Herausforderungen einer Disziplinierung – Fragen an die Art Education
Abstract:
Der Beitrag geht fragend den Widersprüchen nach, die mit der Herausbildung und Institutionalisierung akademischer Disziplinen einhergehen, und verfolgt explorierend die Verankerung der Art Education als Disziplin im tertiären Bildungsbereich. Der Text verfolgt somit den Versuch, einen konzeptuellen Rahmen für die weitere Entwicklung und Disziplinierung der Art Education in der Schweiz zu setzen. Im Schreibprozess selbst verhandeln die Autor*innen aus ihren unterschiedlichen institutionellen und forschenden Positionierungen heraus disziplinäre und institutionelle Verhältnisse. Die Interdisziplinarität als Merkmal der Art Education ist dabei leitend und zieht eine Reihe von Fragen nach sich: Inwiefern bildet sich durch die disziplinäre Verankerung von Art Education als interdisziplinär eine Eigenständigkeit gegenüber Referenzdisziplinen ab? Und wie kann die Dichotomie, welche das Verständnis von Art Education weitläufig prägt, dadurch überwunden werden? Was beinhaltet ein forschendes Selbstverständnis und wie kann mit einer fehlenden Tradition in diesem Fach umgegangen werden? Wie wirkmächtig sind institutionelle Strukturen und was ist die Rolle der Selbstreflexion im Prozess einer Verstetigung?

Einleitung

In unserem Beitrag befragen wir explorierend die Herausbildung einer Fachlichkeit der Art Education als wissenschaftlich-forschende Disziplin. Die Interdisziplinarität der Art Education erachten wir für diesen identitätsstiftenden Prozess als zentrales Element, von dem wir uns deshalb in diesem Versuch der Ausdifferenzierung leiten lassen. Durch die Interdisziplinarität ergeben sich für eine Positionierung der Art Education innerhalb des tertiären Bildungsfeldes ganz spezifische Fragen: Was sind die Parameter für die Erarbeitung von wissenschaftlichem Wissen durch Forschung? Welche Verwicklungen und historische Verantwortung gehen mit einer Geschichtsschreibung des Faches einher? Welches Verhältnis zu akademischen Strukturen und institutionellen Entwicklungen entsteht durch die Disziplinierung?

In den ersten drei Unterkapiteln umreissen wir die Struktur des Feldes, die sich aus der Frage nach einer Disziplinierung ergibt. Dabei stellen wir insbesondere zwei Herausforderungen fest: Diejenige einer als konstitutiv erachteten Dichotomie von Kunst und Pädagogik und diejenige der fehlenden Wissenschaftlichkeit. In den darauffolgenden vier Unterkapiteln öffnen wir unterschiedliche Denkräume ausgehend von bereits geführten Diskussionen und Erkenntnissen aus benachbarten Disziplinen. Gedanken zu disziplinärem Gedächtnis, zu (kolonialer) Selbstaffirmation, zu Organisationsstrukturen und Formen der Zusammenarbeit, sowie zu Institutionskritik in Bezug auf Art Education werden angestossen. Es geht uns dabei darum, einerseits die Art Education anhand der gesetzten Kriterien zu prüfen, die eine akademische Disziplin als solche qualifizieren, und andererseits, dieselben Kriterien kritisch zu hinterfragen. Wir versuchen uns so der Funktionsweise und Beschaffenheit der Art Education als disziplinär zu verankerndem Feld zu nähern. Dadurch entsteht eine Auslegeordnung von ganz konkreten Fragen an die Art Education. Dieser Beitrag ist somit eine erste Anlage um herauszuarbeiten, was der institutionelle und fachliche Rahmen für die weitere Entwicklung und Disziplinierung der Art Education in der Schweiz sein kann. Unser Anliegen ist es, einen Diskussionsbeitrag zu leisten und damit die aktuelle Auseinandersetzung im Feld zu befördern.

Die Logik der Art Education

Art Education Art Education ist hier als Sammelbezeichnung zu verstehen, die das Feld der Kunstvermittlung ebenso mit einschliesst wie das der (schulischen) Kunstpädagogik, der Fachdidaktik oder der kunstpädagogischen Hochschullehre. wird oft als Zusammenführung von Kunst und Pädagogik qualifiziert. Eine solche Zustandsbeschreibung legt nahe, dass Art Education zwar interdisziplinär verortet, aber über ein binäres Zusammenwirken von Kunst und Pädagogik strukturiert ist. Obwohl beide Bereiche anderweitig je eigenen Disziplinierungen unterworfen sind, wird Art Education weder als eigenständiges Fach noch kumulativ als Summe von Kunst, Kunstgeschichte, Pädagogik, Fachdidaktik, Bildungs- und Erziehungswissenschaften verstanden oder als Schnittmenge resp. Schnittstelle. Stattdessen wird Art Education aus der Perspektive der Kunst wie auch aus der Perspektive der Pädagogik hierarchisierend eine dienstleistende oder kompensatorische, marginale Rolle zugeschrieben. Damit einher geht eine Abwertung des Bereichs als reine Praxis ohne eigene Theoretisierung.

Die Effekte dieser Wahrnehmung hat Carmen Mörsch für das Feld der Kunstvermittlung exemplarisch aufgezeigt und der Abwertung in zahlreichen Beiträgen zur Kunstvermittlung als eigenständiger Praxis der Wissensproduktion unermüdlich entgegengearbeitet (vgl. Mörsch 2009; Mörsch 2012a; Mörsch 2012b). Dennoch hält sich diese vermeintlich deskriptive Zuschreibung der Art Education und zieht eine verbreitete, einengende Selbstbeschreibung von Angehörigen des Faches und auch des Nachwuchses nach sich. In unseren Auseinandersetzungen und Erfahrungen der letzten Jahre stellen wir fest, dass diese Diskrepanz zwischen bereits erfolgter, richtungsweisender Theoretisierung und marginalisierenden Selbstzuschreibungen mit einem fehlenden Verständnis der Art Education als eigenständige Disziplin einher geht.

Akademische Disziplinenbildung ist ein Vorgang funktionaler Differenzierung, an dem eine Wissensgenerierung und fachliche Debatten, die Entwicklung und historische Verankerung von Forschungs- und Lehrstätten, sowie die Erfordernisse der Arbeitsteilung ursächlich beteiligt sind. Die Frage nach der Disziplinarität der Art Education impliziert also auch zu fragen, wie sich die interdisziplinäre Logik der Art Education darin situiert. Was macht eine disziplinäre Identität der Art Education und damit einer institutionellen, akademischen Verankerung in der tertiären Bildungslandschaft aus? Wenn wir nun im Folgenden diesen Fragen – ausgehend von institutionssoziologischen und wissenschaftstheoretischen Erkenntnissen – nachgehen, eröffnen sich vielmehr weiterführende Fragen als Antworten. Und auch wenn wir uns insbesondere für die Situation in der Schweiz interessieren, orientiert sich unsere Analyse an übergeordneten Überlegungen. Diese Überlegungen bilden den Rahmen, um Disziplinierung im Sinne der Art Education auszulegen und mehrperspektivisch zu durchdenken.

Art + Education = mehr als die Summe

In seinem Beitrag zur interdisziplinären Institutionenanalyse bemerkt Roland Czada, dass der Wert disziplinärer Eigenständigkeit durch Forschende höher geschätzt wird als mögliche Erkenntnisgewinne, die mit einer Öffnung gegenüber anderen Disziplinen verbunden sein könnten (vgl. Czada 2002: 24). Innerhalb disziplinärer Verankerungen führt eine interdisziplinäre Öffnung zumeist lediglich zur Anreicherung eigener Erklärungsansätze oder allenfalls zur Herausbildung von Subdisziplinen eines bestehenden Faches. Diese Beobachtung steht im Gegensatz zum verbreiteten Konsens, dass sich über Interdisziplinarität ganz neue theoretische Fragestellungen und Forschungsfelder ergeben und neue Wissensgebiete entstehen (vgl. ebd.: 26).

Die daraus resultierende vorherrschende Wahrung disziplinärer Autonomie etablierter Disziplinen auf Kosten von interdisziplinären Zusammenführungen bedeutet für die Art Education eine Herausforderung, da sie bereits in ihrer Anlage interdisziplinär ist. Die Interdisziplinarität von Art Education legt ausserdem nahe, dass über die Verbindung von zwei disziplinären Strängen hinaus gedacht wird: Die disziplinäre Setzung als interdisziplinär bietet die Möglichkeit, eine durch Art und Education suggerierte Binarität abzulegen. In der Tat erläutert Alexander Henschel (2019), dass Art Education als Komplexität gedacht werden muss. Er erklärt Komplexität als „nicht nur ein Kennzeichen kunstpädagogischer Positionen […], sondern ein Merkmal für die Situation eines aktuellen kunstpädagogischen Diskurses, der sich binären Klassifizierungen widersetzt“. (ebd.: 10) Er spricht von Komplexität einerseits als Resultat einer Auflösung der Zuschreibung von eindeutigen Eigenschaften für das je andere Feld – der Kunst und der Pädagogik – und andererseits setzt er Komplexität dabei als Beschreibung wie auch als Praxis des Feldes, die als Kennzeichen einer pluralen Gesellschaft und der damit verbundenen Kontingenz bekannter Ordnungen zu verstehen sei (vgl. ebd.: 24f). Die Herausforderung besteht also nicht nur darin, Interdisziplinarität in der Auflösung einer Binarität zwischen Kunst und Pädagogik zu verstehen, sondern auch in der Auflösung von disziplinären Verankerungen, Vorstellungen und Regeln von je den Bereichen, die der Kunst wie auch der Pädagogik zugeschrieben werden. Die Herausforderung der disziplinären Verankerung von Art Education als interdisziplinär liegt somit, wie auch Henschel hervorhebt, nicht nur darin, versucht zu sein, binäre Verhältnisse erst zu nennen, um diese dann in ein nicht aufzulösendes Spannungsverhältnis setzen zu können, sondern auch in der Verlockung, auf bereits etablierte disziplinäre Verankerungen zurückzugreifen. In Henschels Setzung von Komplexität als Praxis in Bezug auf die plurale Gesellschaft liegt darüber hinaus der Hinweis auf eine mit Inhalten verknüpfte Reflexion eigener Tätigkeiten und Beschreibungen. Fragen, die sich dadurch zum Verhältnis der Inhalte und der Struktur ergeben, werden wir in unseren Überlegungen zur Institutionskritik später aufnehmen.

An dieser Stelle möchten wir vielmehr fragen, ob das Unterfangen, die Art Education disziplinär zu verankern besser mit dem Anspruch auf Transdisziplinarität erfolgen kann als mit Interdisziplinarität. Ein Blick in das Untersuchungsfeld von Czada zeigt, dass im Wissenschaftsbetrieb Transdisziplinarität als Überwindung von disziplinären Grenzziehungen definiert wird. Sie folge einem Ideal der Einheit des Wissens und der Beseitigung von Disziplingrenzen, um somit wichtige Fragen der Wissenschaft und der Menschheit angehen zu können (vgl. Czada 2002: 26). Wir verstehen die von Henschel dargelegte Komplexität der Art Education allerdings weniger als ein Streben nach Transdisziplinarität, welche lösungsorientiert Disziplinarität ausblendet, als vielmehr als ein produktiv Machen der Interdisziplinarität, die der Anlage der Art Education immanent ist. Interdisziplinarität aber eben nicht im Sinne eines Zusammenführens von zwei disziplinären Bereichen, sondern als Zusammenwirken über Binaritäten hinaus in die gesellschaftlichen Bereiche des Sozialen, Ökologischen, Wirtschaftlichen, von Care etc. hinein.

Eine disziplinäre Verankerung von Art Education als interdisziplinär über Binaritäten hinaus verhindert, dass sie lediglich als Zuarbeit für andere Disziplinen verstanden wird: Wenn aus einem fachlichen Anliegen heraus Bezüge interdisziplinär aufgenommen werden, entsteht weder als Zuschreibung von Aussen noch als Selbstverständnis von Innen ein solches Verständnis. Es geht darum, die Einzigartigkeit des kunstpädagogischen Wissens herauszukehren, ohne damit das Interdisziplinäre zu unterschlagen. Mit dieser Forderung nach einer interdisziplinären Verankerung der Art Education erreichen wir aber noch keine Disziplinierung. Dies führt uns zur Frage nach den Kriterien: Wie wird Wissenschaftlichkeit definiert und legitimiert?

Interdisziplinarität als wissenschaftliches Wissen

Im allgemeinen Diskurs rund um Sozial- und Geisteswissenschaften lässt sich der Grad der Etablierung einer Disziplin anhand Drittmittelaufkommen, Anzahl neuer Stellen und Nachwuchsförderung, Anzahl Promotionen, Autorschaften und internationalen Veröffentlichungen feststellen (Schmidt-Hertha/Tippelt 2014: 175f). Eine solche Wertung von Outputdaten und weiteren messbaren Kriterien ist im gängigen Wissenschaftsbetrieb sehr präsent und wirkmächtig: Die Wissenschaftlichkeit – und damit die Legitimation als Disziplin – wird mehrheitlich über Forschung gemessen. Für das Feld der Art Education, das sich lange über eine Berufsausbildung und/oder die Tätigkeit in einem Berufs- oder Praxisfeld definiert hat, bedeutet der Forschungsauftrag Der Forschungsauftrag im Bereich Art Education geht in der Schweiz einher mit der Schaffung von Kunsthochschulen und Pädagogischen Hochschulen Ende der 1990er- Anfang der 2000er-Jahre. Im Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland, wo ab Ende der 1960er-Jahre Lehrstühle für Kunsterziehung an Universitäten eingerichtet wurden (vgl. Legler 2009: 53), erfolgt die Verwissenschaftlichung der Kunstpädagogik in der Schweiz mit einigem Rückstand. die Möglichkeit zur Ausbildung eines neuen Selbstverständnisses. Nach Andrea Sabisch steht die Forschung in der Art Education demnach relativ zu den Praxisfeldern von Kunst und Pädagogik (vgl. Sabisch 2009: 35). Allerdings ist das Forschungsverständnis gemeinhin nach wie vor von einer Dichotomie zwischen einer vermeintlich objektiven Wissenschaft und subjektiver Kunst gekennzeichnet, deren Grenzziehung auf die Forschung von Art Education abfärbt (vgl. ebd.: 2009: 45f). Auch Ruth Kunz hält fest, dass sich aus unterschiedlichen Forschungsparadigmen und damit verbundenen Orientierungen, ästhetisch-künstlerischen, kunstwissenschaftlichen, pädagogisch-erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktisch-berufspraktischen, je andere Ansprüche ergeben. Sie plädiert folglich dafür, „ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie vielfältig die Diskurse sind, die ein kunstpädagogisches Fachverständnis prägen.“ (Kunz 2019: 243) Das Vorhandensein von unterschiedlichen Wissen(schaft)sverständnissen wird jedoch noch wenig wissenschaftstheoretisch/-kritisch oder methodenreflexiv genutzt. Vielmehr führen die vorhandenen Differenzen zu tendenziell unproduktiven Abgrenzungen nicht zuletzt auch entlang institutioneller Zugehörigkeit zu einer Kunst- oder einer Pädagogischen Hochschule.

Tatsächlich fehlt es im Feld der Art Education trotz bereits erfolgter Forschungsanstrengungen weiterhin an Theoriebildung. Erkenntnisse und Argumente wurden von Vertreter*innen des Feldes bis heute gerne und in aller Unverbindlichkeit bei etablierten Referenzdisziplinen wie der Kunstwissenschaft und der Architektur, gelegentlich bei der Kunst, der Designtheorie, den Erziehungswissenschaften, der Psychologie oder bei den Neurowissenschaften gesucht. Ihnen werden gültige Aussagen zugetraut, die sich auf das kunstpädagogische Feld übertragen lassen. Die Entwicklung einer eigenständigen Wissenschaftlichkeit muss jedoch aus der Bearbeitung spezifischer Fragestellungen aus der Forschung Art Education heraus erfolgen, die ein Wissen erst auf- und ausbaut: Das Fach muss selber denken und sich auch so wahrnehmen, anstatt weiterhin nach Analogien zu suchen und dadurch die eigene Theoriebildung kontinuierlich zu verwässern. Eine Etablierung von Forschung versetzt zudem Art Education in die Lage, das eigene Fachverständnis auseinanderzunehmen und zu schauen, wie es funktioniert: Von welchen Prämissen geht Art Education aus? Welches sind Praktiken, Methoden, Theorien? Wie lassen sich diese angesichts aktueller gesellschaftlicher Pluralität begründen? Und wie bezieht sich Art Education auf alle die genannten Referenzfelder?

Um ihr wissenschaftliches Wissen zu erweitern, braucht Art Education Orte, die es ermöglichen, Selbstverständnisse zu reflektieren und somit Forschung zu etablieren sowie mit der Lehre zu verknüpfen. Voraussetzung dafür sind bspw. eine Vielzahl gesicherter Stellen zur Wissensproduktion, institutionalisierte und disziplinär-spezifische Strukturen als Voraussetzungen zur Drittmittelakquise, Orte des fachwissenschaftlichen Austauschs, disziplinspezifische Gefässe zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und eine kritische Anzahl an Wissensträger*innen zum Kompetenzaufbau. Die Katze beisst sich also in den Schwanz: Eine Disziplinierung ist notwendig, um solche Räume zu schaffen. Voraussetzung für die disziplinäre Verankerung ist jedoch eine demonstrierte Wissenschaftlichkeit, deren Entwicklung wiederum aufgrund mangelnder Räume und ungesicherter institutioneller Verankerung erschwert wird. Wie also kann sich die Art Education in ihrer Interdisziplinarität etablieren und dafür Räume in Anspruch nehmen? Wie kann sie forschend eine Spezifität herausbilden, die über ihr Merkmal der Komplexität wissenschaftliches Wissen erarbeitet? Wie kann sie sich dadurch von ihren Referenzdisziplinen abgrenzen?

Ausgehend von dieser Situationsbeschreibung loten wir im Folgenden Überlegungen zu disziplinärem Gedächtnis, zu (kolonialer) Selbstaffirmation, zu Organisationsstrukturen und zu Formen der Zusammenarbeit aus und suchen sie für die aufgeworfenen Fragen zur Disziplinierung der Art Education produktiv zu machen.

Die Entwicklung eines disziplinären Gedächtnisses

Es gibt Wissensbestände, die den Anspruch erheben, als wissenschaftliches Wissen zu gelten. Die Qualifikation von Theorien und Inhalten als wissenschaftlich ist neben den oben erwähnten Kriterien in Bezug auf die Messbarkeit von Forschung eine weitere Legitimation zur Disziplinierung (vgl. Rieger-Ladich/Rohstock/Amos 2019). Forschung bestätigt und entwickelt Wissensbestände weiter, sie ist allerdings zugleich in eine Geschichtsschreibung eingebettet und ihr damit verpflichtet. Eine anerkannte Geschichtsschreibung zur Etablierung einer Disziplinarität hat deshalb eine grosse Bedeutung. Allerdings sind disziplinäre Verankerungen weder historisch statisch noch über einen rein wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn gewachsen. Stattdessen liegt eine enge Verknüpfung von Wissen und Macht im Prozess der Herausbildung einer Disziplin vor. Netzwerke, Kollektive, wie auch andere Disziplinen sind an der Konstituierung wissenschaftlicher Felder beteiligt. Markus Rieger-Ladich, Anne Rohstock und Karin Amos machen deshalb geltend, dass es unmöglich ist, von singulären disziplinären Feldern zu sprechen. Vielmehr sind diese transindividuell, transdisziplinär, transnational und transkontextuell verankert (vgl. ebd.: 10). Aus dieser Blickrichtung scheint es, dass sich die herkömmlich etablierten akademischen Disziplinen in ihrer historischen Konstitution nicht so sehr von Art Education unterscheiden. Allerdings heben sie sich in ihrer retrospektiven Selbstdarstellung als autonome Einheit umso mehr ab. Ist daraus also zu schliessen, dass Art Education lediglich in ihrem Bekenntnis zur Interdisziplinarität von den herkömmlich etablierten akademischen Disziplinen abweicht und sie sich über die Herausbildung einer Geschichtsschreibung und eines Kanons disziplinär verankern lässt?

In seinem Beitrag zu Archivieren und Speichern spricht Markus Rieger-Ladich von Traditionen, welche für wissenschaftliche Disziplinen Anschlussmöglichkeiten unterschiedlicher Art eröffnen. Darüber würden nicht nur Vergangenheiten gestiftet, sondern auch mögliche Zukünfte skizziert, reguliert und limitiert. Neben Auslassung und Kanonisierung geht es auch um Grenzziehung, Legitimierung und Autorisierung (vgl. Rieger-Ladich 2019: 20). Letztlich, so Rieger-Ladich, entsteht ein Ringen um Hegemonie, eine Verhinderung von Pluralität, eine Diskreditierung alternativer Zugänge und auch die Beschädigung von Personen (vgl. ebd.: 31). Über Tradition stellt sich eine disziplinäre Engführung ein, die kontinuierlich bedacht ist, Eindeutigkeit und Klarheit herzustellen und vor gegenseitiger Verunreinigung Vgl. dazu Mecheril 2009 zum Gebot der Reinheit das durch Hybridität in Frage gestellt wird. zu bewahren. Deshalb fordert Rieger-Ladich eine radikalisierte Form wissenschaftlicher Selbstkritik, die es erlaubt, Dissens und Widersprüchlichkeiten nachzugehen. Er fordert, ein disziplinäres Gedächtnis zu pflegen, das künftig die Zahl theoretischer Optionen erhöht, Reflexionen mit Komplexität anreichert und neue Denkstile begünstigt (vgl. ebd.: 21). In der Art Education als wissenschaftlicher Disziplin fehlt eine vergangenheitsstiftende Tradition. Art Education ist bereits in der eigenen Wahrnehmung historisch fragmentiert und disparat geprägt. Eine Untersuchung der Wissenschaft als soziale Praxis, wie sie Rieger-Ladich fordert, muss in der Art Education ausserdem die Berufsausbildung und die Tätigkeit in einem Berufsfeld als disziplinär konstituierend berücksichtigen. Wie muss dazu vorgegangen werden?

Rieger-Ladich rät, für die Erziehungswissenschaften Archive anzulegen und die Komplexität zu arrangieren (vgl. ebd.: 38). Dadurch werde deutlich, wie anspruchsvoll das Unterfangen sei, nicht allein die Wissensbestände einer Disziplin systematisch zu erforschen, sondern auch die diskursiven Praktiken, über die es erzeugt wird. „Allen Bemühungen um wissenschaftliche Reflexivität zum Trotz, gibt es noch immer beträchtlichen Aufklärungsbedarf über die soziale Logik der Akademie und ist es noch immer überaus schwierig, Einblicke in deren hidden curriculum zu erhalten.“ (ebd.: 39) Für die Art Education lässt sich fragen: Welche Wissensbestände der Art Education gelten als wissenschaftliches Wissen? Was heisst eine selbstreflexive Geschichtsschreibung vorzunehmen, wenn diese interdisziplinär ist? Wie kann in einem interdisziplinären Selbstverständnis den Verflechtungen von Referenzdisziplinen nachgegangen werden? Weiter fragt sich, ob durch eine Geschichtsschreibung Art Education ihre Wissensbestände tatsächlich als wissenschaftliches Wissen ausweisen kann oder ob eine selbstreflexive retrospektive Auseinandersetzung mit Geschichte und sinnstiftender Tradition zum Scheitern verurteilt ist.

Rieger-Ladich fordert, dass das angelegte Archiv auch auf seine Lücken hin untersucht werden muss, Gegengeschichten erzählt und möglichst unterschiedliche theoretische, methodische und empirische Zugänge kultiviert werden müssen (vgl. ebd.: 40f). Die Frage nach Devianz „als unverzichtbare[s] Element[…] einer widerständigen Wissenschaftskultur, die den Dissens als erkenntnisstiftendes Moment begreift“ (ebd.: 42) ist in diesem Prozess zentral. Für die Art Education gilt die Auseinandersetzung mit Leerstellen und das fruchtbar machen von Dissens genauso. Allerdings lassen sie sich nicht einfach übertragen, weil die Wissenschaftskultur erst zaghaft daran ist, sich zu etablieren. Nach Henschel ist die Position der Art Education deshalb auf gewisse weitere theoretische Zugänge angewiesen: „Nicht irgendwelche Perspektivierungen sind einzubeziehen, sondern solche, die wiederholt und systematisch vom Fachdiskurs ausgeblendet wurden – und werden […].“(Henschel 2019: 30) Damit werde Vereindeutigung über Leerstellen verhindert aber auch, dass Art Education in spielerische Beliebigkeit abdrifte.

Chancen einer erst zaghaften disziplinären Selbstaffirmation

Der Rückstand in der Etablierung der Wissenschaftskultur im Vergleich zu anderen akademischen Disziplinen beinhaltet gerade in der Auseinandersetzung mit Leerstellen und Dissens auch eine Chance im Prozess zur Selbstaffirmation. Wir sollten ihn als Einladung sehen, den Prozess einer Disziplinierung, die wir in weiten Teilen erst noch leisten müssen, zu nutzen. Der Rückstand erlaubt uns von Anfang an feministisch-post-koloniale Denkweisen zu integrieren, die grundlegend sind, um eigene akademische Strukturen zu hinterfragen. Eine post-koloniale Kritik, die feministisch und intersektional informiert ist, vermag aufzuzeigen, wo und welche Inhalte kontinuierlich aus dem Wissenschaftsbetrieb ausgeblendet werden. Hier ist wichtig zu verstehen, dass sie nicht im Sinne einer möglichen Perspektivierung oder eines zusätzlichen theoretischen Stranges unter Anderen eingeordnet werden kann. Vielmehr bildet die post-koloniale Denkweise erst die notwendige Ausgangslage überhaupt, die Auseinandersetzung und Selbstreflexivität, die Rieger-Ladich einfordert, zu ermöglichen. 

Deutlich wird die Unverzichtbarkeit einer post-kolonialen Perspektive dadurch, dass sich ihre Kritik mit der Gleichzeitigkeit des Aufkommens akademischer Disziplinen und dem Höhepunkt des Westlichen Imperialismus beschäftigt. Es geht ihr um Verwicklungen, Gewaltformen und Setzungen zur Zeit der Disziplinbildung wie auch um die anhaltenden Herrschaftsverhältnisse und strukturellen Konsequenzen bis heute. Die Etablierung des Euro-Zentrismus kann bspw. an der Geschichte der Pädagogik, ihren Praxen, dominanten Paradigmen und Institutionen exemplarisch nachgezeichnet werden: Die Zielsetzung von Erziehung als soziale Technik und von Bildung als politischer Strategie während des Imperialismus impliziert die Disqualifizierung und Auslöschung von spezifischem Wissen und die Setzung kolonialer Machtverhältnisse (Dhawan/Castro Varela 2015). Die Art Education kann sich folglich den Verwicklungen von Kunst und der Pädagogik in koloniale Diskurse nicht entziehen (Mörsch 2009: 15).

Warum post-kolonial informierte Denkweisen zur selbstreflexiven Auseinandersetzung mit der eigenen Disziplinierung zwar unbedingt notwendig sind aber umso schwieriger einzulösen, möchten wir hier anhand einer Erläuterung von Gurminder K. Bhambra zu ihrem Fach, der Soziologie, kurz nachzeichnen. Bhambra stellt fest, dass die Soziologie durch eine fehlende Anerkennung einer post-kolonialen Perspektive bis heute in ihrer Analysefähigkeit und somit in der fachlichen Entwicklung eingeschränkt bleibt (vgl. Bhambra 2007). Interventionen von Angehörigen des Faches hätten zwar erreicht, dass die Soziologie als Gegenstand auch die Analysekategorien Geschlecht, Sexualität und in der Folge Race/Ethnizität zentral berücksichtigt. Allerdings, und das ist die Kritik von Bhambra, sind die disziplinäre Auseinandersetzung mit Kolonialismus und eine post-koloniale Kritik nicht Teil der Soziologie als System (vgl. ebd.: 873). Die Verweigerung der Soziologie, ihre eigene disziplinäre Verankerung ebenfalls den Fragen rund um kolonial geprägte Verhältnisse und der post-kolonialen Kritik zu stellen, ist grundlegend einengend für soziologische Gegenstände und das eigene Reflexionsvermögen (vgl. ebd.: 876). So werden zur Erarbeitung gewisser Wissensinhalte Nischen geschaffen, als wären sie isoliert und hätten nicht wirklich etwas mit dem Kerngeschäft zu tun. Bhambras Ausführungen machen deutlich, dass wir die Vorstellung eines Kerns, der um weitere Perspektiven ergänzt werden muss, hinterfragen sollten. Vielleicht ist es treffender von einer Situation einer disziplinären Verankerung zu sprechen, die durch eine post-koloniale Kritik, anders gedacht und dadurch verschoben werden soll. Ist es also ein Glück, dass Art Education noch keine Vorstellung eines Kerns hat? Bhambra fordert für die Soziologie, dass anstatt einer Anreicherung durch post-kolonial informierte Fragen, diese als Teil des soziologischen Systems verstanden werden müssen: „[W]hat postcolonial thought truly threatens is to provide a revolution in thinking that would make sociology genuinely dialogic by making its fundamental categories part of that dialogue.“ (ebd.: 880)

Wie kann die Art Education die Chance ihres noch wenig etablierten Status nutzen, um in ihrem Bestreben nach disziplinärer Verankerung und wissenschaftlicher Anerkennung von Anfang an ihre kolonialen Verstrickungen über eine feministisch-post-koloniale Perspektive zu reflektieren? Wie ist ein Prozess kontinuierlicher Selbstreflexion überhaupt möglich einzulösen? Dass dies innerhalb des stark strukturierten Feldes der akademischen Bildung eine schier unmögliche Aufgabe ist, zeigt sich in der Diskussion um VerLernen (un-learning) geprägt von Gayatri Chakravorty Spivak. Das Ziel ist, eigene Privilegien zu verlernen und diese als Verlust wahrzunehmen – weil sie bestimmte Denk- und Wahrnehmungsmöglichkeiten verhindern (Spivak 1993, 1996). Es geht um eine Anerkennung der Gewalt gelernter Setzungen. Spivak macht aber auch deutlich, dass die Unmöglichkeit, ein VerLernen gänzlich einlösen zu können, Teil des Prozesses ist (Castro Varela/Heinemann 2016). Wie kann in Art Education ein aktives, kritisches Denken und Handeln, welches bereit ist, die eigene Position zu hinterfragen und dadurch ein Risiko einzugehen, Eingang finden? Klar scheint uns hier, dass die fehlende Verankerung als Disziplin nicht eine Tendenz zur Unsicherheit und zu Rückgriffen auf etablierte, eingeschliffene Muster zur Folge haben sollte, die wiederum über post-koloniale Denkweisen mühsam dekonstruiert werden müssten. Wie kann sich also die Art Education zumindest dem Versuch stellen, eine Selbstreflexivität im Prozess der Verankerung einzulösen? Inwiefern ist eine Disziplinierung mit Anspruch an Interdisziplinarität in diesem Prozess hilfreich?

Institutionalisierung durch ermöglichende Organisationsstrukturen

Mit der Frage nach der Institutionalisierung möchten wir einen weiteren Denkraum öffnen. Wie wir bereits in unserer Diskussion um Interdisziplinariät als wissenschaftliches Wissen hingewiesen haben, braucht die Art Education zur Etablierung als Disziplin Räume und in der Schweiz eine gesicherte, längerfristige institutionelle Verankerung. Ähnlich wie für die Disziplinierung stellt sich auch in Bezug auf Institutionalisierung die Frage nach der Funktionsweise tertiärer Strukturen, wie diese wirken und was sie aus Sicht der Art Education einlösen müssen. Eine Institutionalisierung ermöglicht das Zusammenführen von Forschung und Lehre, schafft Gefässe und Organe wissenschaftlichen Austauschs, stellt Strukturen zur Drittmittelakquise und zur Nachwuchsförderung bereit, sichert Vertretungen und Repräsentation in einschlägigen Gremien sowie personelle und materielle Ressourcen mit dem Ziel eines Kompetenzaufbaus. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und Geschichtsschreibung schliesslich, ist Teil der Institutionalisierung und setzt sie voraus. Damit ist Institutionalisierung Sorgearbeit in zweierlei Hinsicht: Einerseits setzt sich durch eine Institutionalisierung ein Verhältnis der Fürsorge der Institution gegenüber der Art Education ein. Andererseits leisten die Mitarbeitenden durch ihre disziplinäre Einbindung wertvolle Sorgearbeit zur weiteren Etablierung der Disziplin. Ohne diese Reziprozität an vielschichtiger Sorgearbeit, die Verpflichtung und Versprechen zugleich ist, ist eine Etablierung einer Disziplin nicht möglich.

Sorgearbeit leisten zu können verlangt allerdings nach bestimmten ermöglichenden Organisationsstrukturen. Hilfreiche Überlegungen dazu kommen von einem Autor*innenkollektiv Peter-Paul Bänziger, Francesca Falk, Alix Heiniger, Pauline Milani und Regina Wecker der Geschichtswissenschaften: Als wichtiges strukturierendes Element zur Verbesserung der Verhältnisse nennen sie flache Hierarchien: „[D]as ganze universitäre System [muss] durchlässiger gestaltet werden. Hierarchien begünstigen nicht zuletzt den Machtmissbrauch; flachere Strukturen hingegen kommen tendenziell der gesamten Institution zugute, indem sie eine offene Kommunikationskultur fördern. Zumindest die klassischen Lehrstühle mit weitreichender Budget-, Personal- und Betreuungskompetenz sind deshalb abzuschaffen. Assistierende sollten nicht mehr einer Person zugeordnet werden.“ (Bänziger et al. 2020: 428) Mit dieser Setzung heben sie die Wichtigkeit des Mittelbaus hervor und einen Anspruch auf entfristete Stellen. Typisch für die Lehrstuhl-Universität sei zudem erschwerte Vereinbarkeit und der Verschleiss an Ressourcen auf Seiten der Universität wie auch derjenigen, die trotz unsicheren Anstellungen entscheiden, zu bleiben (vgl. ebd.: 427).

Für die Art Education wäre an dieser Stelle interessant zu überlegen, wie sich die Interdisziplinarität der Disziplin auf Organisationsstrukturen niederschlägt. Macht es hier besonders Sinn, andere Arbeitsformen auszuprobieren? Könnte mit solchen teambasierten Organisationsstrukturen zusätzlich auch dem Problem der Hochschulen, die nach wie vor eine Tendenz zu Lehrstuhlstrukturen aufweisen, begegnet werden? Inwiefern wären kollegiale Teamkonstellationen schliesslich geeignet, der oben erwähnten Sorgearbeit nachzukommen? Ein Abstecher in die feministische Philosophie hilft beim Denken weiter: In ihrem Vortrag unter dem Titel „Freiheit beruht auf Befreiung und Beziehung“ Originaltitel des Vortrags von Katrin Meyer ist „Die Idee der Freiheit aus feministischer Perspektive“ aufgezeichnet am 23.11.2019 an der Tagung „Die Linke und die Freiheit“, Volkshaus, Basel, online unter: https://www.denknetz.ch/sendungen/die-idee-der-freiheit-aus-feministischer-perspektive/ [18.5.2021]. spricht Katrin Meyer von Abhängigkeiten in Form von in Beziehung treten, die es braucht, um Freiheit zu erlangen. Es geht hier um notwendige Möglichkeiten von Bindungen zu anderen Menschen; um Strategien einer gemeinschaftlichen Verständigung zu und über sich selbst, die aber nicht unabhängig vollzogen werden kann. Meyer geht es um die Überwindung von Unterdrückung durch einen feministischen, vom Combahee River Collective entwickelten Begriff der Freiheit, der ohne kontinuierliche Ausschlüsse des Anderen auskommt und stattdessen Möglichkeiten von Beziehung und Abhängigkeiten schafft.

Was uns aus Meyers Reflexion für die Art Education relevant scheint, ist die Feststellung einer gemeinschaftlichen, inkludierenden Grundhaltung als notwendiger Strategie für eine gemeinsame, gesellschaftliche Weiterentwicklung. Ein solches Verständnis von Zusammenarbeit ermöglicht nicht nur Sorgearbeit, sondern macht deutlich, dass – auch im Sinne einer post-kolonialen Perspektive – eine Zentrierung von lokalem Schwarzem und PoC-Wissen, Wissen aus dem globalen Süden, aus der Perspektive von Menschen mit Behinderung, von Menschen aus sog. Arbeitermilieus und von trans*/inter oder sich nicht-binär verortenden Menschen notwendig ist und in einer Organisationsstruktur Platz finden muss. Unsere eigenen Forschungen Vgl. das Forschungsprojekt Art.School.Differences und weitere Einträge auf dem daraus entstandenen Blog unter: https://blog.zhdk.ch/artschooldifferences/, insbesondere den Schlussbericht unter „Final Study Report“, online unter: https://blog.zhdk.ch/artschooldifferences/files/2016/10/ASD_Schlussbericht_final_web_verlinkt.pdf [24.5.2021]. machen demnach deutlich, dass Wissen, insbesondere über Einstellungspolitiken, wie auch über Zugangsbedingungen zum Studium, reguliert werden. Um entsprechend inkludierende Strukturen an den Institutionen einzuführen, braucht es andere Denkweisen. Ist es aber für die Art Education nicht gerade ihre Interdisziplinarität, die Möglichkeiten anderer Denkweisen auch in Bezug auf Inklusion eröffnen kann? Sind Organisationsstrukturen im Sinne von Sorge- und Zusammenarbeit nicht insbesondere durch Interdisziplinarität einlösbar? Für die Art Education ist aufgrund der Interdisziplinarität eine Entwicklung von Inhalten in Teamstrukturen und auf einer breiten Basis kollegialer Allianzen wichtig, um ein disziplinär kongruentes Profil hervorbringen zu können. Eine solche Organisationsstruktur kann die Art Education nur innerhalb entsprechender institutioneller Voraussetzungen und aus einer verankerten und gesicherten Position heraus entwickeln.

Eine Institutionalisierung muss also zeitgleich mit einer disziplinären Verankerung einhergehen. Wie sich aus den vorangehenden Diskussionen immer wieder zeigt, gehört zur Disziplinierung und disziplinären Weiterentwicklung eine kontinuierliche Hinterfragung des Prozesses und der eigenen Verankerung. Ist also die Forderung nach einer Disziplinierung der Art Education zwingend immer auch mit einer Institutionskritik verbunden? Ist die Art Education aufgrund ihrer Interdisziplinarität einer Institutionskritik besonders verpflichtet?

Disziplinierung durch Institution(skritik)

Ein Blick in die Debatten rund um die Institutionskritik in der Kunst erweist sich hier als hilfreich. Vermehrt wurde problematisiert, dass die Dimension der Kritik im Begriff unterwandert wird (vgl. exemplarisch Fraser 2005). Simon Sheikh schlägt deshalb vor, die Institutionskritik nicht mehr als historische Periode oder als ein Genre innerhalb der Kunstgeschichte wahrzunehmen, sondern „eher als ein analytisches Werkzeug, eine Methode räumlicher und politischer Kritik und Artikulation“, die sich auf disziplinäre Räume und Institutionen im Allgemeinen anwenden liesse (vgl. Sheikh 2006: o.S.). Institutionskritik als Genre der Kunst wird aber auch durch Selbstreflexivität definiert, also durch die künstlerische Auseinandersetzung mit den eigenen institutionellen Strukturen und Mechanismen, resp. den historisch-gesellschaftlichen Funktionsweisen von – in diesem Fall – Kunst. Institutionskritik als selbstreflexive Befragung eigener Strukturen, insbesondere auch diejenigen der Forschung und Ausbildung, ist zwar anspruchsvoll, läuft aber aufgrund eines gegen Innen gerichteten Fokus weniger Gefahr, kapitalisiert zu werden. Sheikh spricht in seiner Analyse denn auch von „institutionalisierter Kritik“, die als Selbstkritik nicht nur sich selbst befragt, sondern auch zum Kontrollmechanismus wird. Der kritische Blick werde dadurch internalisiert – auf Prozesse der Institution gerichtet – und ihre Funktionsweisen hinterfragt. Dies nehme insbesondere Prozesse in den Blick, die der Institution erlauben, sich selbst zu institutionalisieren (vgl. ebd.).

Bezogen auf die oben angesprochene Sorgearbeit ist interessant, sich nochmals durch den Kopf gehen zu lassen, dass Institutionalisierung widersprüchlich ist. Sorgearbeit ist immer auch Reproduktionsarbeit, die an der Reproduktion bestehender Verhältnisse beteiligt ist. Institutionen sind dadurch immer auch das Resultat von Kompromissen zwischen materialisiertem Ausdruck faktischer Herrschaftsstrukturen und deren Kritik (vgl. Widersprüche e.V. 2020: 5). Kritik ist also nie abgeschlossen und gleichzeitig Teil der Institutionalisierung. Institutionskritik muss unter diesen Voraussetzungen als Teil einer disziplinären Verankerung und Institutionalisierung verstanden werden. Die Art Education ist in diesem Sinn einer Institutionskritik nicht mehr oder anders verpflichtet als andere Referenzdisziplinen. Es wäre allerdings zu erproben, ob sie durch ihre interdisziplinäre Anlage mehr Möglichkeiten zu einer institutionalisierten Kritik hat.

Daran schliesst für uns die Frage nach den Gegenständen und Inhalten der Art Education an: Was ist das Verhältnis von Institutionskritik – als Teil einer disziplinären Etablierung – zu den geführten Auseinandersetzungen innerhalb der Disziplin? Ist die Bereitschaft, sich auf Institutionskritik einzulassen, mit der Erarbeitung kritischer Inhalte verbunden? Wie sehr Forschungs- und Lehrinhalte sich auch strukturell niederschlagen können, zeigt die Forderung der bereits oben zitierten Kolleg*innen aus der Geschichtswissenschaft. Sie verlangen, die eigene wissenschaftliche Praxis zu beobachten, Sprechweisen, Wissenschaftskanon, Zitierkartelle sowie Ratio Frauen- Männer und gesellschaftliche Minderheiten zu reflektieren. Dabei fordern sie, die Machtverteilung innerhalb der Disziplin zu überdenken: Wer hat Zugang, wer studiert, wer ist Professor*in? und damit die Geschlechtergeschichte curricular breit zu verankern (vgl. Bänziger et al. 2020: 431). Es gilt, dem gesellschaftlichen Diskurs nicht hinterherzuhinken, um dadurch zu vermeiden, dass Studierende diesen mühsam einfordern müssen.

Aufgrund der Interdisziplinarität stellt sich für Art Education diese Frage aber möglicherweise noch vielschichtiger. Bezogen auf die Kunstvermittlung stellt Carmen Mörsch bspw. fest: „Wird die Entwicklung von Handlung- und Kritikfähigkeit als Bildungsanspruch gesetzt, liegt es nahe, diesen auch als Strukturelement für die institutionelle Praxis, welche Bildung konstituieren soll, paradigmatisch zu setzen.“ (Mörsch 2009: 17) Die Auseinandersetzung mit sozialem Wissen und die Vermittlung von gesellschaftlichen Funktionsweisen als zentrale Treiber der Art Education zu setzen, legt also nahe, eine konstitutive Verbindung von Kritik auch zu den Inhalten herzustellen. Die Beobachtung, dass Institutionalisierung und deren Kritik letztlich eng mit Inhalten verknüpft ist, gilt es als Hinweis darauf anzuerkennen, dass Systemwissen Teil des fachlichen Wissens der Art Education ist. Dies erlaubt ihr so, wie Institutionskritik als künstlerische Strategie es der Kunst erlaubt, eine machtkritische Auseinandersetzung und die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung einfacher einzulösen. Allerdings muss weiterhin eine Öffnung etablierter Forschungsvorstellungen für solche Zugänge gefordert werden. Für die Art Education ist das Paradigma der Selbstreflexivität, welches für die Institutionskritik zentral ist, nicht nur bezogen auf Inhalte und Gegenstände von Bedeutung, sondern ganz besonders im Prozess der Selbstaffirmation als Disziplin. Die Art Education, wie auch immer sich ihre Interdisziplinarität ausprägt, ist zu ihrer Disziplinierung einer machtkritischen Selbstreflexion verpflichtet.

Eine forschende Perspektive auf die Entwicklung von Art Education

Wir haben uns für die Auslegeordnung von Fragen an die Art Education, für das Anstellen von weiterführenden Überlegungen und für das Eröffnen von Denkräumen vom Spannungsfeld leiten lassen, das durch die Auseinandersetzung mit Disziplinierungs- und Institutionalisierungsprozessen offen gelegt wird. Für uns haben sich durch dieses systematische Durchdenken von Zusammenhängen, Situationen und Verhältnissen einige Dinge geklärt: Schon länger erfahren wir dieses Spannungsfeld in sehr unterschiedlicher Weise und haben uns in den letzten Jahren darüber regelmässig ausgetauscht. Wir haben institutionelle Positionierungen und Strukturen hinterfragt, darüber Inhalte verteidigt und versucht, Klarheit über disziplinäre Mechanismen und Prozesse zu gewinnen. Unsere Auseinandersetzung ist gewachsen und informiert durch eine mehrjährige Annäherung unserer unterschiedlichen institutionellen Erfahrungen, unserer Forschungsthemen und -perspektiven und auch unserer gemeinsamen Lehre. Letztlich waren unsere Diskussionen und Aushandlungen geprägt von einem geteilten, intensiven Engagement in und für die Institution. Also einer gemeinsam getragenen Sorgearbeit zur Entwicklung des Feldes, der Inhalte und zur Förderung des Nachwuchses.

Unsere Praxis auch im Schreiben dieses Textes stellt einen Versuch dar, disziplinäre und institutionelle Verhältnisse zu verhandeln, indem wir in diesen Verhältnissen interdisziplinär arbeiten. Dabei sehen wir gerade im Umgang mit den Spannungsverhältnissen und inneren Widersprüchen, die sich aus der Arbeit in einer Disziplin und an deren Verankerung auch über die Art Education hinaus ergeben, relevante Ansatzpunkte für eine spezifische, auf die Interdisziplinarität der Art Education bezogene Auseinandersetzung. Eine solche Verankerung ist mit der Aufgabe verbunden, sich nach innen und nach aussen als Disziplin zu behaupten. Wir schlagen vor, dieser Selbstbehauptung ein Verständnis von Interdisziplinarität zu Grunde zu legen, weil dies der Art Education erlaubt, sich vielfältig zu vernetzen – entlang von fachspezifischen Fragen wie auch von übergeordneten gesellschaftlichen Herausforderungen: Wenn Art Education gefordert ist, ein disziplinäres Selbstverständnis als interdisziplinär auszubilden, sollte der Blick nach aussen weniger in Abhängigkeit von Referenzdisziplinen erfolgen als vielmehr geleitet von Dringlichkeiten, mit denen sie in Berührung kommt – und Art Education kommt durch ihre interdisziplinäre Konstitution mit vielen Dringlichkeiten in Berührung. Wenn wir uns hier von Mörsch, Henschel und von Rieger-Ladich (ver)leiten lassen und im Bewusstsein der Herausforderungen um die Selbstaffirmation, könnten wir sogar die Frage aufwerfen, ob sich damit vielleicht das Legitimationsproblem entschärfen lässt, das die Disziplin begleitet, seit es sie gibt?

Unser Anliegen – und auch unsere Leidenschaft – ist es weiterhin, Fragen an die Art Education zu wagen, darin eine forschende Haltung zu finden und kontinuierlich weiter zu treiben. Es geht uns darum, Widersprüchlichkeiten im Prozess der disziplinären Herausbildung in den Blick zu bekommen, diese zu nutzen oder zu umgehen und die tertiäre Institution als System zu verstehen und mitzugestalten. Die Interdisziplinarität der Art Education als entscheidendes identitätsstiftendes Merkmal möchten wir dabei weiterhin auch als Denkfigur fragend verfolgen.


Literatur

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Kurzbiografien der Autor_innen: