Schlagwörter: Aushandlungsprozess, Kollaboration, Kollektive , künstlerische Verfahren, Mettrage, Relationen, Standpunkte in Bewegung
Als Autor*innenkollektiv bestehend aus sieben Positionen – Künstler*innen, Studierenden, Forschenden, Kulturagent*innen und Aktivist*innen – interessiert uns ein kollektiver Zugang, um über die Frage nachzudenken: Was hat die Coronakrise mit der Klimakrise zu tun? Die Fragestellung ist Ausgangspunkt für ein gemeinsames Nachdenken und steht in Relation zu unseren unterschiedlichen Positionen und Situierungen. Uns beschäftigt: Welche Fragestellungen, Haltungen und Methoden zum Klimawandel machen ein kollektives und künstlerischeskünstlerisches Nachdenken bezeichnet hier unser Interesse entlang von künstlerischen Strategien, beispielsweise der Mettrage, in den Austausch zu gehen. Welchen Beitrag kann Kunst und Kultur im Kontext einer Debatte um Klimawandel leisten? Welchen Auftrag hat die Gesellschaft dahingehend, Kunst und Kultur zu fördern? Wann werden Kunst und Kultur instrumentalisiert? Und wann eröffnen sie neue Perspektiven auf bekannte sowie zukünftige Themen- und Problemfelder? Ein künstlerisches Nachdenken verstehen wir auch in dem Sinne, dass das sinnliche Arbeiten andere Dinge, Bezüge und Verbindungen aus dem Unbewussten ins rationale Bewusstsein übersetzt, den Diskurs etwa um Erfahrungen erweitert und dehnt und so ein widersprüchliches, bewegtes Feld produziert.Auseinandersetzen möglich? Wie werden marginalisierte und diverse Positionen in dieses Nachdenken einbezogen? Wie und was können wir von- und miteinander (ver-)lernen? Und wie werden entlang künstlerischer Methoden kollektive Formen des Denkens und Handelns experimentierbar?
Im Nachdenken über die Klima- und Coronakrise ist die Frage nach einem ‚wir‘Das Autor*innenkollektiv hat sich zu dieser Schreibweise (‚wir‘) entschieden, um die damit verbundene Machtkritik hervorzuheben. immer wieder Gegenstand unserer Diskussion gewesen: Wer spricht von welchem ‚wir‘? Wen oder was ex- und inkludiert dieses Sprechen von einem ‚wir‘? Und wie kann ein ‚wir‘ produziert werden, das bestehende Machtverhältnisse dekonstruier-, befrag-, verhandelbar macht?
Unser Gespräch spürt diesem ‚wir‘ nach, gemeinsam versuchen wir nach Formen zu suchen, die die Unvollständigkeit eines ‚wirs‘ abbilden und dennoch eine Raum öffnen und offen halten, ein nach vorne schauen kollektiv zu experimentieren. Diesen Widerspruch bildet der Titel ab, mit dem wir uns auf Ailton Krenakvgl. Krenak, Ailton (2021): Ideen, um das Ende der Welt zu vertragen. München: btb Verlag. beziehen.
Die Methode METTRAGE positionen-relationen (Ballath/Stahlhoven 2020), entlang der wir gemeinsam nachgedacht haben, ist ein Werkzeug für Aushandlungsprozesse. Die Mettrage arbeitet mit den Prinzipien des Fragmentierens und Assoziierens. Anders als bei einer Collage wird das Fragment nicht geklebt, sondern gelegt und bewegt. Neue Konstellationen können ausgehend vom Zusammenlegen entstehen und immer wieder modifiziert und ergänzt werden. Das Verfahren macht einen kollektiven Denkprozess sicht- und verhandelbar. Es geht darum, die eigene spezifische Perspektive zu positionieren, um diese im Austausch mit einer weiteren Person oder Gruppe weiterzuentwickeln, neu zu kontextualisieren und zu modifizieren sowie in Bewegung zu bringen. Das Werkzeug stellt zunächst verschiedene Positionen nebeneinander, setzt sie im folgenden Gespräch in Relation, verbindet, ergänzt, dekonstruiert und erweitert die Perspektiven. Das Momenthafte markiert dieses Vorgehen. Kern des Werkzeuges ist es, die Bewegungen eines Aushandlungsprozesses abzubilden.
In dem vorliegenden Beitrag hat jede Person eine Mettrage produziert, ihre (Einzel-)Position in Bezug auf die Fragestellung: Was hat die Coronakrise mit der Klimakrise zu tun? Die sieben entstandenen Positionen sind
Ausgangsmaterial für eine gemeinsame Mettrage, ein gemeinsames Nachdenken über Klimawandel in einem Zeitrahmen von 60 Minuten. Der entstandene Text wechselt zwischen Englisch und Deutsch und wurde nach dem Workshop von allen Autor*innen modifiziert und um Beispiele, theoretische Positionen, Kontexte u.a. erweitert. Wir verstehen dieses Nachdenken als Momentaufnahme unterschiedlicher Stimmen, die aufgegriffen und verändert werden können. Das von uns produzierte ‚wir‘ ist kein abgeschlossenes, fixiertes, vielmehr verstehen wir den Rahmen dieses Textes sowie die Mettrage als Einladung dafür, weitere Positionen, Kontexte, Beispiele und Stimmen einzubeziehen.
„Und welche Perspektiven fehlen für ein kollektives Nachdenken zum Klimawandel? Auch hier, in dieser Runde?“ (Ballath)
RAPHAEL DAIBERT
Well, my mettrage here: I put together some elements I could relate to, as someone coming from Brazil. Going directly to the topic: climate justice is what actually interests me when talking about climate change. The global northern/European gaze towards climate change, is very individualistic and neo-liberal, in my opinion.
From my perspective, there will be no solution from individual action, while the world we live in continues to function as such, under a capitalist system. There are so many other bigger structures that function over us and we tend to not take them into account. Individual action is of course important. But I really don’t think the solution is going to come from Europe. I actually deny that or fully disagree that it would. The hypocrisy is that, for example, while everyone here in Berlin or in northern Europe separates their own garbage, the garbage is completely exported. The real filthy garbage of Europe is exported to global southern countries. There is a hypocrisy behind climate change as a subject that I believe to be extremely controversial.
Moving on to what is happening here in this image: I chose to use this representation of the global continents but turned it upside down – inspired by Uruguayan artist Joaquín Torres García's work América invertida. The perception of the world we live in is eurocentric and, therefore, we tend to think that countries in Europe are bigger, geographically, than others. From this perspective, we see what is central and what is not. So, I was happy to find this image in order to flip it over.
Now the protest image: I wanted to call out who is depicted here, protesting on both sides – one is for sure in Germany, because posters are written in German, and the other in Brazil, as they are in Portuguese. From a class and racial perspective there is a clear distance between who is able to be there protesting and who has the urgency for this change to happen. There is a machine and a labor force that keeps things running in order for these people to be there – which comes with the representation of these traffic jams and the fact that everything is burning. Literally burning, to be in sync with the international discourse and the attention on the Amazon that is burning but also the centuries-long burning issues.
The world looks at it whilst there is the central figure of this mettrage, which is this indigenous person. They have been burning for the last 500 years. And the continent where we are, Europe, is obviously responsible for it.
And here we have the face of one that I will not pronounce the name of. If there is something I’ve learned from my sister, who studied communication, it is that if you want to talk about something, being that good or bad, just talk about it. Visibility will happen either way. And, to be honest, I’ve had enough of talking about him. The more I talk about him, the more he’s gonna be heard. So, I refuse to talk about him.
Bref, this is what I wanted to communicate. There is, as well, this central image of this modernist looking building. These buildings were built in the 1980’s in Rio de Janeiro state as a project from left wing politician Leonel Brizola together with the anthropologist Darcy Ribeiro. They are integrated centers for public education that were quite „revolutionary“ – to use their own words – for the period. They offer, besides being a school, basic health and food services for the population. It is a very present building throughout the state of Rio, where I grew up, mainly in less economically privileged neighborhoods. When I looked at it all these memories and interesting elements came to my mind. But also modernist architecture as a whole that, to me, can also mean exclusion, a scale that sometimes is not a human one. So that’s why I decided this image to be the central one: due to its hidden controversies. We tend to flatten the complexities of things. That’s it.
LUKAS OERTEL
Es gibt einen Brückenschlag zwischen Raphas Mettrage und meiner Mettrage. Er hat über das Modernistische und die Lücke gesprochen, dass Komplexität ‚platt‘ gemacht wird – das heisst für mich: Lebendigkeit tot gemacht wird. Als ihr mir das Thema Klimakrise geschickt habt, waren die ersten Bilder, die bei mir hochkamen, diese dystopischen Anfangsbilder von Blade Runner 2049, wo fast die gesamte Landschaft als tot gezeigt wird und mein Widerstand gegen dieses Bildmaterial.
In meiner Mettrage bin ich aber wieder dabei gelandet, bei dieser Modernität in der Architektur, vielleicht auch Postmoderne, die mit dem Begriff vom Klimawandel verbunden ist, weil sie auch immer ein Bild davon ist, wie wir kolonisierend in die Landschaft eingreifen. Das vermittelt mir immer dieses dystopische Gefühl, dem ich mich, wahrscheinlich durch meine Sozialisierung im sozialistischen Plattenbau, gar nicht entziehen kann. Es geht um die Abwesenheit und Zerstörung von ursprünglichen Lebensräumen. Und dann kam im Machen und Suchen die Frage nach dem Tier. Wenn ich auf mein Leben und meine Welt schaue, stelle ich fest, dass die Tiere und die Pflanzen erstmal das sind, was nicht da ist. Dass es eine Abwesenheit gibt und eine Sehnsucht. Vielleicht sowas wie ein Ursprungsbild, irgendwas, das da ist, aber in meinem Alltagsleben nicht vorkommt.
Und deswegen habe ich erstmal angefangen, diese Leerstellen reinzuschneiden, durch die eine andere Welt wie eine Reminiszenz durchschaut – dadurch, dass das Weggeschnittene woanders wieder auftaucht. Dabei habe ich gemerkt, dass es mir um die Frage nach den Beziehungen geht: Wie verhält sich das eigentlich zueinander, mein (abstraktes) DenkenAbstraktes Denken ist hier im wörtlichen Sinn gemeint: abgezogen von der lebendigen Welt. Die Mehrheit der Begriffe steht nicht mehr in Verbindung mit den lebendigen Zusammenhängen. in Kästen und Käfigen zu der organischen, lebendigen Welt?
Da sind viele Fragen – besonders die Frage nach der Praxis und der Bildung, die mit dem eigenen Tun verbunden ist. Eine Praxis als Bildung, deren Fundament bildnerische Prozesse sind und nicht dieser alte Bildungsbegriff, wo es um Wissenskataloge geht, die als Norm gesetzt werden. Der Käfig im Denken braucht für mein Empfinden ganz unterschiedliche Praxen, damit wieder etwas in Bewegung kommen kann, in Kontakt mit all jenem, was jenseits der Gitterstäbe und Koordinatensysteme liegt.
Die Solidarität liegt jetzt zwischen den Bildteilen wie eine Bewegung zwischen verschiedenen Bereichen, wo über die Praxis (z.B. künstlerisches Material) und Begegnung etwas Neues passieren kann, weil – das ist zutiefst meine Überzeugung – über die tatsächliche Begegnung zwischen Menschen und allgemeiner zwischen Lebewesen immer wieder unglaublich Hoffnungsvolles entstehen kann, egal wie gross die Dystopie ringsherum ist.
BENÉ ASEFA FEIREISS
Ich würde gerne bei dir anknüpfen, Rapha. Genauer gesagt bei deinem Impuls, das eurozentrische Weltbild anzugehen oder einen Gegenentwurf darzulegen, der unsere Weltanschauung grundlegend umwälzt. Dieser Ansatz ist meiner Meinung nach besonders essentiell im Angesicht der Klimakrise. Der europäische Klimadiskurs begnügt sich letztendlich mit liberalen Forderungen im Rahmen des Green New Deals oder hofft auf die Entwicklung einer europäischen Moral, die uns alle vermeintlich rettet. Es gilt jedoch, eine unabhängige Stimme, nämlich die des globalen Südens, eine bisher unterdrückte Stimme, erstarken zu lassen. Eine Stimme, die nicht lediglich auf Anerkennung oder Erlösung der bisherigen Unterdrücker hofft. Trotzdem sollte man sich jedoch um eine historische Analyse bemühen, um zu sehen, inwiefern eben diese Lage, in der sich grosse Teile des globalen Südens befinden, sowie die Kämpfe, die er austragen muss oder die auf seinem Rücken ausgetragen wurden und werden, gewisse Hintergründe und Kontinuitäten haben.
Deswegen habe ich das Cover des Buchs Neo-Colonialism, The Last Stage of Imperialism (1965) von dem aus Ghana stammenden Kwame Nkrumah als einen meiner Beiträge zur Mettrage gewählt. Hierbei knüpft er an den politischen Geist Vladimir Ilyichs an, welcher ein Buch mit ähnlichem Titel veröffentlichte. Warum jetzt neo-koloniale Theorie im Zusammenhang mit Klimawandel? Wenn wir den herrschenden Klimadiskurs betrachten, gibt es einen unheimlich grossen weissen Fleck innerhalb der Debatte. Die prominenten Lösungsansätze wie der eben angesprochene Green New Deal thematisieren nicht annähernd genug die menschlichen Kosten, die eine solch gigantische Umstrukturierung Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerika aufbürdet. Es wird nur selten zur Kenntnis genommen, dass die Produktionsprozesse, die mit der Umstellung auf erneuerbare Energien sowie der Transformation ganzer Wirtschaftssektoren einhergehen, den grossflächigen Abbau von Rohstoffen in Ländern der eben genannten Kontinente voraussetzen. Beispiele für derartige Politik findet man im Kongo, wo etwa, um im globalen Norden Null-Emissionsziele zu erreichen, Kobalt-Ressourcen ausgebeutet werden, die für die Produktion von Elektroautos wichtig sind, und so das Land zerstört wird. Oder in Indonesien, wo sich ein grosser Teil der weltweiten Nickel-Vorräte befindet. Dort wird diese Ressource unter immens schlechten Arbeitsbedingungen und Umweltstandards abgebaut.
Als zweites Bild habe ich ein Still aus dem Kurzfilm Farbtest. Die Rote Fahne (Conradt 1986) ausgesucht. Warum jetzt das Symbol der roten Fahne? Es geht mir hier weniger darum, die rote Fahne als Repräsentant der realsozialistischen Länder einzusetzen, womit man sie ja heutzutage am stärksten verbindet. Ich wollte eher an den geschichtlichen Ursprung der roten Fahne anknüpfen. Sie wurde ursprünglich im 18. Jahrhundert von der Obrigkeit als Warnsignal gehisst, um Demonstrationen zu zerschlagen. Bei den Unruhen auf dem Marsfeld am 17. Juli 1791 wurde die Fahne gehisst, die Nationalgarde öffnete jedoch das Feuer, bevor die Demonstrant*innen eine Chance hatten, sich vom Platz zu entfernen. Die rote Fahne und das Blut der getöteten Demonstrant*innen – der Vergleich lag nahe. Die Pariser Revolutionäre griffen das Bild praktisch über Nacht auf und das bisher der Unterdrückermacht dienende Symbol verkörperte von nun an den Impuls, gegen das herrschende Recht oder Unrecht, das es verkörpert, aufzustehen und mit ihm zu brechen. Ein Impuls, den man nicht in Vergessenheit geraten lassen sollte.
SILKE BALLATH
Was ich festgestellt habe, ist, dass eine dekoloniale oder rassismuskritische Perspektive in Schulen leider nicht bzw. viel zu wenig fokussiert wird. Das heisst bespielsweise, dass die Perspektiven des globalen Südens meines Erachtens zu wenig einbezogen werden. Sie werden als unterdrücktes Wissen betrachtet und marginalisiert, aber eben nicht als ein Wissen einbezogen, das eine eigene Perspektive und Relevanz hat. Und da sehe ich eine Verbindung zu der Art und Weise, wie mit dem Thema Klimawandel umgegangen wird. Der Begriff des Verlernens, den Nora Sternfeld und Maria do Mar Castro Varela in Deutschland eingebracht haben, wird für mich an diesem Punkt total relevant (vgl. Castro Varela 2007; Sternfeld 2014). Ursprünglich ist das ein Begriff, den Gayatri Chakravorty Spivak formuliert hat (vgl. Spivak 1990). Es geht darum, unser Wissen bewusst zu verlernen. Es bedeutet, dass ich mich mit meiner eigenen Praxis auseinandersetze, sie reflektiere und meine Privilegien und normativen Haltungen befrage, sozusagen breche und neu sortieren lerne. Was hat das mit Klimawandel zu tun und mit diesem Bild?
Ich beschäftige mich viel mit Donna Haraway, einer Biologin, die auch Wissenschaftshistorikerin ist und eine feministische Position vertritt (vgl. Haraway 2018). Sie zeigt auf, dass gesellschaftliche Strukturen des globalen Nordens durch eine heteronormative, patriarchale und eurozentristische Perspektive geprägt worden sind. Weitere, meist marginalisierte Perspektiven (z.B. des globalen Südens) werden aus dieser Perspektive nicht als Norm verstanden, anerkannt, gelernt und eingeprägt und haben demzufolge auch in Bereichen wie z.B. der Wissenschaft keine Relevanz erhalten. Haraway hinterfragt genau dieses Selbstverständnis und versucht, es neu zu sortieren, indem sie in den 1980er Jahren beispielsweise die Figur des Cyborgs entwickelte, eine Figur, die ein binäres Rollenverständnis von Mann und Frau hinterfragt und neu verhandelbar machen will. Heutzutage bezieht sie auch das Verhältnis von Natur und Kultur, globalem Süden und Norden in diese Überlegungen ein. Mich beschäftigen diese Beziehungen und Verhältnisse in Bezug auf die Frage von Klimawandel.
Eine weitere Position, mit der ich mich angefangen habe zu beschäftigen, ist die des Aktivisten Andreas Malm (vgl. Malm 2020). Er nimmt die Coronakrise zum Ausgangspunkt, um die Frage zu stellen, was diese mit der Klimakrise zu tun hat. Warum agiert der globale Norden in Bezug auf eine so genannte Coronakrise und warum tut er das nicht in Bezug auf die Klimakrise? Ausgehend von kolonialen Strukturen und historischen Verflechtungen greift er das Verhältnis von globalem Süden und Norden auf: Es spricht über den Lebensraum von Tieren und Pflanzen, der verschwindet, bedingt durch z.B. die Abholzung im Amazonas, die wiederum durch die Politik, die der oben NichtgenannteVgl. die Einzelposition von Raphael Daibert in diesem Beitrag. ermöglicht und ins Masslose geöffnet hat. Oder über die Profitorientierung, die Orientierung am Konsum und an kapitalen Strukturen, die vor allem durch den globalen Norden hervorgebracht und in extremem Masse forciert werden. Was ich daran spannend für unsere Diskussion finde, ist, dass Malm sehr dezidiert herausarbeitet, dass der globale Norden sofort auf die Coronakrise reagiert hat, wohingegen die Reaktionen auf die Klimakrise marginal sind. Er überlegt, was sich daraus ablesen lässt und weist darauf hin, dass diejenigen, die im globalen Norden agieren und leben, sich im Falle der Coronakrise in Bezug auf ihr Leben akut bedroht fühlten. Das Virus greift alle an, vor allem aber diejenigen, die alt und krank sind.Präzisiert werden muss, dass Armut und sozialer Status Faktoren sind, die während der Pandemie nicht mehr verdeckt werden konnten. In einigen Berliner Bezirken wurde das besonders sichtbar: In Kreuzberg entstanden beispielsweise entlang des Kanals Zeltlager unter Brücken. Dieses Sichtbarwerden hat auf politischer Ebene ausser einer Duldung keine Änderungen oder konkrete Handlung nach sich gezogen. Malms Vergleichsanalyse weist auf die Verstrickung hin, die zwischen Kolonialismus und Kapitalismus existiert. An der Armut tritt beispielsweise deutlich hervor, dass sich der Handlungsradius des globalen Nordens während der Pandemie auf Personen(-gruppen) bezieht, die sich ‚innerhalb‘ einer kapitalorientierten Systemlogik befinden. Er fragt also: Wären die Reaktionen genauso gewesen, wenn das Virus hier gar nicht angekommen wäre? Er fragt weiter, was die Gründe dafür sein könnten, dass keine relevanten Massnahmen für die Klimakrise existieren und inwieweit hier ein Zusammenhang ausgemacht werden kann.Vgl. die Einzelposition von Bené Asefa Feireiss in diesem Beitrag.
Ich denke darüber nach, wie Widersprüche Unruhe und Fragen als Möglichkeitsraum eröffnen können und wie ein unruhig Bleiben dazu beitragen kann, Positionen zu verschieben, neu zu sortieren. Auf der anderen Seite glaube ich, dass das, was gerade passiert, dazu führt, dass diejenigen, die als Unterdrückte markiert und marginalisiert werden, durch Positionen des globalen Nordens immer stärker verdrängt, unterdrückt und zur Seite geschoben werden. Ich frage mich, wie diese Verdrängung, Unterdrückung u.a. aufgehalten werden kann? Welche Perspektiven fehlen? Und welche Perspektiven fehlen für ein kollektives Nachdenken zum Klimawandel? Auch hier, in dieser Runde? Und was können wir mit diesem Experiment, eine gemeinsame Mettrage zu legen und darüber zu sprechen, erreichen oder eröffnen? Was hat das mit Ressourcen zu tun und welche Verantwortlichkeiten müssen daraus entstehen? Wo liegt wessen Verantwortung? Und inwieweit werden mit der Frage um Verantwortung wieder binäre Verhältnisse reproduziert, wenn nicht in Betracht gezogen wird, dass die Lösung nicht aus einer Perspektive des globalen Nordens heraus formuliert werden kann? Hier beginnt aus meiner Perspektive der Prozess des Verlernens von Privilegien. Denn ich glaube, es braucht eine neue Form des Denkens. Das ist der Grund, warum mich die Mettrage als Methode und die Kunst als Form interessieren, um nach neuen Formen des Aushandelns und des Verhandelns zu suchen.
KATHARINA STAHLHOVEN
„Was bleibt, was zählt am Ende des Lebens? Ausgehend vom allegorischen Lehrstück ‚Jedermann‘ über das richtige Leben und die Erlösung im Glauben entsteht ein intimes Gespräch über das Vergangene und das Bevorstehende – über das Leben, den Tod, die Einsamkeit, die Gemeinschaft.“ (Lardi/Rau 2020)
Ich werde schnell emotional, wenn ich über Klimawandel nachdenke. Das Thema der Ungerechtigkeit, das ihr auch in den globalen Zusammenhängen benennt und Teil der Klimaproblematik ist, macht mich wütend. Ich habe für die Mettrage Bilder ausgesucht, die in ihren Kontexten scheinbar weit voneinander entfernt sind – hinsichtlich ihres räumlichen Abstands in Kilometern (ein brasilianischer Mensch, dessen Namen wir heute nicht nennenVgl. die Einzelposition von Raphael Daibert in diesem Beitrag., und vermutlich europäische Demonstrant*innen), aber auch hinsichtlich ihrer Spezies (Pflanzen und Menschen) und in Bezug auf den Inhalt (Natur und Technik). Diese habe ich miteinander verwoben und verschnitten. Denn wir und alles sind miteinander in Verbindung, der globale Norden und der Süden etc. Das begleitet uns und sollte uns bei unserem Handeln immer gegenwärtig sein.
Ich möchte euch dazu gerne etwas erzählen. Ich war gestern im Theater, in der Berliner Schaubühne und habe ein Stück von Milo Rau und Ursina Lardi gesehen, Everywoman, eine philosophische Betrachtung der menschlichen Existenz. Für mich wurde in einem Dialog zwischen Ursula Lardi und Helga Bedau deutlich, dass es immer um every woman und jedermann geht, um uns alle, um das ‚wir‘. Die ganze Zeit passieren Ungerechtigkeiten und die ganze Zeit machen wir furchtbare Dinge, die unser Klima permanent verschlechtern. Eigentlich denken so viele Leute gerade darüber nach und trotzdem passiert es die ganze Zeit: Ausbeute von Menschen und Natur – unserer Erde. Diese Ausbeute hat uns in eine weltweite, alle und alles umspannende Katastrophe geführt. In dem Stück gab es einen Moment, der mich an Gespräche während der Pandemie über das Sterben denken liess. Silke, du hattest zu mir gesagt: „Es ist nicht so schlimm, wenn gestorben wird.“ Weisst du das noch? Das ist mir gestern in dem Stück wieder begegnet: das ‚ich‘ und das ‚wir‘. Die Idee, dass wir alle zusammenhängen, kann auch etwas sehr Tröstliches haben. Ich meine damit nicht, dass wir Menschen sterben lassen sollten. Ganz im Gegenteil. Mir geht es um die Verantwortung, die wir füreinander haben und dafür, was wir einander weiter- oder übergeben. Verantwortung auch für die, die nach mir sind. Und dieser abstrakte Gedanke bekommt in Zeiten des Klimawandels etwas sehr Pragmatisches, Angewandtes. Lardi und Baldau unterhalten sich über das Sterben und fragen sich, was im Leben wichtig ist. Ich habe den Eindruck, dass das ‚wir‘ wichtig ist, immer in Abwägung mit dem ‚ich‘ und dem eigenen Handeln. Alles, was ich mache, hat etwas mit dir zu tun, hier in Berlin, aber auch mit ihm in Brasilien, dessen Namen wir heute nicht nennen.
Ich wünsche mir die Welt gemeinschaftlich denkend und handelnd. Eine Welt, die im ‚wir‘ denkt. Wie wir das hinbekommen, weiss ich nicht. Aber vielleicht ist es irgendwie doch möglich? Wenn ich meinen Kindern zuhöre, die 24 und 20 sind, oder dir, Bené, dann hoffe ich, dass eure Generation vielleicht tatsächlich die Power hat, zu empowern, sodass sich Macht verteilt und die Welt als ein ‚wir‘ handeln kann. Aber schaffen ‚wir‘ das? Ich habe einen Podcast über ein Buch Deutschland 2050 (Staud/Reimer 2021) gehört, das mich sehr erschreckt hat. Selbst wenn die Menschheit die 1,5 Grad Erwärmung stoppen könnte, würde sich der Klimawandel erst ab 2050 nicht mehr potenzieren. Wenn dies wirklich stimmt, macht es mir Angst. 2050 werde ich 83 Jahre alt sein. Also könnte ich es mit 83 vielleicht noch erleben, dass die Erderwärmung gestoppt wird. Das finde ich ziemlich schrecklich. Deswegen ist meine Parole: Stärker im ‚wir‘ denken und schnell handeln!
KUNIGUNDE BERBERICH
Für meine Mettrage habe ich intuitiv Bilder ausgesucht und beim Legen in Bezug gesetzt. Ein Haus, das aussieht, als ob es selbst wachsen würde, und ganz unterschiedliche Pflanzen, die drumherum, darauf, daraus wachsen. Also ein autarkes Haus, welches wie ein geschlossener Kreislauf agiert. Das Wasser ist dabei mitgedacht und im Kreislauf integriert. Auf der anderen Seite dieses verdorrte Land, das entsteht, wenn wir masslos so weitermachen. Symbolisiert durch die Pfanne: alles, was ich mir in die Pfanne lege, habe ich selbst verschuldet, gemäss dem Spruch, dass man die Suppe, die man sich einbrockt, auch auslöffeln muss. Der Wasserhahn, aus dem kein Wasser kommt, das versiegte Wasser. Als alles schon gelegt war, fand ich noch das Gitter, welches ich unbedingt ausschneiden wollte, und klebte es über das wachsende Haus. Für mich symbolisiert es das Gefangensein der vielen Utopien und guten Konzepte zum Thema Wohnen und Leben in der Stadt, die schon vor Jahrzehnten, Jahrhunderten entwickelt und gedacht wurden und nur in Teilen bzw. nicht umgesetzt werden.
Zurzeit begleite ich das Projekt Leben und gestalten in der Stadt (Jugendkunstschule 2021) mit Schüler*innen, das mich sicher bei der Mettrage beeinflusst hat. Die Frage des Wohnens und Bauens ist ein wichtiger Aspekt in der Diskussion zum Klimawandel. Einmal ist es die Heizwärme, aber auch Baustoffe wie Beton, die einen enormen Anteil an den CO2-Emissionen haben. In diesem Projekt geht es mir einerseits darum, Ansätze, Konzepte und Ideen zu vermitteln wie z.B. die des Architekten Francis Kéré.Kéré wurde in Gando in Burkina Faso geboren und studierte Architektur an der TU Berlin. In seinen Bauten schafft er es, die lokalen Ressourcen und den tiefen Respekt vor kulturellen Dimensionen einzubinden. Er ist überzeugt: „Falls die Urbanisierung Afrikas nicht ökologisch von Statten geht, riskieren wir eine ökologische Katastrophe für die ganze Welt.“ (Weißmüller 2021: Süddeutsche Zeitung Magazin Nr. 39/2021) Das zeigt: Das Regionale und Globale müssen zusammengedacht werden.
Andererseits versuche ich durch die persönliche Betroffenheit der Schüler*innen ein Umdenken zu erreichen. Dabei gehen wir auf die Strasse und beobachten mit allen Sinnen, denn vieles ist ganz offensichtlich, nur wir haben verlernt, es wahrzunehmen: die stinkenden Abgase, wenn ein Auto nach dem anderen an uns vorbeifährt, das Fehlen von Pflanzen, das Grau in Grau. Wir lernen kleine gelungene Projekte kennen, die wir mit eigenen Augen sehen und auch erleben können, damit das Andere gefühlt werden kann.
Ich vertraue darauf, dass ich in meinen Projekten Samen sähe, die nach und nach aufgehen werden. Durch das ganz Konkrete, das Sensibilisieren für die Folgen und Ursachen des Klimawandels in der eigenen, unmittelbaren Umgebung wird erfahrbar, dass dringend Veränderung nötig ist. Genauso wichtig ist es, erfahrbar zu machen, dass Veränderung auch möglich ist. Es ist wichtig, gemeinsame Utopien zu entwickeln, die uns Menschen im Fokus haben, die motivieren und einen Leitfaden bieten (und selbst wenn sie nicht direkt umsetzbar sind, doch Mögliches einfordern).
WIEBKE JANZEN
Vor drei Jahren war ich in China und habe zum ersten Mal Angst gehabt, einzuatmen – obwohl kein Smog-Alarm war. Diese Erfahrung war sehr existentiell. Da habe ich zum ersten Mal diese ganzen Masken gesehen und auch selbst eine aufgehabt. Heute habe ich von jemandem gehört, dass es Automaten gibt, an denen man sich Sauerstoff ziehen kann – wusste ich auch noch nicht. Als ich zurück nach Berlin kam, war mein erstes Gefühl: Jetzt kann ich mich endlich wieder entspannen, ich kann in Ruhe einatmen… Was für ein Paradies, in dem ich leben darf, auf Kosten anderer Menschen in Ländern, zu denen an diesen ganzen Abständen festgehalten wird, um das alles irgendwie zu sichern... Man weiss es eigentlich, aber es fühlt sich anders an, wenn man es spürt. Dieses Bild verbindet für mich die beiden Krisen. Dann habe ich überlegt: Wie geht es jemandem, der in China lebt? Es gibt diese Luft, die man nicht atmen möchte. Wie ist es, vorgeschrieben zu bekommen, wie viele Kinder man haben darf? Den Himmel durch den Smog der Fabriken nur noch selten zu Gesicht zu bekommen oder die Zwangsumsiedlung ganzer Dörfer? Und welche Perspektive ergibt sich dadurch auf Europa? Das war der Vorbau meiner Mettrage.
Ich habe noch weitere Aspekte eingebaut. Dampf und Feuer – das sind auch Symbole für etwas Schreckliches. Das Land brennt ab, es ist tot, es stirbt durch Brennen und man weiss auch nicht, ob es sich irgendwann wieder erholt, ob ich dann 83 bin oder meine Enkel 83 sind oder gar nichts mehr ist. Der Fabrikturm gehört dazu. Den habe ich so herum gelegt, um nochmal alles andersrum zu betrachten und nicht nur von der einen Perspektive. Dann dieser Mensch hier: Der ist irgendwie verloren, steht da so mit seiner Friedensfahne, aber kann eigentlich nichts machen. Er steht da, vor diesem ganzen Desaster. Und hier ist er nochmal, als Schatten seiner selbst und weiss eigentlich nicht: Wo ist meine Position, was soll ich machen? So fühle ich mich ein bisschen – gelähmt, betäubt... Vielleicht ist es zu individualistisch, zu denken: „ich will jetzt was machen“. Oder ist es eher: „Wir müssen was machen? Wie können wir das machen?“
Dann würde ich jetzt den Bogen schlagen: Das ist ein kleines Fenster. Was ist es eigentlich, das wir möchten? Was ist es, was wir brauchen? Die Natur ist unser Leben. Wir kommen aus der Natur und sie ist da. Wir haben dieses Urgefühl und es gibt noch Menschen, die jeden Tag leben, aber noch nie mit der Natur zusammengelebt haben. Ich wünsche mir, dass wir erkennen, dass wir dahin müssen. Dass wir auch unseren Kindern sagen: Das ist die Natur. Das Haus haben wir gebaut, aber die Natur ist da. Sie ist ein Geschenk, sie ist etwas, was wir bewahren müssen, wo wir immer wieder hingucken sollten.
Ich wünsche mir, dass die Menschen anfangen, nicht nur über Natur zu sprechen, und herausfinden, dass man sich eigentlich sehr gut auch rein über Pflanzen ernähren kann. Das wäre auch ein Wunsch, dass das Normalität wird. Dass wir einfach sagen: Alles ist ersetzbar durch Pflanzen. Jede*r soll den eigenen Weg gehen. Ich will niemanden zwingen, aber das wäre eine Vision.
Die Köpfe habe ich ausgeschnitten, weil ich denke, dass man einen ganz neuen Kopf braucht. Mit dem alten Kopf funktioniert es nicht. Wir brauchen den Kopf einer Pflanze. Wir denken kompliziert, aber das Leben ist für jede Pflanze oder jedes Lebewesen einfach. Es kommt, wird uns geschenkt. Wir sehen, wie es entsteht, weiter wächst und müssen aufpassen, dass es weiter bestehen kann und bewahrt wird. Das können wir nur, wenn wir uns spüren und verstehen, dass die Liebe eigentlich die Wurzel von allem ist. Die Liebe zu uns selbst, die Liebe zu dem anderen Menschen, zu den Pflanzen und der Natur, unserem gemeinsamen Lebensraum. Das ist es, was uns verbindet – auf der ganzen Welt.
KOLLEKTIVE POSITION – EIN GESPRÄCH
„Ailton Krenak: In meinem Buch sage ich, um das Ende der Welt aufzuhalten, muss das Gefühl für gemeinschaftlichen Zusammenhalt wieder gestärkt werden. Man muss wieder in der Lage sein, Freude am Leben zu erfahren, am Tanzen, am Singen. Wir Menschen müssen unsere Subjektivitäten am Leben halten, unsere Visionen, unsere Poetik der Existenz und zugleich Vielfalt wertschätzen. Denn die Menschheit zu vereinheitlichen, ist ein Raub unserer Fröhlichkeit.“ (Orlandi 2020)
LO: I wanted to bring this quote from Ailton Krenak to open up our conversation. Ailton Krenak is a brazilian activist and in Portuguese you say povo originais which means...
RD: Or originários...
LO: Povo Originario – how do you translate this? Like ...
RD: Originário means that someone that is originally from somewhere, which in English doesn’t really translate: autochthonous peoples or...
SB: Authentic?
RD: No, not even... Ancient people one could say. People who come from that specific land.
LO: I like this term very much because it is powerful. When I thought about what to say about climate change/climate crisis from my rich and privileged perspective where it seems rather abstract, I thought about Ailton Krenak. He’s really raising his voice and I thought this must be heard and could guide us into an interesting direction.
RD: And his book has just been translated into German? Ideas to Postpone the End of the World, this is how it’s called, right?
LO: Yes. Auf deutsch: Ideen, um das Ende der Welt zu vertagen.
RD: I highly recommend his thinking.
LO: I thought we could take it as a starting point what he says about solidarity and communal life, as it resonates with what you have said about community, what you have said about the problem of individualism and hypocrisy and also what you said about love and interconnectedness, the question of revolution and so on.
Was bedeutet Verbundenheit zwischen Mensch und Natur?
KS: Was würde es bedeuten, wenn die Menschheit unterginge? Dann würde das Leben nicht aufhören. Vielleicht wäre dies eine Erlösung für die Erde.
LO: Ok, but I think this thought also comes from this ‚western‘ thinking. What I like about Ailton Krenak and his thinking is that there is no difference between human beings and nature. We are part of this unity: earth. Although I like to think in the extreme position, that we are just a glimpse of the eye in this universe, in relation to the evolutionary time code. But we are not something extra, we just lost the connection and we lost the ability, at least here in this society, to create holistic communities or holistic ways of living together.
RD: Yes. And what is important in his thinking that I also find very important, is this non differentiation of human and nature. That’s the basis of my own research, having Krenak as one of my sources. There are many decolonial thinkers that state that the first colonial act was indeed rationalism and the individuation of oneself and the distance from nature. Therefore, looking at nature as something to be explored, colonized etc. The enlightenment and how western philosophy states one understanding of things or „The Understanding“ to quote Denise Ferreira da Silva.Denise Ferreira da Silvas ist praktizierende Künstlerin und Akademikerin. Sie ist Direktorin und Professorin des Instituts “Gender, Race, Sexuality and Social Justice” an der Universität British Columbia. All this to say that the first step of coloniality is the coloniality of the mind, which, therefore, starts then colonizing other land or people, other ways of thinking bringing in one superior thinking to others. So, the othering starts off from this. Other possibilities of thinking and being, having Ailton Krenak as one exemple, comes from indigenous thinking, black thought or black critical thinking, and/or queerness. If there weren’t these possibilities of different world making, of imagining worlds otherwise or of building worlds otherwise, there would be no other possibility, right? Not only because of the capitalist system that we live in, but also because of the state of mind we live in that leaves no space for these alternatives, these other ways of being.
WJ: Like people who colonize, we behave to nature. And maybe, what you said at the beginning, we take ourselves too seriously, but we are not. And we think it is too complicated and always looking for someone who is guilty.
KB: Ich kann den Gedanken von Katharina sehr gut nachvollziehen. Der Gedanke, dass die Welt überleben kann und den Menschen nicht braucht, finde ich ein bisschen befreiend. Es hilft mir, das Leid, das wir der Natur antun, besser zu ertragen und motiviert mich, mein Bemühen, auf die Natur zu achten, weiterhin stringent zu verfolgen.
SB: Aus meiner Perspektive birgt der Begriff der Befreiung zwei Seiten, auch darauf bezogen, was du sagst. Mir wäre wichtig, dies zu präzisieren, zu differenzieren, auszuarbeiten oder weiter zu denken. Denn in dem Moment, in dem wir sagen, die Natur regeneriert sich selbst, eröffnet sich die Möglichkeit, sich darauf auszuruhen. Und diese Möglichkeit finde ich schwierig. Das ist für mich keine Option. Damit wird das, was Raphael und auch Lukas gerade angesprochen haben, relativiert. Ich spreche von Bewusstsein. bell hooksbell hooks ist feministische Pädagogin, Literaturwissenschaftlerin, Autorin und Aktivistin (vgl. hooks 1994). sagt, dass es ein Bewusstsein für das Gegenüber braucht und dieses Bewusstsein gelernt werden muss, damit wir das Gegenüber überhaupt sehen können. Dafür braucht es allerdings die Reflexion über die eigene Position. Damit einher geht das Verlernen der eigenen Position, das Verlernen der Privilegien, die jede*r von uns hat. Mir ist wichtig, diesen Aspekt zu bedenken, wenn wir darüber sprechen, was dieses Befreitsein bedeutet im Verhältnis zu einer Natur, die sich selbst regeneriert.
KB: Nein, das widerspricht dem gar nicht. Ich finde, es ist eher so, dass ich als Mensch mich noch mehr anstrengen muss, weil ich nicht überleben kann, wenn mein Lebensraum zerstört ist. Ich muss nicht die Natur ihretwegen schützen, sondern unseretwegen. Ich finde, es widerspricht dem gar nicht, sondern es macht es noch absoluter!
BAF: Der Grundgedanke zum politischen Handeln bleibt hierbei jedoch stets die persönliche Betroffenheit. Um sich jemals wirklich solidarisch zeigen zu können, müssen wir auch jenseits der eigenen Betroffenheit eine Praxis entwickeln. Wir sprechen ja stets von einem kollektiven Ansatz. Eingeladen für dieses Zusammenkommen wurde ja beispielsweise mit dem Arbeitstitel Ein kollektives Nachdenken zum Klimawandel. Jede Bemühung, einen kollektiven Ansatz zu entwickeln, sollte meinem Verständnis nach erst einmal anerkennen, inwiefern wir gerade nicht gemeinschaftlich und kollektiv sind. Sei es die Pandemie oder Klimakrise – wir erfahren sie einfach nicht gleich. Die eigene ökonomische Stellung in der Gesellschaft, aber auch der Zugang zu Kulturgütern haben einen wesentlichen Einfluss auf die Art und Weise, wie wir diese Krisen erleben und wahrnehmen. Was für Rückzugsorte haben wir? Was für ein Rückzugsort ist unser Zuhause? Ist unser Zuhause ein gewaltvoller Ort? Oder zum Thema Schule: Wenn ich zum Beispiel meine ehemaligen Mitschüler*innen angucke, mussten sich viele einen Laptop mit sechs Geschwistern teilen, welche alle auf einmal im Homeschooling oder irgendwo anders in der Ausbildung sind. Das ist nicht einfach unsere Krise. Ja, mein Körper ist vielleicht genauso dem Virus ausgeliefert wie der einer anderen Person, wenn ich mich infizieren würde. Trotz alledem sind die alltäglichen Folgen nicht die gleichen. Erst wenn man dies anerkennt und angeht, kann man von einem kollektiven Ansatz sprechen. Und das gilt beim Klima genauso. Die Klimakrise stellt eine Bedrohung für die gesamte Menschheit dar und bringt für viele bereits heute Leid und Elend. Doch die Klimakrise ist nicht lediglich eine Frage der Menschheit als homogener, gleich schuldigen Einheit. Die Klimakrise ist eine Klassenfrage: Sie ist eine Frage von Arm und Reich, von Herrschaft, Macht und Ohnmacht. Weltweit leiden die an den Rand gedrängten Bevölkerungsteile besonders unter den ökologischen Krisen. Dabei bestimmen die gesellschaftliche Stellung massgeblich, wie stark man diesen Risiken ausgesetzt ist, aber auch inwiefern klimapolitische Massnahmen, beispielsweise eine CO2-Steuer, einen im alltäglichen Leben einschränken.
KB: Ich finde dies genau richtig. Andererseits gibt es die Diskussionen auf politischer Ebene. Es geht auch um Politiker*innen, die die Möglichkeit haben, heute schon Dinge zu verändern. Es steckt ein patriarchalisches Denken hinter der Annahme, als Politiker*in könne man mit nur etwas mehr Geld für Klimaschutz eine Veränderung bewirken. Da steckt der Gedanke der Abhängigkeit dahinter, das Denken, die Natur sei von uns Menschen abhängig. Das gleiche Denken wie der restlichen Welt gegenüber. Die Frage ist: Wie kann man diese herunterbrechen? Wie viel radikaler müsste das Handeln sein, wenn uns allen bewusst wäre, dass Klimaschutz zu betreiben erstmal uns selbst schützt. Und auch: Schützen zu müssen! Den Schutz als Verpflichtung anzusehen. Die Pandemie hat auf viele Missstände in unserer Gesellschaft hingewiesen und es wurde leider nicht die Chance genutzt, Veränderungen anzuschieben. Letztendlich wollen die meisten Menschen die alte Normalität zurück. Das enttäuscht mich sehr!
LO: But it also brings up the question: Who saw it through the crisis only...? The bigger part of the world-population already knew it before, it’s just ‚us‘ in our little bubble here, who suddenly realized: the crisis is affecting us, too. When Ailton Krenak was asked, what the new government in Brazil in 2018 would mean for him and the indigenous people, he said: „It’s nothing new, it’s just another chapter in the struggle of the povo originarios that’s been going on for 500 years.“
BAF: Als ihr das Zitat von Ailton Krenak vorhin angeführt und davon die ‚non differentiation of human and nature‘ abgeleitet habt, musste ich direkt an das Konzept der environmental personhood denken. In Neuseeland zum Beispiel wurde der Whanganui Fluss, der für die indigene Bevölkerung eine grosse Bedeutung hat, 2017 als legale Person anerkennt (vgl. Evans 2020). Das bedeutet, dass der Fluss, wenn er irgendeiner Gefahr wie z.B. Umweltverschmutzung ausgesetzt ist, Anzeige erstatten kann. Er kann auch Eigentum besitzen, Verträge eingehen und selbst angeklagt werden. Ähnliche Entwicklungen kann man in dem costaricanischen Dorf Curridabat beobachten (vgl. Greenfield 2020). Während solche Gesetzgebungen meist rein symbolische Akte bleiben werden, ist dies, glaube ich, ein Beispiel von Wichtigkeit für den Klimadiskurs. Es wird andauernd von Verbotspolitik und irrsinnigen Einschränkungen unserer Freiheit durch Klimapolitik gesprochen. Wenn wir die Natur jedoch als etwas auffassen würden, das eigene Rechte hat, die sie auch einfordern darf, würde die ganze Absurdität dieses Diskurses zum Vorschein kommen.
RD: Good that you bring this up because if we think of Denkmalschutz, there is this Brazilian architect and scholar called Paulo Tavares who has a research project around trying to make forests as part of a human Denkmalschutz. There is this understanding that the forests themselves are also somehow affected by human presence, but not through a destructive human presence, but a generative one. If Denkmalschutz should be something that is historic or built by humans, forests also should be. It is exactly how to use the system we already have, the words we already have, the law that we have and apply it to some other sorts of protection.
LO: If all beings on this earth are a community and we would bring it into legal forms, then this is a process of making visible that there are different protagonists which are all having rights and taking part in one community with rights and interests.
SB: Donna Haraway is talking about bodies, bodies as human beings as well as things. Everything is a body. Haraway is talking about Standpunkte in Bewegung, positions in a movement. In der Begegnung entsteht dieser Austausch, ausgehend von der Interaktion. Communication, understood as experience, as movement, as a kind of expression and recognition is connecting bodies to each other.
WJ: I want to say that nature gives us, but nature never expects something back, and that’s the difference to human beings. That would be a thing maybe which would help. To change.
KS: Die Natur macht keine Fehler. Es gibt keine Fehler. Alles ist gleichberechtigt nebeneinander. Trauben hängen in der Weinrebe eng beieinander, reif und faul, knackig und matschig, manchmal schon verschimmelt. Der Mensch ist derjenige, der alles gleichförmig machen möchte. So wie Kinder heutzutage teilweise Obst und Gemüse nur noch aus dem Supermarkt kennen, entfremdet von der Natur, eine Tomate, die eine ‚Stelle‘ hat, gar nicht essen wollen. Hier sehe ich einen Übertrag zur Akzeptanz von Fehlern. Vielleicht müssen wir sowieso aufpassen mit dem Wort Fehler? Vielleicht müssen wir aufhören, es zu verwenden.
Welche Bildung braucht unsere Welt?
WJ: Kinder sind oft sehr streng mit sich selbst. Kids are very very … They get angry when they play a game. They get angry because they want to win. In Bezug auf eine Fehlerkultur bedeutet das aus meiner Perspektive auch, dass ein Misslingen nicht als Fehler betrachtet werden sollte, sondern als Möglichkeit, als etwas, woraus jede*r lernen kann. Erziehung und Gesellschaft sind Verstärker. Sie können in Bezug auf das genannte Beispiel verstärken, dass Kinder gewinnen möchten, Fehler als Fehler betrachten und deswegen böse werden. Oder aber sie verstärken, dass wir Fehler als etwas anerkennen, das wichtig ist, um sich zu verändern und weiterzuentwickeln.
KS: Denn für was bilden wir Kinder in unserem System Schule aus? Welche Bildung braucht unsere Welt, um zu lernen, was wir können müssen? Um die Welt zu retten? Das System Schule, das wir es zurzeit haben, beruht auf einer Richtig-Falsch-Logik und ist nicht prozessual angelegt. Ich denke aber, dass die Menschheit für die Zukunftsaufgaben in Teams und Kollektiven gemeinsam zu Lösungen zu kommen muss. Und deswegen glaube ich ganz fest daran, dass wir in der Schule von Benotungen und dem damit verbundenen Kampf wegkommen müssen. Das ist ein kapitalistischer Ansatz, der in unseren Bildungsformen steckt, der zu Haltungen erzieht, mit denen wir die Welt nicht retten können. Ich habe vorhin gesagt, dass ich an die Fähigkeit des Empowerns der jungen Generation glaube. Aber über wen spreche ich? Auch eine Generation beschreibt sich nicht mit einem einzigen Wir. Ich bin sicher, dass die Menschheit umdenken muss und die Bildungssysteme verändert werden müssen, um das Denken zu verändern.
SB: Aus meiner Perspektive betrifft die Forderung, das Bildungssystem zu ändern, ähnliche Faktoren, die auch auf den Klimawandel oder Covid-19 zutreffen. Immer wieder stossen wir in unserer Diskussion auf Widersprüche. Meines Erachtens verweisen sie auf die Reproduktion universalistischer Prinzipien. Spivak spricht bei den Widersprüchen, die diesen universalistischen Prinzipien inhärent sind, von double binds, die sie ausgehend von den UN-Menschenrechten herausarbeitet (vgl. Spivak 2008). Entlang der double binds wird deutlich, „dass etwa eine humanistische Bildung zwar einerseits verspricht, dass alle dieselben Möglichkeiten haben, aber andererseits gleichzeitig die Chancen für Bildungserfolg spezifischen sozialen Gruppen kontinuierlich versperrt [bleiben].“ (Castro Varela 2016: 159) Das Prinzip der GleichheitGleichheit wird hier im Kontext der Menschenrechte gelesen, d.h. im Kontext eines Konzeptes, das durch den globalen Norden etabliert wurde und aufrechterhalten wird. basiert auf einem hegemonialen, Differenz produzierenden und universalistischen Kulturbegriff. Damit einher geht eine Reproduktion kolonialer Strukturen. Spivak führt das aus: „The construction of the postcolonial subject was to code the failure of decolonization as multiculturalism, in metropolitan space, to race, itself rewritten as a fantasmatic national identity as its subject. So if the first was class, the second is race as multiculture – cultural rights.“ (Spivak 2012: 105) Das Konzept des (Multi-)Kulturalismus ist nicht nur ein eurozentristisches. Es dient vor allem dazu, entlang eines status quo – einem als universal geltenden Kulturbegriff – andere Kulturen einzuschätzen und aus einer sogenannten multikulturellen Perspektive heraus eine Überlegenheit zu formulieren.
KB: Ich bin überzeugt, dass der Dreh- und Angelpunkt die Bildung ist. Hier hoffe ich auf eine ganzheitliche Bildung, die zum reflektierten Handeln befähigt und somit zum Denken über den eigenen Tellerrand hinaus. Und doch stelle ich mir die Frage: Wie kommen die vielen wichtigen Dinge, die gedacht werden, bei allen an? Wie kommen wir zu dem ‚wir‘?
LO: This is the core of the question of connection. If we find ourselves in a state of disconnectedness, it is not about how to reconnect with nature, but it is really about how to reconnect with ourselves. Because this is the connection with the world, with ‚nature‘ and everything else. I don’t know if this is too simple, but it totally resonates with me.
RD: Simple acts are making more and more sense. Let me be the devil lawyer on the notion of the ‚wir‘, on this ‚we‘, because there is a ‚we‘ that I have no interest in being part of. Like the one that Bolsonaro is part of, for example. The idea that there is a human kind as one entity is a fallacy. It doesn’t exist. The failure is in that. In this universalism, or in this thinking that things can be the same to others or that things can be universal. I wanted to bring that up as well.
LO: It brings up the topic of diversity and uniting humanity into one or uniting this diversity into one (im Sinne von Vereinheitlichen). As Ailton Krenak says: Das ist „ein Raub unserer Fröhlichkeit“. I find the lightness of his language extremely impressive, because for me it is a problem or a big question: how do we talk? There is a lot of super theoretical language. It becomes such a heavy...
RD: ...dark cloud. Yeah, but that’s just because we are talking to each other here, in this realm, and we tend to feed this bubble, in the intellectual realm of living. The wonderful work of Ailton Krenak shows clearly that the simplier you can explain things, the greater the reach. That’s the wonderful educational work that one can do. The effect of it is bigger and that’s why indigineous knowledge makes so much sense, that’s why the way that Krenak speaks is so graspable. It’s a treasure. Because it’s from inside, from his connectedness and it’s from the situatedness. It’s interesting to think effect through affect. Taking into account heartily affect and the impact, the effect it has. This is for me a very important pedagogical tool, and Krenak (and not only he) has it in his practice and knowledge.
SB: Ich denke, es geht um Gegenseitigkeit. What is knowledge? I think that knowledge is something we feel, we smell, we taste. Knowledge is this interconnection between things and me, something which opens up to connect to. And I think the way, how a classroom is disciplined, disconnect us from this interconnectedness. Kurz, indem wir universale und vereinheitlichte Strukturen vorgeben, gehen die Verbindungen verloren. Das hat alles etwas damit zu tun, was du gerade gesagt hast, mit der Einfachheit der Worte. Denn auch die Bewegung der Körper wird getrennt von dem, was vermeintlich gewusst werden muss. Und durch diese Trennung wird das Wissen über, mit und zueinander aufgeweicht. Disconnected eben.
KB: Es hört sich einfach an, aber ist ein schwieriger Weg. Sich einerseits bewusst zu machen, was ich sein soll (theoretisch), und es andererseits tatsächlich zu fühlen, was ich bin. Ich arbeite schon länger daran, mit mir in Kontakt zu kommen und tatsächlich zu fühlen, was ich denke, zu fühlen und zu spüren, was ich denke zu spüren. Das ist wirklich ein harter Weg. Dabei beschäftige mich mit dem Erfahrbaren Atem nach Ilse Middendorf (vgl. Middendorf 1985). Eigentlich geht es darum, den Atem fliessen zu lassen, zuzulassen, dass mein Körper weiss, was er braucht, was ihm guttut, sich zu spüren und einfach geschehen lassen. Mit sich im Kontakt zu sein, authentisch zu sein, bedeutet für Lehrer*innen in wahren Kontakt mit den Schüler*innen zu treten. Es könnte so einfach sein, denn eigentlich sind wir als Säuglinge noch eng mit uns selbst verbunden. Ich sehe es besonders bei meinem Enkel. Er macht intuitiv alle Bewegungen, Übungen, die ich mir mühevoll wieder bei der Atemtherapie aneignen muss, um in Kontakt mit meinem Körper zu kommen.
WJ: Weil wir so ein ‚wir‘ schaffen möchten.
Was bedeutet dieses Wir?
LO: I think this has to do with what was said before. Is creating a ‚we‘ the false thing or the false strategy? How do we come to an understanding of ‚we‘, if we’ve lost the productive understanding of it?
WJ: Maybe which ‚we‘ do we want...?
LO: In the sense of what Rapha said about diversity and Silke said about interconnectedness, we need a ‚we‘ but one that is diverse and capable of dealing with ambiguity. The core question of pedagogy or education was: do we need to educate the human being in order to not end up barbaric or is it that we through education create the barbarisms? Most pedagogy was built on the belief that we are barbarians and every attempt to create a ‚we‘ was informed by this concept. When you’ve described how incredibly intelligent babies and kids are, I agree and say: it’s not the question how we can educate them (how we drag someone into this or that corner) but how we create spaces where this potential can live in its own form? Why do we still think so much in this image of an empty vessel that needs to be filled? It needs a different form of education: more listening, more careful observation and, although it sounds paradoxical, a leadership that follows (the expressions/forms of all beings). And this needs vulnerability because this is a highly flexible, perceptive state of mind, a very vivid way of being…
SB: Ja, ich glaube, es könnte dabei um genau dieses ‚verletzlich Bleiben‘ gehen. Aber auch darum, etwas zu riskieren.
BAF: I wanted to connect to what you were saying about barbarism: is it something inherent to human nature or is it something that we learn, and need to unlearn? Ich finde, in dem vorherrschenden Denken gibt es zwei diametral entgegengesetzte Naturbegriffe. Einmal die Natur des Menschen im Sinne einer neoliberalen Ideologie, also die Überzeugung, der Mensch sei von Natur aus egoistisch, konkurrenzorientiert und nur nach materialistischen Interessen strebend. Und aufgrund dieses Menschenbildes werden der Kapitalismus und all die Erscheinungen, die er mit sich bringt, legitimiert. Wir können aber beobachten, wie die Symptome dieses Denkens, die Folgen, die es mit sich bringt, nicht mit der Natur im ökologischen Sinne vereinbar sind. Und da müssen wir schon anerkennen, dass wir entfremdet sind.
LO: Ja, mensch kann das auf sehr simple Weise erleben, wenn wir beispielsweise die grundlegenden Dinge wieder verbinden. Carry your own bricks and you know what it means to have a warm stove. But also dig for your own coal and you see how you literally eat up the earth. Können wir das wirklich aushalten, wenn wir die Abstraktion aus den Zusammenhängen zwischen unserem Konsum und den Folgen für die Welt nehmen würden?
BAF: Thinking about the topic of today’s workshop, I was looking for ways to escape the European, western gaze. One question that I found quite interesting was: What effect does a recent history of systematic ecocides – as regularly seen in colonized areas – have on the local ecological philosophy? How does it maybe influence their decolonial struggle?
So, I looked at the Kurdish people and their struggle for freedom also from an ecological perspective, whether it’s in Bakur or Rojava. A good example is the ongoing revolutionary project of Rojava. From the ruins of the old society, a new model of living together is arising. And with it the impulse to tackle a fundamental change in the system that originally brought all the misery to the region. This full awareness of the prevailing grievances and their causes must always generate consistent ecological awareness. That is why local campaigns like Make Rojava Green Again list ecology as one of the pillars of their revolution. I would like to read the following quote from their website: „People who are alienated from nature, are alienated from themselves, and are self-destructive. No system has shown this relationship more clearly than capitalist modernity; environmental destruction and ecological crises go hand in hand with oppression and exploitation of people. The feckless mentality of maximum profit has brought our planet close to the edge of the abyss, and left humanity in a whirlwind of war, hunger, and social crisis. Because of this, developing an ecological society is a pillar of the Rojava Revolution, alongside women’s liberation and a total democratization of all parts of life. This is about more than just protecting nature by limiting damage to it; it is about recreating the balance between people and nature. It is about a ‚renewed, conscious and enlightened unification towards a natural, organic society‘.“ (Make Rojava Green Again 2020) That quote deeply resonates with me and I think it goes into a lot of points that we were talking about. Leftists all over the world talk about intersectionality. Here we see it, and what it means in practice.
RD: I wish all left talked about intersectionality.
Was soll denn noch kommen?
KB: Für mich war es anfangs ein positiver Aspekt von Corona, dass es scheinbar auch für Politiker*innen offensichtlich wurde, dass sie nicht alles im Griff haben. Sie waren teilweise sprachlos und irritiert. Ich hoffte auf ein wesentliches Umdenken. Das wäre eine Chance gewesen, radikal Dinge zu verändern. Ich bin enttäuscht, dass es scheinbar nur darum geht, zur ‚Normalität‘ zurückzukehren.
WJ: I can see a lot of people changing due to the pandemic. A lot of people, I know. Their perspectives shifted more to climate questions and what is important to do. Or they identified other possibilities of living. This change of perspective made them focus on other priorities in life.
KS: Sind es wirklich viele Menschen? Ich sehe eine Leerstelle, die nicht besetzt wurde. Wir sind weiter im Effizienzdenken geblieben. Die ‚Normalität‘ soll für alle wieder hergestellt werden. Aber was ist denn normal? In der Pandemie wird uns Normalität als etwas Schönes suggeriert, das uns als Belohnung für Verzicht in Aussicht gestellt wird. Dass unsere bisherige, vorpandemische Normalität aber eine weltweite Ungerechtigkeit beinhaltet, wird nicht benannt. Wir verpassen die Chance, aus unserer Normalität rauszugehen, um etwas Neues zu entwickeln. Das werfe ich der Menschheit vor. Was soll denn noch kommen? Ich habe letztens einen Minivortrag von der Klima-Forscherin Dr. Antje Boetius gehört. Sie sagte, im letzten Jahr, 2020, sei der CO2-Ausstoss so gering wie noch nie in den letzten hundert Jahren gewesen. Aber leider hat es überhaupt nichts bewirkt. Wir hatten eine mega Ausnahmesituation, aber unser Klima-Thermometer hat nicht ausgeschlagen und die Menschheit hat nichts verstanden. Das macht mir beides Sorgen.
BAF: Ja, das war eine historisch erklärbare Emissionssenkung. Aber es hat ja bei den meisten Menschen gar kein nachhaltiges Verändern mit sich gebracht. Ich meine nachhaltig im Sinne von: Wie beeinflusst diese Erfahrung meine gesellschaftlichen, politischen Forderungen an...? Stattdessen hört man nur Dinge wie: Wir wollen wieder zurück zur Normalität, zum normalen Leben. Die Frage wie normal dieses Leben denn war, ist völlig untergegangen. Denn wenn wir zur ‚Normalität‘ zurückkehren, dann wird es mit Sicherheit keine derartigen Emissionseinsparungen geben.
KS: Wir dürfen nicht mehr so normal weiterleben und brauchen eine neue Art zu leben – meinst du das?
BAF: Ja. Viele Menschen hier, in Deutschland oder generell im Westen Europas sind jetzt geimpft. Wir können zu einer gewissen Normalität, was auch immer das heisst, zurückkehren.
RD: Wir können. Hier ja.
BAF: Aber was heisst das? Warum sprechen wir weniger darüber? Thema Neokolonial. Das ist doch ein perfektes Beispiel, die globale Impfpolitik. Eine Absurdität.
KB: Genau das wäre die Chance gewesen. Corona ist eine globale Geschichte und kann deshalb nur global gelöst werden. Es wäre eine Chance gewesen, sich wirklich als ‚wir‘, als eine Welt zu erkennen. Und nun ist es wieder so, dass manche Länder vorgeprescht sind und denken, von sich aus ein Vorrecht auf Impfung zu besitzen. Es enttäuscht mich sehr, dass nicht nachhaltig bewusst geworden ist, dass nur im ‚wir‘ die grossen Herausforderungen der Zukunft angegangen werden können.
SB: Dieses ‚hier‘ erzählt wieder davon, dass es u.a. eine ökonomische Frage ist und wieder nur bestimmte Menschen betrifft. Lokalisiert im Globalen Norden. Andere, marginalisierte Positionen und Perspektiven bleiben ausgeschlossen. Die Norm wird reproduziert. Unbenannt bleibt, dass Ungleichheitsverhältnisse die Grundlage für eine maximale Akkumulation von Kapital sind (vgl. Spivak 2008b: 119-24).
„Wir sind schlimmer als COVID-19. Die [...] Menschheit [...] befindet sich in einer zivilisatorischen Abstraktion, die jede Diversität unterdrückt und die Pluralität der Lebensformen, Existenzen und Lebensweisen verleugnet. [...] Der Menschheit nach diesem Modell fühle ich mich nicht zugehörig, fühle mich von ihr ausgeschlossen.“ (Krenak 2021: 111f.)
Literatur
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