3 FRAGEN AN ... Konstanze Schütze
Abstract:
In Kunstzeitschriften gibt es Beiträge zu aktuellen Ausstellungen. Das SFKP e Journal möchte dieses Format auf das Feld der Kunstpädagogik übertragen, indem pro Ausgabe ein kunstpädagogisches Projekt vorgestellt respektive eine kunstvermittlerische Position einer Person oder eines Kollektivs sichtbar wird. Die Vorstellung wird in loser Form stattfinden. Als Momentaufnahmen kunstpädagogischer Praxis verstanden, können die Antworten in Bildern, Texten und_oder anderen medialen Zusammenhängen eingereicht werden.

1. Du schreibst von signifikant verkürzten Abständen zwischen Aktionen und Reaktionen auf Social Media (Schütze 2016) — inwiefern spielt das eine Rolle in der schulischen und ausserschulischen Kunstvermittlung?

Unter den Bedingungen der Gegenwart ist das Einzelbild eine stets temporäre Erscheinung mit kurzen Aufmerksamkeitszeiträumen. Im Jahr 2013 wurden allein bei Instagram pro Sekunde 58 Fotos hochgeladen.SEO united (2013): „Das Internet in Zahlen“, online unter: https://www.seo-united.de/blog/internet/das-internet-in-zahlen-2.htm [13.02.2018]; Zum Vergleich: We Are Social/Hootsuite (2017): „Digital in 2017. Global Overview. A collection of internet, social media, and mobile data from around the world“, online unter: https://www.slideshare.net/wearesocialsg/digital-in-2017-global-overview [13.02.2018]. Eine Zahl, die sich über die Jahre bereits unvorstellbar vervielfacht haben sollte. Einzelbilder können sich zunehmend nur noch für einen Augenblick behaupten und unterliegen den Halbwertszeiten der sozialen Netzwerke ebenso wie den Erneuerungsschleifen der Algorithmen. Die verschiedenen Ausprägungen von kurzlebigen Social-Media-Challenges bis zum anhaltenden Katzen-Hype zeugen täglich davon. Einzelbilder sind temporäre Erscheinung in einem Meer von beinahe unendlich vielen weiteren Bildern. Für künstlerische Originale ist die Lage also mehr als unübersichtlich und auch ein wenig hoffnungslos geworden. Um trotz der hohen mengenmässigen Unterlegenheit gegenüber trivialeren visuellen Beiträgen zu bestehen, sind Kunstwerke auf Allianzen mit ihren teilungsfreudigeren Avataren, Versionen, Variationen angewiesen. Die Mona Lisa, deren Original im Salle de la Jocond ein der Gemäldesammlung des Louvre in Paris hängt, hat allerdings gleichzeitig mindestens 22,8 Millionen Avatare, Versionen und Kopien online und erfreut sich beinahe universeller, kulturübergreifender Bekanntheit. In der Folge dieser Bekanntheit und der strukturellen Omnipräsenz ihrer Abbildungen — online wie offline — scheint sie geradezu dazu aufzufordern, auch ohne Kenntnis des Originals oder dessen Entstehungskontexts, permanent vervielfältigt und erweitert zu werden. Erfolgreiche Bilder der Gegenwart nutzen diese memetischen und viralen Effekte, also ihr Verbreitungspotenzial (vgl. Shifman 2014).Virals sind Inhalte, die im Internet eine besonders hohe Verbreitung in kurzer Zeit erfahren, dabei aber meist unverändert bleiben. Meme ergeben sich erst aus ihren Versionen, und treten in Gruppierungen von Variationen auf, können aber auch virale Verbreitungsmuster aufweisen. Um derartige Verhältnisse am Bild nun bestimmen und untersuchen zu können, sind die herkömmlichen Beschreibungen am Visuellen leider ein wenig unbrauchbar geworden. Als Kunstvermittler*innen und Kunstpädagog*innen müssen wir grundlegend umdenken.


2. Du hast den Begriff „Entität Bild“ (Schütze 2019) geprägt, um das Bild getrennt von seiner Materialität zu analysieren. Was fasst die „Entität Bild“ und welche Handlungsmacht hat sie?

Über das Neue und Besondere des Digitalen sind wir ja bereits hinaus. Mehr oder weniger versiert und aktiv richten wir uns in den sozialen, politischen, technologischen und wirtschaftlichen Veränderungen ein. In meiner Forschung untersuche ich allerdings nicht die Normalität oder Gewohnheit in der Digitalität, sondern die Potenziale für Bildung in der Begegnung mit Gegenwartskunst innerhalb dieses Bedingungsgefüges. Mir geht es darum, ein Angebot zur Verständigung zwischen Bild- und Kunstorientierung in der Kunstpädagogik zu formulieren und eine produktive Schnittfläche für eine emanzipatorische Praxis am Visuellen zu konturieren. Der recht einfache Vorschlag dabei lautet: Lasst uns Gegenwartskunst als Durchdringungsversuche der Gegenwart verstehen und sie als relationale Praxis am Bild untersuchen. Im ersten Schritt wäre dann die ungebrochene physische Einheit (u.a. als Foto, Tableau) von Bildern aufzulösen und von komplexeren Verhältnissen am Bild auszugehen. Im zweiten Schritt sollten Bilder weniger als Material oder passive Dinge verstanden werden, sondern als vielseitige Akteur*innen im Sozialen wie Politischen ausdauernde Untersuchung erfahren. Dafür ist es zum einen notwendig, sehr viele der überlieferten Annahmen über das Bild infrage zu stellen und zum anderen gehören Studien ihrer Verbreitungseigenschaften genauso unabdingbar dazu wie die angrenzenden Netzwerklogiken. Die traditionelle Analyse visueller Artefakte spielt daher bei der Annäherung leider nur noch eine untergeordnete Rolle. Bilder und Bildkomplexe müssen in ihren wahrnehmungs- und netzwerklogischen Aspekten transdisziplinär untersucht werden und ihre agentiellen wie relationalen Anteile sollten dabei stärker in den Vordergrund gerückt werden. Das versuche ich mit der Formulierung „Entität“ zu fassen zu bekommen. Einfach gesagt: Was macht die Mona Lisa zur Mona Lisa? Welche historischen Bedingungen, Ereignisse, medialen, politischen und kommunikativen Verstärkungseffekte (z.B. Plattformen wie Instagram) trugen zu ihrer Zirkulation bei? Wie behauptet sie sich weitestgehend ohne kunsthistorischen Kontext in den medialen Praxen vieler Generationen? Welche Handlungsmacht ergibt sich aus der Ansammlung ihrer mittlerweile in die Millionen gehenden Versionen online? Inwieweit sind die Erkenntnisse auf die Gegenwartskunst übertragbar? Eine Kunstwissenschaft, die sich stärker als digitale Forensik und Bildanthropologie versteht, aber auch eine Kommunikationswissenschaft, die sich im Sinne einer digitalen Virologie im Habitat Internet verstünde, wären traumhafte Partner*innen für die Kunstvermittlung, wie ich sie mir vorstelle.


3. Soziale Netzwerke (speziell Instagram) haben immer mehr Reichweite und Einfluss. So auch in der Kunst. Sie operieren mit strengen Nutzungsbedingungen, die queere und feministische Kunst bzw. gender-non-konforme Körperdarstellungen oft ausschliessen, silencen. Wie soll sich die Kunstvermittlung zu diesen diskriminierenden Räumen (z.B. Instagram) verhalten? Welche Rolle kann die Kunstvermittlung einnehmen?

Die Zensuren bzw. automatischen Filter bestimmter visueller Markierungen bei Social Media Anbieter*innen sind ein sehr wichtiger und oft unterschätzter Anteil von Kommunikationskultur(en) online. Die Kunstpädagogik ist hier zweifach gefragt: zum einen als Labor und medienpädagogisches Setting für künstlerische Forschung, aber auch als kritischer Reflektionsraum an medienpädagogischen Untersuchungen. Wenn Kunsträume in Schulen z.B. auch Erprobungskanäle für Netzwerkeffekte an Bildern wären, würden die Konsequenzen problematischer Kommunikation für die einzelnen Teilnehmer*innen in sicheren Räumen erfahrbar(er), reflektierbar(er) und könnten auch in eine gestalterische Übersetzung führen. Die Kunstpädagogik überlässt hier zu oft der Medienpädagogik und politischen Bildung das Feld. Das ist schade und auch ein wenig verschwenderisch. Mein persönliches Forschungsinteresse widmet sich allerdings eher den vielfältigen Kombinationen von Benachteiligung und deren Verstärkungsmechanismen (u.a. algorthmic biases). Dabei interessieren mich vor allem die künstlerischen Visualisierungs-, Durchdringungs- und Verdichtungsstrategien. Theater und Museen sind utopische Räume, in denen Ideen in Bilder verwandelt werden. Das ist ein noch viel zu stark unterschätztes Potenzial. Eine Weise, dem kunstpädagogisch gerechter zu werden, heisst für mich, künstlerische Arbeiten als Beiträge zum Verständnis der Gegenwart zu begreifen. Deshalb lege ich in Zusammenarbeit mit Festivals und Theatern transdisziplinäre Workspaces und Forschungswerkstätten an, in denen sich Expert*innen verschiedener Disziplinen (u.a. Technikphilosophie, Ingenieurs-, Kommunikationswissenschaften, Bildungstheorie) über künstlerische Arbeiten an transdisziplinären Forschungsfragen zu einer algorithmisierten und medial geprägten Gegenwart austauschen. Eine wichtige Vertikale dabei: Wie können Diskriminierungserfahrungen und strukturelle Ausgrenzungen in wissenschaftliche und designtheoretische Prozesse einbezogen werden? Wie können wir versteinerte Positionen verlassen, alternative Erzählungen einbeziehen und diese Erfahrungen in wünschenswerte technische Strukturen umsetzen? Unter anderem müssen wir mit gefährdeten Gruppen solidarischer werden und auch gemeinsam Schutzinstrumente (Hassfilter, etc.) von den Organisationen und Plattformen einfordern. Welche Instrumente und Anpassungen sind dabei wünschenswert und wie sollte deren Umsetzung begleitet, diskutiert und realisiert werden? Da geht es vor allem um Erfahrungsberichte marginalisierter Gruppen, den experimentellen Nachvollzug von technischen Unsichtbarkeiten, aber auch um signifikante monetäre und wissenschaftliche Investitionen in die handgreifliche Lösung dieser Probleme.

Wichtig ist mir hierbei nicht zu vergessen: Das Visuelle ist in seinen Gesten bereits kolonisiert und kapitalisiert. Der Kurator João Ribas fasst den Zusammenhang wie folgt: „Wir schauen Bilder nicht länger einfach nur an. Wir drücken, ziehen, rollen, wischen und blättern in Gesten über sie hinweg. Die Patente für diese Gesten liegen seit beinahe zwei Jahrzehnten bei Grosskonzernen“ (Ribas 2015: o.S.).Übersetzung durch Autorin nach João Ribas, Vera List Center, 2013; Sparks, Kaegan (2015): „To Cut and Swipe. Understanding Hito Steyerl Through ,How not to be Seen’.“ In: Momus. http://momus.ca/to-cut-and-to-swipe-understanding-hito-steyerl-through-how-not-to-be-seen/ [08.10.2017]. Im täglichen Umgang wird die Berührung des Screens, über swipe and scroll, zur Verlängerung des Sehens. Anschauen und Agieren werden zu ein und demselben Vorgang zusammengerückt und die Prozesse des Sehens scheinen sich den Geschwindigkeiten, Bandbreiten und Rechenleistungen anzupassen.


Als Kunstvermittler*innen und -pädagog*innen sollte uns das dringend für die notwendigen transdisziplinären Ordnungsversuche aktivieren. Eigentlich ist die Kunstvermittlung und -pädagogik ja Expert*in für die Relationen am Bild. Diese Expertise ist in der gegenwärtigen Forschung der Bildwissenschaften aber noch nicht ernsthaft mitbedacht worden.

 

Die Fragen stellten Sophie Lingg und Helena Schmidt.



Literatur:

SEO united (2013): „Das Internet in Zahlen“, online unter: https://www.seo-united.de/blog/internet/das-internet-in-zahlen-2.htm [13.02.2018].  

Shifman, Limor (2014b): Meme. Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter.Berlin, Suhrkamp.

Sparks, Kaegan (2015): „To Cut and Swipe. Understanding Hito Steyerl Through ,How not to be Seen’.“ In: Momus. http://momus.ca/to-cut-and-to-swipe-understanding-hito-steyerl-through-how-not-to-be-seen/ [08.10.2017].

We Are Social/Hootsuite (2017): „Digital in 2017. Global Overview. A collection of internet, social media, and mobile data from around the world“, online unter: https://www.slideshare.net/wearesocialsg/digital-in-2017-global-overview [13.02.2018]. 

Kurzbiografien der Autor_innen:
Andere Texte der Autor_innen: