Schlagwörter: documenta, Kollektive , Migrationsgesellschaft, Rezension
*foundationClass – the book, Berlin 2021, 238 Seiten, 10€.
Ein Jahr nach dem „Langen Sommer der Migration“ gründet sich 2016 die *foundationClass an der weißensee kunsthochschule berlin. Die damalige „Willkommenskultur" will Geflüchteten und Schutzsuchenden mit verschiedenen Projekten helfen. So finanziert unter anderem der DAAD Programme – um ihnen beispielsweise den Zugang zum Studium in Deutschland zu erleichtern – an Hochschulen in Deutschland - auch an der weißensee kunsthochschule. Was die *foundationClass als Studienprogramm von den anderen Programmen der Zeit unterscheidet, fasst Hatef Soltani - ein Teilnehmer - in seinem Beitrag „Der Anteil der Anderen“ im Sammelband „*foundationClass/The Book“ wie folgt zusammen: „Während des Aufnahmeprozesses der *foundationClass werden Menschen als Künstler*innen betrachtet, die zu Studierenden werden möchten, und nicht als Flüchtlinge, von denen verlangt wird, sich in die Gesellschaft zu integrieren.“ (S. 31)
Im Jahr 2021 veröffentlichten Buch blickt *foundationClass und deren Verbündete auf die ersten fünf Jahre der *foundationClass. Eine mehrsprachige Publikation, die visuelle Beiträge und Texte umfasst und sich über auto-ethnographische Selbstreflexion, Fiktion, Poesie, Gesprächsrunden sowie politische und strukturelle Analysen erstreckt. Das Buch ist in sechs Kapitel unterteilt, in denen die folgenden Themen behandelt werden: Die Schaffung der emotionalen und ideellen Zufluchtsorte innerhalb der *foundationClass, die Herausforderungen der diskriminierenden Strukturen an Hochschulen, Strategien zur Umgehung der Codes einer Akademie und die Entwicklung von Widerstandsstrategien gegen die gewaltvollen Episteme und Strukturen der Bildungseinrichtung. Eines der zentralen Fragen der *foundationClass ist „unter welchen Bedingungen sind selbstorganisiertes Lernen, künstlerisch-gestalterische Produktion und die gleichzeitige Verhandlung eines antirassistischen, macht-kritischen Raumes […] möglich“, wenn sich das Studienprogramm an einer Hochschule befindet, „sich aber nicht als Teil von ihr definiert.“ (S.12)
Eine der Grundvoraussetzungen von *foundationClass ist ein geschützter und selbstbestimmter Raum. Der Kampf von Geflüchteten und Migrant*innen um solche Räume hat in Deutschland eine lange Geschichte, wie die Kultursoziologin Bahareh Sharifi in ihrem Artikel „Bruchlinien“ darlegt. Sie sind im machtkritischen Sinne Gegenorte, „in denen Marginalisierte von den Rändern hervortreten, sichtbar werden.“ (S.21) *foundationClass positioniert sich heterotopisch zum Ort, aber auch zu den Strukturen und Verfahren der Hochschulen. Ulf Aminde beschreibt in seinem Beitrag „Wendepunkte“ den Bias der Hochschulen u.a. anhand der Aufnahmeprüfung. Er schreibt: „Die Arbeiten der studierenden *foundationClass- Künstler*innen und -Designer*innen werden schnell auf vermeintliche Herkunftskulturen und -prägungen reduziert, wenn sie sich auf einen Studiengang bewerben. Ihnen ist es nicht gegönnt zu sagen, sie möchten einfach Kunst machen.“ (S.100) Er gibt zu bedenken, dass in den Aufnahmeprüfungen über die künstlerische Eignung geurteilt wird, ohne dass die Urteilenden ihre eigenen kulturellen Vorannahmen selbstkritisch hinterfragen.
Die unreflektierten gewaltvollen Strukturen und Praxen weisser Institutionen als eine wiederkehrende Auseinandersetzung der *foundationClass und durchzieht das Sammelband bis zum letzten Kapitel „Widerständige Strategien“. Verena Melgarejo Weinandt, Mariama Sow, Miriam Schickler und Nuray Demir erinnern sich in ihrem gemeinsamen Gespräch an den strukturellen Rassismus ihrer eigenen Studienzeit an einer Kunstakademie.
Das Buch *foundationClass bietet eine äusserst kenntnisreiche und erfahrungsorientierte Darstellung der emanzipatorischen Praktiken und Kämpfe der Teilnehmer*innen des Studienprogramms, die von Diskriminierung und Rassismus sowohl an Hochschulen als auch im Kunstbetrieb betroffen sind. Es gibt einerseits Einblicke und schafft gleichzeitig als Publikation einen eigenen und zusätzlichen Raum der selbstreflexiven und machtkritischen Vielstimmigkeit. Bei der Lektüre wird deutlich, dass die *foundationClass weit mehr ist als eine künstlerische Ausbildungsplattform. Sie ist eine Werkzeugkiste des Widerstands, und ihr Buch stellt diesen großen Fundus an Wissen, Praktiken und Strategien der Öffentlichkeit zur Verfügung. Hiernach hat der Kunstbetrieb einen großen Bedarf.
Die Einladung der *foundationClass zur documenta fifteen (2022) ist sicherlich eines der Belege hierfür.