meinem Lehrdiplom in Basel an der HdK mein Meisterschülerexamen in Malerei gemacht – resultiert eine bestimmte Affinität zu Theorie und Ästhetik. Von daher schien es folgerichtig, dass 2002, als an der Pädagogischen Hochschule Zürich ein Forschungsschwerpunkt Ästhetische Bildung aufgebaut werden sollte, mein an der Phänomenologie, insbesondere an Merleau-Ponty geschultes Denken ins Spiel kam. Scribbling Notions, zusammen mit Jacqueline Baum (HKB), sowie Ansichtskarte – Audioguide, eine Studie zur Rezeption Jugendlicher in Kooperation mit dem Schweizerischen Landesmuseum, realisiert mit Thomas Gisler (Kantonsschule Zürich Nord), zählten zu meinen ersten Projekten. Es waren neben dem Projekt zur Ermittlung räumlich-visueller Kompetenzen (raviko) aus der FHNW (Glaser-Henzer et al.) die ersten kunstpädagogischen Forschungsprojekte in der Schweiz überhaupt.
Im Kontext der Organisationsentwicklung im Departement F+E (2008) wurden die Schwerpunkte Ästhetische Bildung und Medienpädagogik zu einem neuen Format, der Forschungsgruppe BildMedienBildung, zusammengefasst. Interdisziplinär aufgestellt konzentrierte sich die Gruppe fortan auf bild- und medienwissenschaftliche Fragen. Zu den in dieser Zeit entstandenen Forschungsarbeiten gehört unterwegs; fotografische Bildfindungsprozesse von Jugendlichen in urbanen Lebenswelten (2009–2011). Aufgrund des übergeordneten Konzeptes ist unterwegs nicht nur eine Studie über die Bildforschung Jugendlicher – das Setting, angelegt als diskursiv begleiteter Lernprozess, ermöglicht auch Erkenntnisse zur Frage, welche Bedeutung das Gespräch über Bilder und Bildreihen für die fortgesetzte Arbeit hat: welche Anregung oder welche Formalisierung davon ausgeht. Thematisch auf eine Erkundung des Stadtraums und der Peripherie ausgerichtet, enthält das Projekt auch kulturwissenschaftliche Elemente; es verbindet qualitativ-empirische Methoden mit bildwissenschaftlichen Methoden (Ikonik).
Die Leitung der Forschungsgruppe BildMedienBildung (zusammen mit Thomas Hermann) brachte nicht nur Projektverantwortung, sondern auch Personalverantwortung mit sich: die Verpflichtung, genügend Projekte zu generieren, um Mitarbeitende aus Medienpädagogik, Geschichte, Psychologie, Soziologie und Kulturwissenschaft den vertraglich zugesicherten Stellenprozenten gemäss zu beschäftigen. Fokus und Leistungsauftrag verschoben sich mehr und mehr von der eigentlichen Forschungstätigkeit zum Forschungsmanagement und zur Drittmittelakquisition.
Die von der Hochschule der Künste Bern/der PHBern 2011 in Aussicht gestellte Option, Lehren und Forschen zu verbinden, war darum eine vielversprechende Möglichkeit, die kunstpädagogisch akzentuierte Auseinandersetzung wieder aufzunehmen und zu vertiefen. Mit Unterstützung des Instituts Sekundarstufe II der PHBern sind im Rahmen der Fachdidaktik 2014 bis 2016 jene Forschungsminiaturen entstanden, von denen im Buch die Rede ist. Mit dem Wechsel an die Berner Hochschulen verschiebt sich der Fokus zu einem Forschen lehren: der Suche nach Formaten, die es der Generation der Studierenden und der wenigen Nachwuchswissenschaftler*innen ermöglichen, erste Forschungskompetenzen aufzubauen. Dass ein solcher Schritt nur aufgrund vertiefter Forschungserfahrung in eigenen Projekten möglich ist, zeigen die Beiträge im dritten Teil (Topografie) unseres Buches.
Du hast viele Studierende an das Forschen herangeführt, viele Nachwuchswissenschaftler*innen begleitet und tust das immer noch. Was rätst du eine*r jungen Forschenden in der Kunstpädagogik?
Zu allererst würde ich ihr/ihm raten, beharrlich die eigene Sache zu verfolgen und sich nicht von eloquenten Sprachcodes, von Hegemonieansprüchen einschüchtern zu lassen. Wichtig ist, dass man sich ein Netzwerk aufbaut, das einen Austausch ermöglicht, der über die offiziellen Doktorandenkolloquien hinausgeht.
Wie stellst du dir die Zukunft der Forschung im Feld Kunstpädagogik vor?
Ich wünschte, dass es der nächsten Generation gelänge, sich zu kunstpädagogischen Forschungsgemeinschaften zusammenzuschliessen und dass, über die Bemühungen einzelner hinaus, die Institutionen dieser Forschung Räume zugestehen.
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