KUNST [auf] FÜHREN Performativität als Modus und Kunstform in der Kunstvermittlung
Herausgeberinnen: Nora Landkammer, Anna Schürch, Bernadett Settele, Sandra Ortmann, Danja Erni
EDITORIAL
Was heisst es, Kunstvermittlung als performativ zu denken? Performativität als Perspektive macht sichtbar, dass Wirklichkeit durch die (Wieder-)Aufführung von gesellschaftlich hergestellten Handlungsmöglichkeiten produziert wird. Über Performativität in der Kunstvermittlung nachzudenken, lenkt den Blick auf diese Prozesse der Wirklichkeitskonstruktion im Museum: Zunächst stellt sich die VermittlerIn selbst durch die Wiederholung von Akten, die für diese (SprecherInnen-)Position historisch/gesellschaftlich vorgesehen sind – erklären, lächeln, zeigen – her. Damit und dadurch, dass auch die TeilnehmerInnen eines Vermittlungsangebotes ihre Rolle spielen – also das wiederholen, was für MuseumsbesucherInnen vorgesehen ist (oder sich dem verweigern) – konstituiert sich die Vermittlungssituation und zugleich die Rahmen des Vorgesehenen (die Normen). Die Kunst wird in der Vermittlungssituation aktualisiert und in ihren Bedeutungen (wieder-)hergestellt. Schliesslich sind es diese Akte, die das Museum als Institution darstellen und produzieren. Wenn eine Institution kein fixes Gefüge ist, sondern durch das, was in ihr passiert, ständig hergestellt wird, dann trägt Vermittlung wesentlich zur (Re-)Produktion der Institution bei – sei es stabilisierend oder verändernd, als Kritik oder als Festschreibung.
Performativität als Analysetool, das sich aus J. L. Austins Überlegungen dazu, «wie Worte etwas tun», entwickelt hat, rückt die konstitutiven Wirkungen des Sprechens und Handelns im Museum in den Fokus – konstitutiv mit J. Butler auch in dem Sinn, dass die Bedingungen der Möglichkeit für das Sprechen und Handeln, dafür, was sagbar und zu tun möglich ist, performativ produziert werden. Im und durch das Handeln selbst über diese Akte der Bedeutungsproduktion nachzudenken, führt unter anderem ins Terrain der Performancekunst.
Was haben sich Performance und Vermittlung zu sagen? Kann der Ansatz, das Museum und Vermittlung performativ zu denken, nicht nur zu deren Analyse beitragen, sondern möglicherweise zu ihrer Veränderung, hin zu reflexiven Räumen der vielstimmigen Produktion und Aushandlung von Bedeutungen? Wie lassen sich Rollen, Räume und ihre Normen performativ – im tun – verschieben?
Diese Überlegungen waren Basis des Symposiums KUNST [auf] FÜHREN – Performativität als Modus und Kunstform in der KunstvermittlungDas Symposium wurde in Zusammenarbeit zwischen IAE und der Kunsthalle Fridericianum organisiert und fand im Juni 2009 in Kassel statt. http://www.fridericianum-kassel.de/symposium2009.html, 10.11.2010., aus dem die Beiträge dieser zweiten Ausgabe von Art Education Research hervorgegangen sind. Ein zentraler Bezugspunkt der Auseinandersetzung waren die Texte von Charles R. Garoian, der in Performing Pedagogy. Toward an Art of Politics 1999 eine Pädagogik entwirft, die vom performativen Charakter von Unterrichtssituationen ausgeht und Performance als politische, zu Handlungen ermächtigende pädagogische Praxis denkt. Eine solche Pädagogik fordere die Exklusionsmechanismen kultureller Institutionen heraus, durch ein Schaffen von «performative spaces [...] where the politics of inscription and representation can be debated and agency self-determined»Garoian, Charles (1999): Performing Pedagogy. Towards and Art of Politics. New York: State University, S. 51.. In einem weiteren Text beschreibt er das Museum als einen Ort, der durch die Performance der in ihm Agierenden hergestellt wird. Er schlägt eine Vermittlung vor, die diesem performativen Charakter Rechnung trägt und TeilnehmerInnen durch ein «performing the museum» ermöglicht, sich kritisch zu den dominanten Narrativen des Museums zu positionieren und ihm ihre eigenen Erzählungen hinzuzufügen.Garoian, Charles (2001): „Performing the Museum“. Studies in Art Education. No.42, 3, S. 234 – 248.
Die Texte in dieser Ausgabe widmen sich dem genaueren Befragen von Vermittlung als performativer Angelegenheit. Sie klären zugrundeliegende theoretische Konzepte, sie diskutieren die komplexen Beziehungen und Spannungsverhältnisse in der bei Garoian recht eingängig dargestellten Linie zwischen Performance, Pädagogik und agency, und sie zeigen und reflektieren Beispiele und Methoden aus der Vermittlungspraxis.
Sabine Gebhardt-Fink, Nora Landkammer und Anna Schürch treten in ihrem Beitrag in einen Dialog über Performancekunst, Theorien der Performativität und Vermittlung. Dem Vorschlag Garoians folgend, Handlungsformen aus der Performancekunst pädagogischen Settings zugrunde zu legen befragen sie aktuelle Performances und diskutieren mögliche Bedeutungen für die Vermittlung.
Die Frage, warum sich Vermittlung eigentlich auf Theorien der Performativität bezieht, rollt Andrea Hubin auf. Sie hinterfragt die Ableitung von konkreten Strategien für die Vermittlung aus Performativitätskonzepten und verortet die Produktivität des Ansatzes im Erlangen von Handlungsfähigkeit in Strukturen, die man kritisiert und in deren Herstellung man doch eingebunden ist.
Konkrete Methoden sind Gegenstand von Julia Draxlers Beitrag – sie berichtet über ihre Arbeit mit Augusto Boals Theater der Unterdrückten in der Vermittlung und diskutiert eine Vermittlung, die das Handeln zentral setzt, um in künstlerischen Arbeiten thematisierte gesellschaftliche und politische Problematiken sowie Machtverhältnisse im Museum selbst zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen und um Handlungsweisen im Umgang damit zu erproben.
Bernadett Settele verknüpft in Performing the Vermittler_in die institutionelle und konzeptuelle Ebene von Vermittlungsarbeit mit einem «Close-up» auf die Vermittlungssituation als Szene der Herstellung von Subjekten und stellt den Secret Service als ein schon auf dieser Basis konzipiertes Vermittlungsprojekt zur 5. berlin biennale in den Kontext dieser theoretischen Überlegungen. Die Hauptfrage ist: Wie kann die Vermittler_in Handlungsmöglichkeiten erlangen, ohne eine auktoriale Position einzunehmen?
Die Institution als performativ produziert steht im Beitrag des KünstlerInnen/VermittlerInnenkollektivs microsillons im Zentrum. Sie verhandeln ihr Verhältnis zur Institution – konkret dem Centre d’Art Contemporain in Genf – ausgehend von der Verschiebung in der Institutional Critique, die Andrea Frasers Statement «We are the institution» markiert.
2008 fand im Kunstmuseum Lentos in Linz die Tagung Performing the museum as a public sphere: Kunstvermittlung als Widerstreit statt. Der Beitrag von Carmen Mörsch und Eva Sturm, die die Linzer Tagung konzipiert haben, diskutiert im Dialog zwischen den beiden Autorinnen Begriffe wie Performativität, Öffentlichkeit und Widerstreit im Hinblick auf Entwürfe einer kritischen Kunstvermittlung.
Wieder in die Praxis führt der Beitrag von Sandra Ortmann mit dem Skript für die Performativen Interventionen in der Kunsthalle Fridericianum, die sie gemeinsam mit Studierenden der Kunsthochschule Kassel entwickelt hat.
Nora Landkammer setzt sich schliesslich mit Kritik aus dem Publikum beim Symposium KUNST [auf] FÜHREN auseinander und stellt ausgehend von der Veranstaltung Überlegungen zur Figur der BesucherIn in der Reflexion über Vermittlung vor.
Wir wünschen eine spannende Lektüre und freuen uns über Rückmeldungen und Anregungen zum e-Journal!
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