Editorial

Baukulturelle Bildung ist ein aktuelles und (gesellschafts-)politisch gefördertes Thema. Oft wird es – zumindest in der Schweiz – ausserhalb der Kunstpädagogik diskutiert, obwohl die zugrunde liegenden vermittlerischen Ansätze und Strategien häufig auf ästhetischer Wahrnehmung basieren und in der Folge gestalterischer oder gar künstlerischer Natur sind. Die Ausgabe 27 des e Journals positioniert die baukulturelle Bildung als Thema in der Kunstpädagogik und zeigt auf, welche interdisziplinären Verknüpfungen und Kooperationen sich daraus ergeben können, gerade im Hinblick auf mögliche zukünftige Forschungsvorhaben.

Der Begriff Baukultur beschreibt laut Bundesamt für Kultur „alle menschlichen Tätigkeiten, die den gebauten Lebensraum verändern“ (Bundesamt für Kultur 2020: 4). Diese seit der Erklärung von Davos Im Jahr 2018 verabschiedete die europäische Kulturministerkonferenz die Erklärung von Davos, welche die Grundlagen für eine hohe Baukultur in Europa beschreibt und auf Wege verweist, die dazu führen, etwa auf baukulturelle Bildung (https://davosdeclaration2018.ch/de/ [05.12.2024]. etablierte Definition von Baukultur verdeutlicht, dass Gebautes als integraler Bestandteil von Kultur verstanden wird. Baukultur bezieht sich somit nicht nur auf das Gebaute selbst – wie Gebäude, Bauwerke, gestaltete Landschaften, den öffentlichen Raum oder Kunst am Bau – sondern auch auf alle planenden und ausführenden Tätigkeiten, die den Raum gestalten und prägen. Damit sind sowohl Tätigkeiten der Baupraxis als auch Praktiken der Nutzenden gemeint. Baukultur umfasst also nicht nur Vergangenes, wie etwa das baukulturelle Erbe, sondern auch Gegenwärtiges und Zukünftiges. Baukultur hat Einfluss auf das Zusammenleben aller Menschen und trägt wesentlich zu ihrer Lebensqualität bei (vgl. ebd.).

Der Erziehungswissenschaftler Roland Reichenbach weist mit der Aussage „der Mensch ist ein baukulturelles Wesen“ (Reichenbach 2021: 56) darauf hin, dass Baukultur den Menschen immer beeinflusst und dieser sich je nach baukultureller Bildung, in unterschiedlichem Masse reflexiv dazu verhält. Diese Bildung versteht er als ästhetische Bildung, die es dem Individuum ermöglicht, sich zunehmend differenzierter mit der gebauten Umwelt auseinanderzusetzen: sie bewusst wahrzunehmen, sich Wissen anzueignen und Urteilskompetenz zu entwickeln (vgl. ebd.). Auf der Ebene der Vermittlungspraxis zeigt sich baukulturelle Bildung grob zusammengefasst als ein Lernen im Kontext von Orten, Räumen und Bauwerken (vgl. Uttke 2012: 4). Die Vermittlungsangebote in diesem Bereich, die bis heute überwiegend von ausserschulischen Akteur*innen Auf der Webplattform von Archijeunes findet sich eine Übersicht der Akteur*innen und ihrer Vermittlungsangebote in der Schweiz. Archijeunes engagiert sich für eine hochwertige baukulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche, vernetzt Akteur*innen aus Bildung und Baukultur und fördert den wissenschaftlichen, pädagogischen sowie politischen Diskurs zu diesem Themenfeld (https://www.archijeunes.ch/ [05.12.2024]. gestaltet werden, zeichnen sich durch eine grosse Vielfalt an Ansätzen und Zielsetzungen aus. Diese reichen von der Förderung einer bewussten und differenzierten Wahrnehmung der gebauten Umwelt – im Sinne Reichenbachs – über die Entwicklung eigener Ideen, der Entwicklung handwerklicher Fähigkeiten und gestalterischer Entwürfe bis hin zu sozialen Aushandlungsprozessen und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen. So zielt baukulturelle Bildung auch darauf ab, Kinder und Jugendliche zu befähigen, ihre räumlichen Bedürfnisse zu erkennen und zu artikulieren sowie sich aktiv an gesellschaftlichen Prozessen zur Gestaltung ihres Lebensraums zu beteiligen (vgl. Million/Heinrich 2014).

Vermittlungsformate der baukulturellen Bildung wurden traditionell von Architekt*innen oder Planer*innen entwickelt und finden – wie bereits erwähnt – überwiegend jenseits der schulischen Bildung statt. In der aktuellen Praxis hat sich jedoch ein multiprofessionelles Feld an Anbieter*innen aus den Bereichen Kunst, Handwerk und Pädagogik herausgebildet, die zunehmend auch wichtige Partner*innen für Schulen darstellen (vgl. Million 2022: 81). In diesem Kontext ist es sinnvoll, auch die kunstpädagogische Perspektive auf baukulturelle Bildung einzubringen, da sowohl die Inhalte als auch die Methoden in der fachdidaktischen Praxis des Bildnerischen Gestaltens und der Kunstpädagogik sowie in deren Forschungszugängen verankert sind. Forschungsfragen zur baukulturellen Bildung setzen im Feld der Kunstpädagogik beispielsweise bei den Fragen an, wie mit künstlerischen Methoden baukulturelle Erfahrungen ermöglicht werden können oder wie der gebaute Raum ästhetisch beforscht werden kann. Darüber hinaus eröffnen sich weitere fachliche und forschungsmethodische Bezüge – etwa zum sozialräumlichen Diskurs oder zu kritisch-partizipativen (Forschungs-)Ansätzen.

Die Beiträge dieser Ausgabe stammen von Autor*innen aus verschiedenen Fachrichtungen und geben Einblicke in eine vielschichtige Praxis- und Forschungslandschaft. Diese Vielfalt entspricht dem (bildungs-)politischen Anspruch, Baukultur disziplinenübergreifend zu verhandeln (vgl. u.a. Bundesamt für Kultur 2020, 2018) und macht auf produktive Verbindungslinien aufmerksam, die es weiter zu verfolgen und auszubauen gilt.

Eva Chen betrachtet Baukultur aus einer dezidiert kunstpädagogischen Perspektive. In ihrem Beitrag Baukulturelle Bildung als ästhetische Diskurspraxis bietet sie einen Einblick in ihr laufendes Dissertationsvorhaben und fokussiert dabei auf Baukultur als diskursives Geflecht materieller Strukturen, kultureller Praktiken und symbolischer Bedeutungszusammenhänge.

Mirko Winkel eröffnet in seinem Beitrag Sich Baukultur zu eigen machen – spielerisch, künstlerisch und kartografisch neue Perspektiven auf Baukultur. Anhand von Beispielen aus der künstlerischen und vermittelnden Praxis beschreibt er, wie durch spielerische Raumaneignung, künstlerische Interventionspraxis und partizipative Kartografie bestehende Raumkonventionen herausgefordert und transformative Prozesse ermöglicht werden.

Lea Weniger, Natacha Pinheiro und Gila Kolb stellen in ihrem Beitrag Mit Schüler*innen Baukultur erforschen: Visionen für Lebensräume von morgen die Ergebnisse eines Forschungs- und Entwicklungsprojekts vor, in dem ein interdisziplinäres Team die Perspektiven von Heranwachsenden auf die lokale Baukultur unterrichtsentwickelnd und partizipativ forschend untersucht hat. Die beteiligten Schüler*innen wurden dabei als kompetente Akteur*innen in die Debatte um Baukultur einbezogen, wodurch wichtige Aspekte ihrer baukulturellen Wirklichkeit erschlossen werden konnten.   

Der für diese Ausgabe aus dem Englischen übersetzte Beitrag von Marta Brković Dodig, Sarah Klepp und Angela Million widmet sich dem Projekt Lost Traces, das im Kulturerbejahr 2018 Denkmäler als Lernorte im Rahmen von Schulprojekten in den Fokus rückte. Gleichzeitig reflektieren die Autor*innen ihre Rolle als Architekt*innen und Planer*innen in der Vermittlungsarbeit und plädieren für einen offenen, interdisziplinären Diskurs. Mit der vorliegenden Ausgabe des e Journals greifen wir dieses Plädoyer auf und leisten unseren Beitrag zu diesem Anliegen.

Martin Viehauser hat die Rezension zu Ina Schefflers Studie Polarisierung und Neubeginn (2020) verfasst, die den Schulhausbau in der BRD von der frühen Nachkriegszeit bis in die frühen 1960er Jahre untersucht. Unter dem Schlagwort Pädagogik des Raumes und im Zusammenspiel von Kunst und Architektur werden dabei weitere Forschungsfelder sichtbar, die sich im Kontext von Baukultur und baukultureller Bildung eröffnen.

Als Abschluss der Ausgabe beantwortet Beate Florenz aus kunstwissenschaftlicher und  kunstvermittelnder Perspektive drei Fragen zu Verknüpfungen von Ästhetik, Raum, Bildungsprozessen und künstlerischer Forschung mit Fokus auf Baukultur und baukultureller Bildung.

Das verhältnismässig junge und interdisziplinär ausgerichtete Feld der baukulturellen Bildung und ihrer Forschung bewegt sich im ‚Dazwischen‘ – zwischen Praxis und Wissenschaft, zwischen verschiedenen Disziplinen und Perspektiven. Diese Ausgabe des e Journals möchte spezifischen kunstpädagogischen und künstlerischen Ansätzen Gewicht verleihen und zugleich zur fachübergreifenden Zusammenarbeit anregen.

 

Danke an: Desirée Hieronimus für das Korrektorat, Gila Kolb für die redaktionelle Unterstützung und allen Autor*nnen für die gute Zusammenarbeit.

Literatur

Bundesamt für Kultur (Hg.) (2018): Davos Declaration/Déclaration de Davos/Erklärung von Davos. https://davosdeclaration2018.ch/wp-content/uploads/sites/2/2023/06/2022-06-09-081317-davos-declaration.pdf [22.11.2024].

Bundesamt für Kultur (Hg.)(2020): Strategie Baukultur.

Million, Angela (2022). Baukulturelle Bildung. Schule als Drehscheibe baukultureller Vermittlungspraxis. In: DDS – Die Deutsche Schule, 22/1, S. 80-88.

Million, Angela/Heinrich, Anna Juliane (2014): Linking participation and built environment education in urban planning processes. Current Urban Studies, 2/4, S. 335-349.

Reichenbach, Roland (2021): Baukulturelle Allgemeinbildung. Eine bildungstheoretische Annäherung. In: Archijeunes (Hg.), Elemente einer baukulturellen Allgemeinbildung, Zürich, Park Books, S. 51-70.

Uttke, Angela (2012): Towards the future design and development of cities with built environment education. In: Procedia - Social and Behavioral Sciences 45, S. 3-13.


Kurzbiografien der Autor_innen: